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Barmer Ersatzkasse setzt auf Hausarzt-Modell

Klaus Remme: Was hat es im vergangenen Jahr nicht für eine Aufregung gegeben über die Praxisgebühr! Monatelang haben Ärzte, Krankenkassen, Politiker und Patienten darüber gestritten. Konkrete Regelungen und Ausnahmen sorgten für Streit bis in den Februar hinein. Jetzt ist die Praxisgebühr gerade mal vier Monate alt, und schon will man sie wieder abschaffen - die Barmer Ersatzkasse zum Beispiel. Sie ist vorgeprescht, andere Kassen folgen wohl. Am Telefon ist Eckart Fiedler, der Vorstandsvorsitzender der Barmer. Herr Fiedler, war die Aufregung um die Praxisgebühr also völlig umsonst?

Moderation: Klaus Remme |
    Eckart Fiedler: Nein. Sie wird ja nicht abgeschafft, sondern sie wird nur für den Fall wiedererstattet, dass jemand sozusagen auf den freien Facharztzugang verzichtet und den Hausarzt als Lotsen und Koordinator in unserem sehr komplexen medizinischen Versorgungssystem akzeptiert.

    Remme: Also Sie sagen, wer will, kann sie sich sparen?

    Fiedler: Absolut. Es ist freiwillig, und zwar freiwillig für beide Seiten, so sieht es das Gesetz übrigens vor. Wir machen nur etwas, was auch das Gesetz sozusagen beinhaltet, nämlich dass in dem Fall, wo man so einen Vertrag anbietet - wir haben einen Vorvertrag mit dem Hausärzteverband geschlossen -, können die Hausärzte freiwillig beitreten und die Versicherten genauso. Wer das dann tut, der verpflichtet sich allerdings, jetzt sich besonderen Konditionen zu unterwerfen. Zum Beispiel muss der Hausarzt besondere Qualifikationsanforderungen erfüllen, Fortbildungen nachweisen, auch eine Evidenz basierter, also wissenschaftlich gesicherter Medizinversprechen.

    Remme: Lassen Sie uns noch mal kurz bei der Situation im vergangenen Jahr bleiben, denn die Aufregung war ja vor allem deshalb so groß, weil ja jeder Versicherte die Praxisgebühr zahlen musste. Wäre es denn nicht möglich gewesen, schon vor einigen Monaten zu sagen, nun, da gibt es durchaus Alternativen, und wir bieten solche an?

    Fiedler: Das haben wir erstens angekündigt, und zweitens praktizieren wir es schon. Diejenigen, die sich heute in die Chronikerprogramme einschreiben, sind auch dort von der Zuzahlung insoweit befreit, als wir sie erstatten. Dort gilt ja schon das Prinzip, wer sich an seinen Hausarzt wendet, dort in Chronikerprogrammen einschreibt, zahlt sozusagen keine Überweisungsgebühren und kriegt die Praxisgebühr beim Hausarzt erstattet. Also dort machen wir es schon, und das weiten wir jetzt auf den Gesamtkreis der Versicherten aus.

    Remme: Jetzt heißt es hier in einigen Berichten in den Nachrichtenagenturen, die Barmer rührt nur die Werbetrommel, sie ist auch nicht weiter als andere Kassen, wenn es darum geht, jetzt das Hausarztmodell einzuführen. Ist das so?

    Fiedler: Ich sage es noch mal, wir haben einen Vorvertrag jetzt geschlossen mit dem Deutschen Hausärzteverband und der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft, das heißt mit den Repräsentanten aller Hausärzte. Wir haben noch gewisse Fragen zu klären - deshalb Vorvertrag -, aber es wird zügig daran weitergearbeitet und ich gehe davon aus, dass wir doch in der zweiten Jahreshälfte das sozusagen praktisch umsetzen können.

    Remme: Woher wissen Sie, wie viel Sie sparen können?

    Fiedler: Das wissen wir nicht, sondern wir wissen nur eins, dass er derzeit doch erhebliche Qualitätsdefizite in der Versorgung gibt, insbesondere in Richtung mangelnder Koordinierung und Steuerung. Das führt zu Doppeluntersuchungen, auch zu belastenden Untersuchungen. Wir wissen auch, dass in der Frage der Arzneitherapie Qualitätsdefizite da sind, und hier ist gerade der Ansatz, und zwar zusammen mit dem Hausärzteverband, ein Qualitätsmanagement aufzuziehen, an dem sich dann die Hausärzte, die teilnehmen, beteiligen können und auch müssen. Das führt nach unserer Schau dazu, dass die Versorgungsqualität steigt und damit auch überflüssige Kosten sozusagen unterbleiben, die letztlich den Aufwand, den wir haben, mittelfristig übersteigen.

    Remme: Aber was passiert, wenn das Hausarztmodell eben nicht das Geld reinbringt, was Sie durch die Abschaffung der Praxisgebühr verlieren?

    Fiedler: Na gut, dann werden wir es wieder einstellen. Das sieht das Gesetz auch so vor. Wir müssen nachweisen, dass sozusagen dieser Bonus, den wir zahlen, durch Einsparungen an anderer Stelle wieder aufgewogen wird. Das müssen wir wissenschaftlich untersuchen und verfolgen lassen. Das werden wir tun, und da sind auch die Hausärzte selber daran interessiert. Ich gehe aber davon aus, da dahinter eine gesamte Qualitätsoffensive steht, dass das durchaus seinen Effekt bringt.

    Remme: Die freie Arztwahl ist eingeschränkt, sagen die Kritiker des Hausarztmodells. Das müssen Sie zugestehen, oder?

    Fiedler: Nein, es ist nicht die freie Arztwahl. Ich kann jeden Hausarzt frei wählen. Ich kann aber nicht direkt den Zugang zur fachärztlichen Versorgung nehmen. Ich kann aber, wenn ich eine Überweisung durch den Hausarzt habe, unter den teilnehmenden Fachärzten frei wählen. Das heißt, worauf ich verzichte, ist nur der direkte unmittelbare Zugang zur spezialärztlichen Versorgung, und das ist eigentlich sinnvoll, denn im Grunde genommen soll der Spezialist in zweiter Reihe stehen, nachdem sozusagen der Hausarzt tätig geworden ist und auch aufgrund seiner ärztlichen Kompetenz feststellen kann, was in einem speziellen Fall angemessen ist.

    Remme: Ist es also falsch, wenn ich lese, dass das Modell vorgibt, bestimmte Hausärzte aufzusuchen?

    Fiedler: "Bestimmte" bedeutet Freiwilligkeit. Ich kann keinen zwingen, an diesem Modell teilzunehmen. Ich kann übrigens auch keinen Versicherten zwingen. Es basiert auf Freiwilligkeit, und das kann schon dazu führen, dass der eine oder andere Hausarzt nicht teilnimmt.

    Remme: Ist das Instrument Praxisgebühr wirklich ausreichend ausgetestet worden, wenn sie schon nach wenigen Monaten eine Alternative anbieten? Denn ich lese auch, dass es in diesen ersten Monaten erheblich weniger Patienten in den Wartezimmern gab als man gedacht hat.

    Fiedler: Richtig. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, weil wir im Dezember erhebliche Vorzieheffekte hatten, so dass, glaube ich, die Wirkung der Praxisgebühr erst im weiteren Verlauf, ich sage jetzt mal, gegen Ende dieses Jahres wirklich sinnvoll beurteilt werden kann. Mit diesem Modell stellen wir die Praxisgebühr nicht in Frage, sondern wir nutzen das, was auch das Gesetz vorsieht, dass in bestimmten Fällen auf die Einhebung der Praxisgebühr verzichtet wird beziehungsweise sie erstattet werden darf. Das nutzen wir, um Wirtschaftlichkeitsreserven in unserer Gesundheitsversorgung zu heben und die Qualität gleichzeitig zu verbessern.

    Remme: Um die Vor- und Nachteile noch einmal deutlich zu machen, für wen könnte es Ihrer Meinung nach Sinn machen, weiterhin die Praxisgebühr zu bezahlen?

    Fielder: Derjenige, der unbedingt nun direkt in die fachärztliche Versorgung gehen will, sich nicht an einen Hausarzt dauerhaft binden will, muss dann die Praxisgebühr am Beginn eines Quartals zahlen. Es ist auch heute so, dass man ja heute auch den Hausarzt aufsuchen kann, sich dann überweisen lässt und dann die nochmalige Fälligkeit der Praxisgebühr sich beim Facharzt erspart. Da kann man ja auch freiwillig entscheiden, ob man das tut oder nicht. Wie das im Einzelfall ist, das lasse ich jetzt mal offen. Vom Grundsatz her ist es eigentlich sinnvoll, das System in gegliederter Form in Anspruch zu nehmen.

    Remme: Wird das Hausarztmodell Auswirkungen auf den Beitragssatz haben?

    Fiedler: Das glaube ich im Moment nicht, sondern wir sind überzeugt, mittelfristig führt eine hausarztzentrierte, hausarztbasierte Versorgung schon zu einer höheren Effizienz. Das wird aber an der jetzigen Beitragspolitik nichts ändern. Auch dieser Vertrag wird nicht etwaige Beitragssatzsenkungen, die wir ja für Ende des Jahres vorhaben, in Frage stellen. Dafür hat es nicht den bedeutenden Umfang. Es geht letztlich darum, die gesamte Philosophie in die Richtung stärker zu trimmen, dass wir qualitätsbewusster handeln müssen. Das ist eigentlich unser Kernanlass.