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Barentsee

Die Erinnerung ist noch ziemlich frisch - am 12. August vergangenen Jahres versank das russische Atom-U-Boot Kursk im russischen Nordmeer - tagelang bangte die Weltöffentlichkeit um das Schicksal der 118 Marinesoldaten an Bord, bis die schlimme Gewissheit kam, dass niemand die Katastrophe überlebt hat. Die strahlende Fracht lagert auch heute noch auf dem Meeresgrund und sie ist dort nicht allein: Das Nordmeer hat schon viel Atommüll aufnehmen müssen und dieser Atommüll kann auch nach hunderten oder gar tausenden von Jahren große Schäden anrichten, wenn er in die Umwelt gelangt. Die Anrainerstaaten sind besorgt und Wissenschaftler aus Russland, Norwegen und Schweden befassen sich mit dem Thema. Stefan Haufe berichtet.

von Stefan Haufe |
    Nicht nur gesunkene Atom-U-Boote schlummern auf dem Meeresgrund der polaren Gewässer als mögliche Strahlungsquellen. Laut Schätzungen russischer Forscher wurde seit 1959 weit über 30 000 Mal radioaktiver Müll in die Barents- und die angrenzende Karasee verklappt. Verschiedene Atomexperten in Russland meinen, dass der Müll gut verpackt ist und die See in mehr als 100 Jahren nicht wirklich bedroht wäre. In welchem Maße an den versenkten Containern schädliche Strahlung austritt, darin unterscheiden sich die Angaben verschiedener russischer Studien aber sehr deutlich.

    Bekannt ist, dass die verbrauchten atomaren Brennstäbe der Atom-U-Boote und die radioaktiv verseuchten Maschinenteile alter Schiffsreaktoren unter sehr mangelhaften Bedingungen gelagert werden und die Lager an sich zu klein sind - und das in einem Gebiet, wo sich heute die höchste Anzahl von Atomreaktoren weltweit befindet.

    So liegen im größten atomaren Zwischenlager in Severodvinsk Teilstücke ehemaliger Reaktoren, wie Kühlsysteme oder Kontrollinstrumente der verbrauchten Brennstäbe ungeschützt auf dem Lagerboden. Passende Container sind nicht vorhanden. Das Lager verfügt zudem über keine Abwasserdrainage, die verhindern könnte, dass gefährliche radioaktive Stoffe ins Meer abfließen.

    Peder Axensten ist Forscher am Institut für Regionalstudien an der Universität Umeå in Schweden. Seine momentane Aufgabe ist die Entwicklung eines Warn- und Evakuierungssystem für den Fall eines Atomgaus. Trotz der benannten Zustände hat für ihn die radioaktive Belastung in der Barents- und Karasee im Moment andere Ursachen:

    "Was die Barentsregion angeht, so lässt sich zumindest für den schwedischen Teil sagen, dass die radioaktive Belastung eher auf das Tschernobyl-Unglück zurückzuführen ist. Wenn man dann die Barents- und Karasee betrachtet, sieht man das die Fische hier weniger mit radioaktiven Substanzen belastet sind als im Nordatlantik oder der Ostsee. Diese radioaktiven Substanzen gehen aber zurück auf die Wiederaufbereitungsanlage von Sellafield. Sie werden von dort mit dem Golfstrom hierher transportiert."

    Laut Darstellungen des schwedischen Forschers Ronny Bergmann und seines russischen Kollegen Aleksander Baklanov traten in den Jahren 1955 bis 1990 große Teile radioaktiver Substanzen immer dann in die polaren Meere, wenn auf Novaja Semlja Atomtests durchgeführt wurden. Etwa 130 mal wurde da gezündet. Die Müllhalde auf dem Grund der Barents- und Karasee ist nach Aussagen von Axensten zur Zeit jedenfalls keine bedeutsame Strahlungsquelle.

    "An dem 1989 gesunkenen U-Boot Komsomolez tritt eine geringe Dosis Strahlung aus. Diese Strahlung wirkt aber nur lokal. Betrachtet man die ganze Barentssee, so muss man sagen, dass es dort eigentlich keine verunreinigenden Quellen gibt. Die vorhandene Radioaktivität stammt, wie gesagt aus, Sellafield und ist immer noch eine Folge des Atomgaus von Tschernobyl."

    Hinsichtlich des Reaktormülls der Nordmeerflotte spricht Axensten allerdings von einem potentiellen Strahlungsrisiko. Eine weitere Zeitbombe sieht der Forscher in dem technisch veralteten Atomkraftwerk in Polarnyie Zori auf der Kola-Halbinsel.

    Internationale und regionale Organisationen versuchen seit Anfang der 1990er Jahre dieses Risiko durch große finanzielle Unterstützung Russlands einzudämmen. So hilft die USA den Nachfolgestaaten der Sowjetunionen seit 1992 jährlich mit 450 Millionen US-Dollar. In der Zusammenarbeit zur Reduzierung militärischer Bedrohung, kurz CTR, erhält Russland 45 Prozent der Gelder. Damit werden unter anderem U-Boote demontiert sowie atomare Sprengköpfen und andere strategische Waffen zerstört. Außerdem sollen die russischen atomaren Endlager ausgebessert werden. Durch die EU wurden 45 Millionen Euro unter anderem dafür ausgegeben, die Sicherungstechnik der Kernkraftwerke auf der Kola-Halbinsel auszubauen. Auch im Rahmen der russisch-norwegischen Zusammenarbeit stehen Hilfsprogramme bereit.

    Für Steven Sawhill vom Fridtjof-Nansen-Institut in Oslo fällt die derzeitige Unterstützung noch zu gering aus. Insbesondere die EU wird sich noch mehr engagieren müssen, so Sawhill. Der Schutz der Barentssee darf nicht nur Aufgabe der Anrainerstaaten seinen. Das Meer ist das größte Laichgewässer des Nordatlantiks. Störungen im Ökosystem werden sich früher oder später auf benachbarte Meere auswirken und damit eine scheinbar weit entfernte Gefahr sehr nah nach Zentraleuropa rücken.

    Für Tore Gullovsen von Greenpeace Norwegen dagegen ist die Art der bisherigen Finanzhilfe ein gänzlich falscher Weg:

    "Von norwegischer Seite aus gibt es einige kleine Programme zur Verbesserung der Atomsicherheit in Russland. Nur mit eben diesen Hilfsprogrammen wird z.B. die Laufzeit der Atomreaktoren verlängert und das ist ein Problem. Das ist sehr typisch für den Effekt der Hilfsgelder für Russland. Die Gefahren werden auf die lange Bank geschoben anstatt sie wirklich zu beseitigen."