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Bastion britischer Gentlemen

Der "Garrick Club" in London ist einer der ältesten und exklusivsten Herrenclubs der Stadt. 1831 gegründet, trafen sich hier schon zu viktorianischen Zeiten die Theaterfans der feinen Gesellschaft zum Gespräch mit den bewunderten Schauspielern. Benannt wurde er nach einem der größten Schauspieler des 18. Jahrhunderts: David Garrick.

Von Ruth Rach |
    Will Hopper, ein stattlicher schottischer Gentleman, steht in einer regennassen Strasse im schicken Theaterviertel Soho und blickt mit stillem Wohlwollen auf ein behäbiges dreistöckiges Gebäude. Der Garrick ist einer der ältesten und exklusivsten Herrenclubs in London.

    Der Club ist eine zutiefst britische Angelegenheit, sagt Will Hopper. Er geht noch auf viktorianische Zeiten zurück, als der Umgang mit Schauspielern für äußerst risque gehalten und selbst die berühmtesten Mimen vor dem Gesetz in die gleiche Kategorie wie "Vagabunde und Landstreicher" gesteckt wurden. Gleichzeitig waren aber gerade die Viktorianer leidenschaftliche Theaterfans. Der Garrick Club entstand als respektierlicher Treffpunkt für kultivierte Gentlemen, die sich nach dem Theater ungeniert mit Schauspielern unterhalten wollten.

    Ein breiter Treppenaufgang, von wuchtigen Eisengittern flankiert, der Boden schwarzweiß gekachelt. Im Foyer schimmern Ölgemälde, gleißen Alabasterbüsten: William Shakespeare, Horaz und der legendäre Schauspieler David Garrick, der dem Club seinen Namen gab.

    "Ich suche mir stets den Garderobenhaken Nummer 13", sagt Will Hopper. Er schält sich aus seiner zerschlissenen Gärtnerjacke. Darunter kommt ein eleganter dunkler Anzug zum Vorschein. Erstens kann er sich die Nummer 13 gut merken, und zweitens ist der Haken immer frei.

    Gleich neben der Garderobe steht ein ausladender Polstersessel, eine viktorianische Waage: Die Gentlemen haben sich nämlich leidenschaftlich gerne gewogen - um sich anschließend um so freudvoller auf ihre zwölfgängigen Mahlzeiten und edlen Weine zu stürzen.

    Der Garrick hat gleich sechs Speisesäle, der prächtigste heißt - welch Unterstatement! - der "Coffee Room". Burgunderrote Vorhänge, schimmernde Prägetapeten, üppige Stuckarbeiten, und dicht an dicht, vom Boden bis zur Decke, dramatische Ölbilder aus dem Theaterleben.

    Diskretes Murmeln. Bekannte Gesichter: am langen Stammtisch unter dem tonnenschweren Kristalllüster dinieren Dutzende eminenter Gentlemen: Politiker, Richter, Schriftsteller, Künstler. Hier speisten schon der Schriftsteller Charles Dickens, der Komponist Edward Elgar und der Geigenvirtuoso Yehudi Menuhin.

    Zu Jahresbeginn erhielt Will Hopper einen Rundbrief mit einer revolutionären Neuerung, die in den Korridoren des Clubs immer noch mit verhaltener Leidenschaft diskutiert wird.

    Seit kurzem dürfen im Coffee Room auch Damen speisen - wenn auch nur ganz diskret an den Katzentischchen am Rande.

    Die Kontrolle über ihren Alkoholpegel bleibt allerdings weiterhin ihren Begleitern überlassen: für Damen ist und bleibt die Cocktail Bar off limit. Dafür dürfen sie aber nun die Haupttreppe benutzen. Ihre Vorgängerinnen mussten sich mit der Hintertreppe begnügen.

    Will Hopper nimmt lieber den Lift.

    Darf ich mich zu Ihnen gesellen, fragt ein älterer Herr aus Boston, Massachusetts. Sie gehören sicher zum St Botoph Club, erwidert Will Hopper nach einem kurzen Blick auf seine Clubkrawatte. Das Old Boys Netzwerk funktioniert wie geölt.

    Die Herren tauschen sich aus. Über das Wetter, über die rosa und grün gestreifte Garrickkrawatte, die ganz oben eine kleine Öse hat, an der die Herren ihre Serviette festmachen, damit sie sich nicht bekleckern. Und über das Kinderbuch "Winnie The Pooh".

    Ihm verdankt der Garrick ein Vermögen: der Autor A. A. Milne hatte seinem Club ein Drittel der Buchrechte übertragen. Nichtsahnend, dass sein Werk ausgerechnet von Walt Disney verfilmt und dem Garrick über 80 Millionen Pfund einbringen würde.

    Der Morning Room. Mehr Gemälde, mehr Deckenschmuck, dank Winnie the Pooh aufs strahlendste renoviert. In dunkelroten Ledersesseln dösen Gentlemen, im hohen Kamin prasselt ein Feuer.

    Ein Herr bringt einer Dame ein Gläschen Sherry, ihre Konversation dreht sich um Zuchtpferde, Butler und unübersichtliche Ländereien. Über Geldgeschäfte wird im Club selbstverständlich nicht gesprochen, das wäre viel zu vulgär

    Will Hopper inspiziert das Studierzimmer. In den Vitrinen glitzert kostbares Porzellan. Schaukästen bergen historischen Theaterschmuck: riesige Theater-Dolche, purpurrote Giftbeutelchen - Memorabilia berühmter Inszenierungen. Der kleine Fernseher in der Ecke wird grundsätzlich nur für Cricketspiele angeschaltet.

    Regale, bis zur Decke mit alten Bänden gefüllt. Kostbare Erstausgaben, schwere Wälzer voller Theaterprogramme, die lückenlos über zwei Jahrhunderte zurückreichen - und ein Bibliothekar, der jedes Buch gelehrt kommentiert. Bis auf eines.

    Will Hoppers Bestseller steht nicht im Regal. Obwohl es von der Financial Times zu einem der wichtigsten Bücher des Jahres gekürt wurde. Will Hopper, ein Banker der alten Schule, hat die Kreditkrise nämlich schon vor Jahren vorausgesagt.

    Will Hopper schnappt sich seine Gärtnerjacke vom Haken Nr 13. Auf der Straße wirft er einen letzten Blick auf seinen Club. Für die Mitgliedschaft können sich grundsätzlich nur Herren bewerben. Die Aufnahmeprodzeduren sind arkan. Man muss von zwei Mitgliedern vorgeschlagen und von 25 weiteren unterstützt werden. Dann heißt es warten, mindestens acht Jahre: bis jemand stirbt. Und ja, einem Gentleman kann unter bestimmten Bedingungen die harterklämpfte Mitgliedschaft auch wieder entzogen werden ... oder ausgeschlossen wird.

    Du musst entweder Hochverrat begehen oder deine Frau ermorden oder zum größten Langweiler der Welt ernannt werden - aber das passiert selten. Der Garrick ist in erster Linie ein Club für harmlose Exzentriker.