Ihr Opus 1 komponierte sie 1644 im Alter von 25 Jahren. Die Texte dazu hatte Giulio Strozzi geschrieben. Es ist eine ironisch gebrochene und außerordentlich elegante Sprache, die sich ganz erfolgreich von jener vollkommenen Poesie emanzipiert, deren Ideal immer noch Torquato Tasso repräsentierte. Das antike Vorbild scheint bei Strozzi weniger Vergil zu sein als vielmehr Ovid mit einem Schuss Sallust. Die geistsprühenden Wortspiele wurden im Booklet von Florian Mehltretter sehr kundig übersetzt; aber alle Übersetzungskunst muss scheitern, wenn "leggiadra Bocca" völlig richtig mit "anmutiger Mund" eingedeutscht wird, aber eben doch pianissimo der Nebengedanke "lockeres Maul" mitschwingen müsste. "Leggiadria" - die Anmut - meint eben auch die Leichtigkeit der Existenz und ist nicht von ungefähr stammverwandt mit der "leggierezza". Kurzum: Die Texte sind ein Genus für sich. Und die Musik ist von überwältigendem ésprit. Die Strozzi handhabt virtuos alle Stilmittel der Zeit; sie kann mühelos einen alten Ton anschlagen, kann aber auch im nächsten Moment sich ironisch von ihm abwenden und die neuesten Affekte aus dem Musikdrama einweben. Man begegnet auf dieser CD einer genialen Künstlerin, die imstande war, gleichzeitig in mehreren Perspektiven zu denken, was Goethe als die höchste Form des Denkens pries. Möglicherweise konnte die Strozzi auch gleichzeitig in mehreren Perspektiven lieben. Über allem liegt eine unbeschreibliche "leggiadria". Anmut eben. Die Einspielung all dessen auf immerhin zwei CDs demonstriert Sorgfalt und vollendete Klangkultur. Manchmal könnte man zu dem Schluss kommen, im Venedig der Strozzi habe man sich vorzugsweise durch Zellteilung vermehrt; will sagen: ein bisschen unerotisch wirkt diese Darbietung stellenweise schon. Sie spielen allesamt vorzüglich. Aber nur selten spielen und singen sie das Spiel. Dafür sind die Stimmen auch zu dünnblütig. Dennoch: Die Aufnahme ist eine Sensation. "L'amante modesto" - der bescheidene Liebhaber. * Musikbeispiel: Barbara Strozzi - aus: "L'amante modesto" Soviel über das Orlando di Lasso Ensemble und seine Aufnahme des ersten Madrigalbuchs von Barbara Strozzi, die als Doppel-CD bei Thorofon erschienen ist.
Barbara Strozzi: "Il Primo de' Madrigali 1644"
Seien Sie willkommen zu zwanzig Minuten mit neuen Einspielungen aus dem Bereich der Alten Musik. Zwei CDs möchte ich Ihnen heute vorstellen: zum einen eine neue Scheibe mit Klaviertrios von Ladislav Dussek, aufgenommen vom Trio 1790. Zum anderen eine sensationelle Doppel-CD des Labels Thorofon mit dem Orlando di Lasso Ensemble, auf der sich das Opus 1 der venezianischen Komponistin Barbara Strozzi findet, "Il primo de' Madrigali". Die Vorrede zu den insgesamt 25 zwei- bis fünfstimmigen Madrigalen ist Einleitung und poetisches Programm zugleich. * Musikbeispiel: Barbara Strozzi - aus: Sonetto. "Proemio dell'opera" Das Orlando di Lasso Ensemble mit der Vorrede zum ersten Madrigalbuch von Barbara Strozzi aus dem Jahr 1644. Das von Detlef Bratschke geleitete Vokalensemble mit insgesamt sieben Sängern hat sich hier mit einer äußerst versierten Banda von Instrumentalisten zusammengetan. Petra Müllejans und Daniela Helm haben die Violinpulte besetzt, Hille Perl spielt - wieder einmal sehr sophisticated - sowohl Gambe als auch Lirone, Lee Santana lässt sich auf Chitarrone, Erzlaute, Diskantlaute, Renaissancegitarre und Cetera hören, und Torsten Johann sowie Detlef Bratschke wechseln einander an Cembalo und Orgel ab. Das ergibt einen fürwahr affektreichen, in sich bewegten Klang.
Ihr Opus 1 komponierte sie 1644 im Alter von 25 Jahren. Die Texte dazu hatte Giulio Strozzi geschrieben. Es ist eine ironisch gebrochene und außerordentlich elegante Sprache, die sich ganz erfolgreich von jener vollkommenen Poesie emanzipiert, deren Ideal immer noch Torquato Tasso repräsentierte. Das antike Vorbild scheint bei Strozzi weniger Vergil zu sein als vielmehr Ovid mit einem Schuss Sallust. Die geistsprühenden Wortspiele wurden im Booklet von Florian Mehltretter sehr kundig übersetzt; aber alle Übersetzungskunst muss scheitern, wenn "leggiadra Bocca" völlig richtig mit "anmutiger Mund" eingedeutscht wird, aber eben doch pianissimo der Nebengedanke "lockeres Maul" mitschwingen müsste. "Leggiadria" - die Anmut - meint eben auch die Leichtigkeit der Existenz und ist nicht von ungefähr stammverwandt mit der "leggierezza". Kurzum: Die Texte sind ein Genus für sich. Und die Musik ist von überwältigendem ésprit. Die Strozzi handhabt virtuos alle Stilmittel der Zeit; sie kann mühelos einen alten Ton anschlagen, kann aber auch im nächsten Moment sich ironisch von ihm abwenden und die neuesten Affekte aus dem Musikdrama einweben. Man begegnet auf dieser CD einer genialen Künstlerin, die imstande war, gleichzeitig in mehreren Perspektiven zu denken, was Goethe als die höchste Form des Denkens pries. Möglicherweise konnte die Strozzi auch gleichzeitig in mehreren Perspektiven lieben. Über allem liegt eine unbeschreibliche "leggiadria". Anmut eben. Die Einspielung all dessen auf immerhin zwei CDs demonstriert Sorgfalt und vollendete Klangkultur. Manchmal könnte man zu dem Schluss kommen, im Venedig der Strozzi habe man sich vorzugsweise durch Zellteilung vermehrt; will sagen: ein bisschen unerotisch wirkt diese Darbietung stellenweise schon. Sie spielen allesamt vorzüglich. Aber nur selten spielen und singen sie das Spiel. Dafür sind die Stimmen auch zu dünnblütig. Dennoch: Die Aufnahme ist eine Sensation. "L'amante modesto" - der bescheidene Liebhaber. * Musikbeispiel: Barbara Strozzi - aus: "L'amante modesto" Soviel über das Orlando di Lasso Ensemble und seine Aufnahme des ersten Madrigalbuchs von Barbara Strozzi, die als Doppel-CD bei Thorofon erschienen ist.