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Barenboim dirigiert Siegessinfonie

Eins der ersten Orchesterhighlights des beginnenden Neuen Jahres dürfte die Tournee der Staatskapelle Berlin und ihres Chefdirigenten Daniel Barenboim zu den Konzertsälen von Baden-Baden, Luxemburg, Brüssel, München, Köln, Dortmund, Amsterdam, Hannover und Hamburg werden. Im Gepäck: Die Sinfonien 5, 7 und 9 von Gustav Mahler. Pünktlich vorher, nämlich zum 19. Januar, veröffentlicht Warner Classics in genau dieser Besetzung die Sinfonien 7 und 9.

Von Ludwig Rink |
  • Musikbeispiele: Gustav Mahler - aus: Sinfonie Nr. 7

    Bislang stand anderes als die Sinfonik Gustav Mahlers im Zentrum der Arbeit des 1942 in Argentinien geborenen Dirigenten und Pianisten Daniel Barenboim. 18 Jahre lang war er zum Beispiel jeden Sommer in Bayreuth mit Wagner beschäftigt, dessen gesamtes Opernschaffen er auch in einem viel beachteten, rekordverdächtigen Zyklus an der Berliner Staatsoper auf die Bühne brachte. Zwischen 1975 und 1989 war er Chefdirigent des Orchestre de Paris, von 1991 bis zum Sommer dieses Jahres parallel zu seiner Berliner Tätigkeit Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra. Im politischen Streit um die immer noch viel diskutierte Frage, wie viele Opernhäuser Berlin braucht, hörte man seine Stimme, und seit 1999 sorgt er für journalistisches Interesse auch jenseits des Feuilletons durch seinen West-Eastern Divan Workshop, der in jedem Sommer junge Musiker aus Israel und den arabischen Ländern zu gemeinsamer musikalischer Arbeit unter Barenboims Leitung zusammenführt. Gerade dieses völkerverbindende Musizieren wurde inzwischen durch die Verleihung einer ganzen Reihe von Friedens- und Musikpreisen gewürdigt.

  • Musikbeispiel: Gustav Mahler - 2. Satz (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 7

    Vor ziemlich genau 15 Jahren stand Barenboim erstmals am Pult der Staatskapelle Berlin, einem der wichtigsten Orchester der ehemaligen DDR, das seine Geschichte allerdings bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen kann. Neben der Konzerttätigkeit tritt es vor allem auch als Opernorchester der Staatsoper Unter den Linden auf. Bei Amtsübernahme als Generalmusikdirektor nannte Barenboim das Ensemble liebevoll ein kostbares, altes Möbel, von dem er sozusagen nur den Staub wegpusten müsse. Dies geschah im Opern- wie im sinfonischen Bereich durch die systematische Erarbeitung großer Werkzyklen: Mozart und Wagner auf der Bühne, im Konzertsaal waren es alle Beethoven-Sinfonien und Konzerte, alle Brahms-Sinfonien, dann Robert Schumann und die größeren Orchesterwerke von Arnold Schönberg. Jetzt ist also Gustav Mahler dran.

    Diese jeweils lang andauernde Beschäftigung mit einem ganzen Paket von Werken eines einzigen Autors führt oft zu genauerer Analyse und einem tieferen Verständnis für dessen Kompositionsstil und die gedanklichen und geschichtlichen Hintergründe seiner Musik. Das kostbare alte Möbel Staatskapelle Berlin - inzwischen sind ein Drittel der Musiker neu hinzugekommen, und doch bemüht man sich, etwas zu konservieren und weiter zu geben, was gar nicht so leicht zu beschreiben ist, nämlich den typisch deutschen Orchesterklang, wie er zum Beispiel auch dem Leipziger Gewandhausorchester nachgesagt wird: weich fließend und gut grundiert in den Streichern, dunkel getönt und satt in den Bläsern. Wie auch immer - die Staatskapelle macht in der vorliegenden Aufnahme mit Mahlers 7. Sinfonie eine hervorragende Figur. Ihr scheint auch diese etwa 100 Jahre alte Musik besonders zu liegen, die die Schönheit einer unwiederbringlichen Idylle genauso heraufbeschwört wie die Dekadenz des fin de siècle, die an der Harmonie des Weltlaufs zweifelt und die banale Alltagswelt ebenso aufs Podium bringt wie die Sehnsucht nach verborgener Sinnhaftigkeit.

  • Musikbeispiel: Gustav Mahler - 3. Satz (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 7

    Anders als die tragisch-dunkle 6. Sinfonie, die sozusagen mit einer Niederlage endet, handelt es sich bei Gustav Mahlers 7. Sinfonie eher um eine "Siegessinfonie, eine Reise aus der Nacht zum Licht. Ihre fünfsätzige Großform ist spiegelsymmetrisch angelegt. In der Mitte ein schattenhaftes Scherzo mit der geisterhaften Parodie eines Walzers. Vor und nach diesem Scherzo jeweils eine Nachtmusik: die erste mit pastoralen Naturschilderungen, die zweite ein Andante amoroso voller Wehmut und Träumerei, bei dem Mahler zur Verdeutlichung der angestrebten Nachtwirkung sogar Gitarre und Mandoline mit ins Orchester einbezieht. Diese drei Mittelsätze beschwören übrigens Bilder der Literatur der deutschen Romantik herauf, man denkt an Figuren von E.T.A. Hoffmann oder an Stimmungen in den Gedichten Eichendorffs. Diese drei Mittelsätze wiederum werden umschlossen von groß angelegten durchweg schnellen Sätzen, wobei im ersten der Marschrhythmus in allen möglichen Varianten das Bild bestimmt, während das Finale mit seinen Fanfaren und Glocken etwas Triumphales hat, eine Art Meistersinger-Ouvertüre, gebrochener, weniger affirmativ als bei Wagner natürlich, aber doch mit einem Pathos, das die Frage aufwirft, ob der Triumph nicht übertrieben inszeniert wird und damit letztlich vielleicht auch schon wieder eine Persiflage darstellt.

  • Musikbeispiel: Gustav Mahler - letzter Satz (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 7

    Titel: Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 7
    Orchester: Staatskapelle Berlin
    Leitung: Daniel Barenboim
    Label: Warner Classics
    Labelcode: LC 04281
    Bestellnr.: 2564 62963-2