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Basisemotionen
Soziale Einflussnahme durch Gesichtsausdrücke

Freude, Wut, Ekel, Überraschung - Emotionen spiegeln sich in unseren Gesichtern. Der US-Psychologe Alan Friedlund hat sich in seinem Ansatz mehr auf die verhaltensökologische Sichtweise von Gesichtsausdrücken fokussiert. Seine These: Es geht auch darum, das Verhalten des Gegenübers zu beeinflussen.

Von Lucian Haas | 15.05.2018
    Weiß gekleidete Menschen treffen sich am 26.07.2014 zum "White Dinner" (Weißes Essen) am Olympiastadion in Berlin. Bei diesem Picknick unter freien Himmel sind alle Gäste weiß gekleidet.
    "White Dinner" in Berlin: Weiß gekleidete Menschen amüsieren sich beim Picknick unter freiem Himmel vor dem Olympiastadion. (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    Laut einer klassischen Theorie der Psychologie ist der Gesichtsausdruck der Spiegel unserer innersten Gefühle. Der amerikanische Kommunikationsforscher Paul Ekman unterscheidet dabei sieben Basisemotionen: Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung. Jede soll bei allen Menschen auf der Welt in ähnlicher Weise im Gesicht aufscheinen und universell verstanden werden. Der Psychologe Alan Fridlund von der University of California in Santa Barbara zweifelt allerdings an dieser Theorie.
    "Ich habe selbst lange im Rahmen der Lehre der Basisemotionen geforscht. Aber dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich begann zu verstehen, dass wir unsere Gesichter in anderer Weise einsetzen. Klar wurde mir das, als ich mich mit moderner Evolutionslehre und Theorien der Kommunikationssignale von Tieren beschäftigte."
    Laut Erkenntnissen von Biologen kommunizieren auch Tiere ständig miteinander, indem sie mit ihrem Körper entsprechende Signale aussenden. Allerdings spiegeln diese nicht einfach nur ihre inneren Befindlichkeiten wieder.
    "Der Austausch von Signalen zwischen den Tieren geschieht in der Regel dann, wenn sie etwas aushandeln. Wenn es zum Beispiel um Revierstreitigkeiten geht, um Fragen der Dominanz. Sie stellen dann etwas zur Schau, nehmen Haltung an, und dazu gehören auch eigene Gesichtsausdrücke."
    Der Vergleich mit der Tierwelt
    Die tierischen Signale dienen freilich immer einem Zweck, und zwar: das Verhalten des Gegenübers zu beeinflussen. Und das ist ein komplexer Vorgang.
    "Nun vergleiche man diese Erkenntnisse mit denen der Forschung beim Menschen. Unsere Gesichtsausdrücke werden als simple Ausbrüche innerer Gefühle gesehen. Mich hat es überrascht, dass Tiere aus der Sicht von Biologen mehr Fähigkeiten besitzen sollen, als die Emotionstheoretiker dem Menschen zubilligen. Wir werden als soziale Interaktoren weniger anerkannt als Ratten, Mäuse oder Vögel. Das erscheint mir widersinnig."
    Alan Fridlund hat schon vor Jahren damit begonnen, auf Basis eigener Beobachtungen und Ergebnissen von Fachkollegen eine Alternative zu der Theorie der Basisemotionen zu entwickeln. Den aktuellen Stand seiner Erkenntnisse hat er kürzlich in der Fachzeitschrift "Trends in Cognitive Sciences" zusammengefasst. Seinen Ansatz nennt er die verhaltensökologische Sichtweise von Gesichtsausdrücken.
    "Die Kernaussage der verhaltensökologischen Sicht ist, dass unsere Gesichter nicht innere Emotionen wiederspiegeln. Vielmehr handelt es sich um Zeichen, die wir uns gegenseitig geben, um einander zu beeinflussen. Das geschieht nicht unbedingt kalkuliert und absichtlich. Das läuft weitgehend automatisch ab, genauso wie wir auch den Gesichtsausdruck des anderen weitgehend automatisch deuten."
    Selbst von unbelebten Dingen wird Reaktionen auf Gesichtsausdrücke erwartet
    Alan Fridlund nennt verschiedenste Beispiele: Die Frau, die einer Freundin von ihrer Krebsdiagnose erzählt. Ihr trauriges Gesicht drückt aus: Nimm mich in den Arm! Verhaltensstudien an Bowlingbahnen zeigten: Wenn Sportler einen Strike werfen, erscheint ein freudiger Gesichtsausdruck nicht in dem Moment als Ausbruch einer spontanen Emotion auf, sondern erst etwas später – wenn sie sich zu ihren Kumpanen umdrehen, um sich feiern zu lassen. Bei einem anderen Experiment präparierten Forscher einen Getränkeautomaten so, dass er das Wechselgeld verschluckte. Dann filmten sie mit versteckter Kamera die Reaktionen der Nutzer. Viele schauten die Maschine grimmig an, als wollten sie diese davon überzeugen, das Geld doch noch herauszurücken. Als tief soziale Wesen tendierten Menschen dazu, selbst von unbelebten Dingen Reaktionen auf ihre Gesichtsausdrücke zu erwarten, so Alan Fridlund.
    "Wir sind gewissermaßen darauf programmiert, aus allem, was wir brauchen, soziale Interaktion zu machen. Gesichtsausdrücke machen dabei nur in dem Kontext Sinn, in dem sie gezeigt werden. Sie haben keine feste Bedeutung wie nach der Theorie der Basisemotionen. Verhaltensökologisch betrachtet zeigen unsere Gesichter nicht einfach nur unsere Gefühle. Vielmehr richtet sich der Ausdruck an ein Gegenüber. Es geht darum, den anderen wissen zu lassen, was ich mir von ihm im Umgang miteinander wünsche."