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Basel, Zürich und Genf
Ein "Schwumm" zu Fluss und See

Im Sommer sind die Schweizer Städte nicht wiederzuerkennen: Steigen die Temperaturen über 30 Grad, verwandeln sich die ansonsten so geordnet wirkenden Altstadtgassen von Basel, Bern oder Zürich in ausgelassene, öffentliche Badeanstalten: ein Schwumm (schweizerdeutsch für Schwimmausflug) zu den schönsten Schweizer Badestellen mitten in der Stadt.

Von Stephanie Müller-Frank | 09.08.2015
    Blick auf Zürich und die Limmat, sowie den Zürichsee
    Zürich mit der Limmat und den Zürichsee: Im Sommer wird hier viel gebadet. (picture-alliance/ dpa)
    Noch ist alles still am Rheinufer in Basel: Altstadt und Münster liegen in der Morgensonne, zwei Männer von der Straßenreinigung kehren die Bierdosen vom letzten Abend zusammen. Ein Stück rheinabwärts, am Hafen, ist bereits ein Frühschwimmer unterwegs. In Badehose und mit Handtuch über der Schulter steuert er geradewegs auf eine Anlegebrücke für Frachtschiffe zu: Ein idealer Sprungturm, solange gerade kein Schiff vor Anker liegt.
    "Ich mag das Schwimmen im Fluss besonders gern, weil man da die Kraft des Wassers richtig spürt. Das ist nicht so wie in einem See, wo man, wenn man nichts tut, dann bleibt man einfach stehen. Am Rand geht es langsamer, in der Mitte schneller. Man muss ein bisschen vorausschauen, wenn man wieder aus dem Fluss raus will. Sonst verpasst man nämlich die Anlegestelle. Und man muss auch ein bisschen wissen: Wo kann man rein und wo wieder raus."
    Jeden Morgen kommt der junge Mann im Sommer an den Rhein – noch vor der ersten Tasse Kaffee. Und beginnt den Tag mit einem Kopfsprung ins kalte Wasser.
    "Am liebsten schwimme ich im Hafen, weil da hat es nicht so viele Leute wie in der Mitte der Stadt. Da kann man auch mal reinspringen und muss nicht gerade Angst haben, jemanden zu treffen."
    Menschenmassen lassen sich im Rhein abwärts treiben
    Ein paar Stunden später gleicht der Rhein in Basel dem Ganges: Menschenmassen steigen ins Wasser, lassen sich mit der Strömung den Fluss abwärts treiben, unter den Rheinbrücken hindurch, mitten durch die Altstadt und am Basler Münster vorbei. Einzeln, paarweise oder in Grüppchen, plaudernd und planschend, wogen sie in den Wellen auf und ab, die Oberkörper gemütlich auf gelbe, grüne, rote Schwimmsäcke gestützt. Sogar Hunde sieht man auf ihnen vorbeischwimmen.
    "Es ist halt praktisch: Da kann man hochlaufen, alles reinschmeißen, runterschwimmen."
    André klettert aus dem Wasser, hinter ihm seine Freundin Jasmin. Beide haben sie einen Wickelfisch umgeschnallt. Fast jeder Basler besitzt einen solchen bunten Plastiksack in Fischform, denn so lassen sich Kleider, Schuhe und Handy schwimmend im Fluss transportieren, ohne dass sie nass werden. Außerdem lässt sich ein Wickelfisch wunderbar als Luftkissen benutzen.
    "Es ist auch gut zum Schwimmen, weil man kann sich so dran festhalten. Und dann kann man sich einfach treiben lassen."
    Die Badeanstalt Pfalzbadhysli am Rhein und das Münster in Basel in der Schweiz, aufgenommen um 1900.
    Ein Photochrom von 1900: Die Badeanstalt Pfalzbadhysli am Rhein und das Münster in Basel in der Schweiz (dpa / picture alliance / Keystone Photochrom Collection)
    Beim Rheinbaden handelt es sich also weniger um eine Art Schwimmen – geschwommen werden trifft es besser. Und es geht auch gar nicht um die sportliche Betätigung, sondern mehr um eine gesellige Form der Abkühlung. Außer natürlich, man rüstet den Wickelfisch fachgerecht um. Das ist aber eher die Ausnahme.
    "Also, ich habe mir meinen so umgebaut, dass ich ihn mir an den Fuß hängen kann. Und dann kann ich echt gut schwimmen damit. Einfach die Schnallen andersrum angenäht."
    Im Hochsommer, wenn Basel zur Badi wird, wie man hier sagt – also zur öffentlichen Badeanstalt – erkennt man die Stadt kaum wieder: In den Brunnen der Altstadt planschen nicht nur Kinder und spritzen mit Wasserpistolen um sich, sondern auch Erwachsene. Frauen steigen im Bikini in die Tram, Büroangestellte in der Mittagspause in die Badehose. Und am Rhein entsteht eine Infrastruktur wie im Freibad: Mit Sonnenliegen auf dem Betonufer, öffentlichen Duschen, Grillstationen und Cafés. Blaue Tafeln verkünden die aktuelle Wassertemperatur. Heute sind es 23 Grad. Im Wasser. Lufttemperatur: 38 Grad.
    "Das Spezielle ist halt, dass man im Bikini oder in der Badehose mitten in der Stadt ist. Das ist, gerade auch anfangs Sommer, immer ein bisschen gewöhnungsbedürftig, so halb nackt durch die Stadt zu laufen. Aber es schert ja niemanden. Und zum Glück haben sie überall Duschen montiert, das heißt, man kann sich auch kurz abduschen."
    Luftsäcke für das Schwimmen
    Vivian arbeitet in einem der Cafés – Buvettes, wie sie hier heißen – direkt am Rheinufer. Hier gibt es auch die bunten Wickelfische in allen Farben zu kaufen. Den Touristen muss sie oft nicht nur erklären, wie die Luftsäcke zu befüllen sind, damit kein Wasser hereinläuft. Viele Touristen, die zum ersten Mal in der Schweiz sind, waren auch noch nie in einem Fluss schwimmen. Sie staunen, dass man hier tatsächlich mitten durch die Stadt schwimmen darf. Und fragen, ob das nicht gefährlich ist. Vivian versucht dann, ihnen im Trockenen zu beschreiben, worauf man achten muss.
    "Das ist so eine Mischung: Einerseits kann man sich treiben lassen. Der Rhein zieht auch ziemlich fest. Und gleichzeitig braucht es aber auch Kraft, weil es kann einen in den Rhein hineinziehen. Und dann muss man halt gegenhalten. Gerade, wenn man wieder an Land will, muss man schon ein bisschen kraulen oder tauchen."
    Die junge Frau freut sich auf den Feierabend. Dann wird es hoffentlich kühler und dann kann sie endlich auch selbst baden gehen. Sogar nach Anbruch der Dunkelheit, erzählt sie, gehen viele noch in den Rhein. Und anschließend wird dann gegrillt.
    "Die Leute nehmen halt immer mehr den öffentlichen Raum auch ein. In Basel haben wir nicht viele Naherholungsgebiete und das ist ja eigentlich auch schön, dass so diese öffentlichen Räume immer mehr auch zur Erholung genutzt werden."
    Was heute zum Alltag gehört, war lange Zeit nicht selbstverständlich: Im Jahr 1986 kam es zu einem Brand beim Basler Chemiekonzern. Daraufhin flossen rund 20 Tonnen Gift in den Rhein. Und über Jahre ging niemand mehr in den Rhein zum Schwimmen. Durch hohe Auflagen ist das Wasser heute sauberer als je zuvor. Und seit die Uferpromenade mit Duschen und Cafés ausgestattet wurde, geht ganz Basel im Rhein schwimmen. Eintritt frei.
    18 Bäder in Zürich
    Auch in Zürich gehört öffentliches Baden zum Stadtbild. 18 Sommerbäder zählt Zürich, davon allein elf Fluss- und Seebäder entlang der Limmat und am Zürichsee. Eines der schönsten und ältesten ist die Frauenbadi am Stadthausquai – eine schwimmende Badeanstalt auf Pontons am Ufer der Limmat, mitten in der Stadt, mit Blick aufs Frauenmünster. Tritt man durch die schmale Pforte, fühlt man sich in ein anderes Jahrhundert versetzt: Blau-weiß gestreifte Vorhänge flattern vor den Holzkabinen, Frauen sonnen sich zwischen Jugendstilsäulen, unter einer Kuppel und vier orientalisch anmutenden Ecktürmchen. Der Stadtlärm ist nur noch gedämpft zu hören. Und der Puls schlägt automatisch langsamer, sobald man barfuß über die Holzbohlen läuft.
    Denise hängt Handtücher zum Trocknen am Beckenrand auf, sie arbeitet seit zehn Jahren in der Frauenbadi, erst als Bademeisterin, jetzt als Masseurin. Sie kennt jede der rund 30 bis 50 Frauen, die als Stammgäste regelmäßig hierher zum Baden und Kaffeetrinken, zum Lesen oder Schlafen kommen.
    "Also viele Frauen sagen immer wieder: Sie können hier einfach sie selbst sein. Es hat auch viele ältere Frauen, und sie fühlen sich hier auch sehr aufgehoben. Sie kommen hierher, trinken ihren Kaffee, treffen andere. Es gibt ihnen für den Sommer so eine Geborgenheit, denke ich. Es ist für viele Frauen auch ein Platz, den Sommer zu verbringen."
    Sie selbst kommt am liebsten in den frühen Morgenstunden in die Badi, dann, wenn die Stadt noch nicht ganz aufgewacht ist.
    "Wir können da auch früher rein, weil wir haben ja einen Schlüssel. Dann ist das eigentlich quasi eine Privatvilla mit Swimmingpool. Und es ist die schönste Zeit, weil alles noch nicht verbraucht ist."
    Spezielles Badehaus für Frauen
    Noch bis ins Jahr 1837 war öffentliches Baden für Frauen verboten. Mit der Aufhebung des Verbots beschließt die Stadt, ein sogenanntes "Badhaus für Frauenzimmer" einzurichten. Nicht als Schwimmbad wohlgemerkt, sondern zur Körperhygiene. Schließlich gibt es in den meisten Häusern zu der Zeit noch kein fließendes Wasser. So erfreuen sich die Badeanstalten an Fluss und See großer Beliebtheit: Um 1900 gibt es bereits zehn Badehäuser – nach Geschlecht getrennt. Auch das Badereglement ist äußert streng: Nicht länger als eine halbe Stunde darf der Besuch dauern, umziehen eingeschlossen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Frauenbadi dann zum Freibad.
    Heute kann man zwischen zwei Schwimmzonen wählen: Entweder, man badet geschützt im inneren Rechteck des Jugendstilbaus oder man steigt direkt ins kalte Wasser der Limmat, erzählt die junge Bademeisterin Gisela.
    "Ja, genau, das Bad ist über den Fluss gebaut: Im einen Teil ist ein Boden drin, und dann ist ein Schwimmbereich im Fluss selbst, wo man auch den Blick hat auf die Innenstadt von Zürich."
    Zwei Besucherinnen nicken zustimmend, als sie ihre Kabinenschlüssel abgeben.
    - "Es ist eine Oase, finde ich wunderschön. Eine kurze Abfrischung, man kann kurz schwimmen, wieder nach Hause gehen. Für mich ist das sehr wertvoll, diese Frauenbadi."
    - "Und es ist eben deshalb so wunderschön, weil es eine ganz alte Architektur von vor 1900 ist, eine alte Holzbadi. Und weil einfach auch nur Frauen da sind, Frauen jeder Altersgruppe."
    Nur Frauen und ab 18 Uhr auch keine Kinder mehr. Denn dann beginnt für die letzten anderthalb Stunden das sogenannte Ruheschwimmen. Das genießen vor allem all die Frauen, die direkt von der Arbeit in die Badi kommen, um ihren Feierabend mit einem Schwumm - wie die Schweizer sagen - zu beginnen. An diesem Abend aber wird daraus nichts mehr, denn pünktlich gegen sechs Uhr zieht ein Gewitter über den Bergen rund um den Zürichsee auf.
    Bains de Paquis am Genfer See
    Die Stammgäste der Bains de Paquis kommen bei jedem Wind und Wetter in die öffentliche Badeanstalt auf dem Genfer See. Fünf Männer um die 60, die rund um einen Bistrotisch sitzen und Karten spielen, mit freiem Oberkörper und mit einem Stück Teppich auf dem Tisch, um die Spielkarten zu schonen.
    "Man kennt sich, man ist an der frischen Luft. Wir spielen Karten hier draußen und sind nicht zuhause eingesperrt. Das ist ideal."
    Gespielt wird Molotow – eine Variante des Schweizer Kartenspiels Jass. Das ist etwas leichter. Und geselliger, denn jeder spielt gegen jeden und eigentlich geht es hauptsächlich darum, seine Mitspieler zu ärgern. Dementsprechend viel wird gelacht und gestänkert am Tisch. Ab und zu verlässt einer der Männer die Runde zum Baden.
    Das Panorama der Stadt Genf, aufgenommen am Sonntag (27.05.2012) von einem Boot aus auf dem Genfer See. 
    Das Panorama der Stadt Genf (picture-alliance/ dpa / Fredrik von Erichsen)
    "Im Sommer, wenn es zu heiß wird, taucht man einfach mal schnell in den See. Man badet kurz oder hält ein Schläfchen und lässt die anderen weiterspielen."
    Entlang der Promenade des Genfer Sees reiht sich Nobelhotel an Nobelhotel, Jacht an Jacht, der Seezugang ist fast durchgängig privatisiert. Mit einer Ausnahme: Den Bains de Paquis. Möwen kreisen über den weißen Umkleidekabinen, die Badegäste lassen ihre Füße ins Seewasser baumeln, in der Ferne leuchtet die schneebedeckte Bergspitze des Mont Blanc. In den 80ern hatte die Stadt eigentlich entschieden, das Bad abzureißen und die Liegenschaft an ein Hotelkonsortium zu verkaufen. Die Anwohner wollten diese Entscheidung aber nicht so einfach hinnehmen. Also gründeten sie einen Verein und forderten ein Referendum. Das Ergebnis: Mit 80 Prozent stimmten die Genfer für den Erhalt des öffentlichen Bades. Seitdem wird es von einer gemeinnützigen Gesellschaft geführt. Und muss – trotz seiner exklusiven Lage – keinen Gewinn erwirtschaften. So verbringen heute viele Genfer Familien ihre Sommertage in den Bains de Paquis – auch viele Arbeitslose und Rentner. Denn der Eintritt kostet gerade mal zwei Franken, also ungefähr zwei Euro. Selbst im Winter ist die Badeanstalt geöffnet, dann gehen die Gäste nach dem Schwimmen in die Sauna. Auch die Kartenspieler kommen das ganze Jahr hindurch:
    "Im Winter gibt es eine Hütte mit zwei Holzöfen, dann spielen wir am Feuer. Und im Sommer spielen wir direkt vor der Fontäne. Wir sind nicht am See, sondern auf dem See. Unglaublich. Die Japaner arbeiten zehn Jahre, um sich drei Tage in Genf leisten zu können. Wir sind hier das ganze Jahr über. Und da vorne ist der Mont Blanc, schauen Sie!"
    Jeannis hat dem Bad sogar ein eigenes Lied gewidmet, so sehr liegt es ihm am Herzen.