Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Barockoper als Augsburger Puppenkiste

Der Spezialist für Alte Musik Konrad Junghänel und Wagner-Fachmann Stefan Herheim lassen mit ihrem "Xerxes" an der Berliner Komischen Oper die Puppen tanzen: Vergnüglicher und ideenreicher wurde eine Barockoper selten in Szene gesetzt.

Von Christoph Schmitz | 14.05.2012
    Der Schalk steckt in diesem Stück. Das hört man gleich in der Ouvertüre. Mit Leichtigkeit und Witz spielen die Streicher auf. In Händels später Oper "Xerxes" klingen zudem schon die Heiterkeit und Luftigkeit der Frühklassik an. Dirigent Konrad Junghänel, Spezialist für Alte Musik, lässt das Orchester der Komischen Oper förmlich tanzen. Als der "Xerxes" 1738 in London uraufgeführt wird, ist das Publikum irritiert. Es fremdelt mit Händels neuem Stil. Der schwere Kontrapunkt steckt den Leuten noch im Ohr. Außerdem trauen die Zuschauer dem Stück nicht. Es tritt zwar auf wie die meisten Seria-Opern mit Haupt- und Staatsaktion, historisch-mythologischem Herrscherschicksal und Liebesverwicklungen.

    Aber der Ernst hinkt, hat Löcher, ist gebrochen. Xerxes der Perserkönig wirkt nicht nur wankelmütig und hysterisch, sondern geradezu lächerlich. Er hat sich nämlich in einen Baum verliebt, eine Platane. Eine vom griechischen Historiker Herodot kolportierte Anekdote über den historischen Xerxes. Und Händel komponiert diese Baumliebe zu einem herzerweichenden und zugleich ironischen Larghetto. Ein Schlager der Musikgeschichte. Die Sopranistin Stella Doufexis singt ihn mit zärtlichster Hingabe. In barocker Manier rollt sie dabei kräftig Augen, verdreht Hände und Oberkörper unter Pappmascheegeäst. "Ombra mai fù" – "Nie war der Schatten eines geliebten grünen Baumes lieblicher".

    König Xerxes liebt aber nicht nur den Baum, sondern auch Romilda, obwohl er schon mit Amastris verlobt ist. Das Problem: Nicht nur Xerxes liebt Romilda, sondern auch sein Bruder Arsamenes. Hinzu kommt: Romilda steht auf diesen Bruder, nicht aber auf den König. Noch problematischer: Romilda hat eine Schwester hat, die ebenfalls in den Königsbruder verknallt ist. Nun geschieht in den folgenden drei Stunden nicht viel mehr, als dass mit vertauschten Briefen und Verkleidungskünsten jeder versucht, sein Glück zu erzwingen. Eine Handlung entwickelt sich letztlich nicht, die Figuren genauso wenig. Alles dreht sich wie im Tollhaus um sich selbst. Rasender Stillstand. Die reinste Komödie. Und genau die hat Regisseur Stefan Herheim mit seinem bewährten Team herausgearbeitet. Zu einer Pastorale laufen, blöken und tanzen hinter dem Flöte spielenden Hirten kalbsgroße Schafe einher.

    Später will Xerxes Romilda aus Eifersucht töten. Bei jedem Versuch verzagt er aber. Und jedes Mal, wenn er aufgibt, drückt ihm Romildas Schwester eine Mordwaffe in die Hand: einen Dolch, ein Schwert, eine Pistole und schließlich eine Kanone. Die Kugel schießt mit Getöse über Romilda hinweg, durchschlägt die gemalten Hauskulissen und hinterlässt in der gemauerten Bühnenrückwand ein riesiges, qualmendes Loch. Vergnüglicher, gewitzter, von Einfällen nur so sprühend, ist eine Barockoper selten in Szene gesetzt worden. Eine mal italienisch, mal deutsch gesungene Slapstickkomödie, die sich von Minute zu Minute immer wieder selbst übertrumpft.

    Dazu schwelgt die Szene in historischem Gewänderpomp, goldenen Schuppenrüstungen, prachtvollem Helmschmuck, wallenden Barockperücken - herrlich übertrieben und mit der naiven Aura des Handgemachten versehen, wie auch das Bühnenbild. Eine Art Augsburger Puppenkiste für Erwachsene. Ein barockes Schnürbodentheater, dahinter und daneben die schäbigen Arbeitsräume, dreht sich auf einer Scheibe. Eine Bühne ohne Hightech und Videokult. Als erwachten die eingemotteten Marionetten mit der Musik zum Leben und führten ihr altes Spiel noch einmal auf. Eine nostalgische Klamaukrevue, die das Pathos unterläuft und die echten Gefühlen von Liebe, Verletzung, Zorn, Gier und Wahn für Momente aufblitzen lässt. So entsteht Welttheater, Theater, in dem die Welt aufscheint. Viele Namen, die daran mitgewirkt haben, möchte man nennen. Aber die Zeit reicht dazu nicht. Nur noch für Musik.