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Batteriehersteller CATL
Chinesische Wirtschaftsförderung in Thüringen

Der chinesische Batteriehersteller CATL plant eine Fabrik in Thüringen. Ob das als Sieg für die deutsche Autoindustrie zu werten sei, sei fraglich, sagt Dlf-Landeskorrespondent Henry Bernhard. Denn die habe beim Thema Akkus mehr oder weniger den Anschluss verpasst.

Ursula Mense im Gespräch mit Henry Bernhard | 09.07.2018
    Ursula Mense: Eine Batteriezellenfabrik in diesem Ausmaß im größten Gewerbegebiet Thüringens, das kommt sicher nicht von ungefähr. Frage an unseren Landeskorrespondenten in Thüringen Henry Bernhard: War das eine bewusste Entscheidung für den Standort Thüringen?
    Henry Bernhard: Es waren ja mehrere Standorte im Gespräch, unter anderem in Osteuropa oder in Sachsen. Der Wirtschaftsminister von Thüringen, Wolfgang Tiefensee hat sich da mächtig reingekniet, wie er immer wieder betonte. Der Standort selbst, das Erfurter Kreuz, ist sehr gut erschlossen. In Thüringens größtem Gewerbegebiet mit viel Hightech und Firmen wie Daimler oder Wartungsfirmen für die Lufthansa, die dort angesiedelt sind, wurden CATL 80 Hektar zugesagt. Das Umfeld ist also gut, Fachkompetenz ist da. Man sieht erneut: Industriebetriebe siedeln sich eben, wie so oft, gerne dort an, wo schon andere Betriebe da sind.
    Mense: Wie kommt das in der Region an? Über wie viele Arbeitsplätze reden wir?
    Bernhard: Derzeit ist von bis zu 1.000 Arbeitsplätzen die Rede. Es könnten später sogar etwas mehr werden, aber das ist derzeit noch Spekulation. Für Thüringen ist das alles natürlich ein Glanzstück. Es werden hunderte Millionen Euro investiert, mittelfristig könnte es sogar in die Milliarden gehen. Da herrscht natürlich Freude bei der Landesregierung, beim Landrat, beim Bürgermeister und bei den Gewerkschaften. Denn die Zahl der Industriearbeitsplätze wird weiter steigen. Außerdem freut man sich darüber, dass man vom Billiglohn-Image wegkommt, was den Ruf des Landes nach den 1990er-Jahren vor allem durch die Ansiedlung von Logistikunternehmen geprägt hat.
    Und es ist ein wichtiges Zeichen in Zeiten, in denen Opel strauchelt und der Standort Eisenach nicht mehr sicher scheint. Nun kommen wieder Hightech-Arbeitsplätze her, für die man allerdings auch wieder Leute finden muss. In Thüringen werden in den nächsten Jahren mehr als 300.000 Fachkräfte fehlen, so die Landesregierung. Im Zweifel könnten durch die neue Investitionsentscheidung eher die kleinen Firmen leiden, die weniger zahlen und dann Mitarbeiter abwandern.
    Alle haben gewartet, dass jemand dieses Risiko eingeht
    Mense: Wie ist es überhaupt zu der Entscheidung für den Raum Erfurt gekommen?
    Bernhard: Das Gewerbegebiet liegt an der Kreuzung zweier Autobahnen, der A4 und A71 – und damit ist eine schnelle Verbindung zu den Auto-Herstellern in Süddeutschland gegeben. Das Problem ist ja, die Batterien sind extrem schwer, wiegen eine halbe Tonne. Die Lieferung mit dem Schiff aus Asien ist zwar möglich, aber sie ist sehr langsam und damit auch sehr unflexibel. Die brauchen einen Monat, bis sie da sind. Nähe zum Abnehmer, das ist das Argument, das hier zählt.
    Es kommt hinzu: Es gibt ein gutes wissenschaftliches Umfeld. Die Universität von Jena ist in der Nähe, das Frauenhofer-Institut in Dresden ist auch nicht weit. Außerdem ist das Gewerbegebiet sehr gut erschlossen und der hohe, der sehr hohe Energiebedarf kann gedeckt werden. Das sind wichtige Faktoren für den Standort, wobei es ja auch noch Subventionen durch die EU gibt für die Ansiedlung von Großindustriebetrieben. Aber die sind überschaubar und dürften die Entscheidung nicht maßgeblich beeinflusst haben.
    Mense: BMW teilte heute mit, dass der Autobauer einen Auftrag über 1,5 Milliarden Euro (*) an CATL vergeben will. Auch Daimler soll schon zugesagt haben. Es sieht ja fast so aus, als hätten alle nur darauf gewartet, dass einer die Akku-Fabrik baut…
    Bernhard: Es wurde darauf gewartet, dass einer dieses Risiko in die Hand nimmt. Bosch hat sich ja aus der Herstellung und Forschung zurückgezogen. Daimler hat es versucht und wieder aufgegeben. Es geht darum, wer hier Milliarden investiert und das Risiko in Kauf nimmt. Die deutsche Industrie hat hier mehr oder weniger den Anschluss verpasst, was ja auch zu Kritik von Gewerkschaftsseite geführt hat.
    So hat ja der bayerische IG-Metall-Chef und BMW-Aufsichtsrat Jürgen Wechsler gesagt, die deutsche Industrie müsse Schlüsseltechnik selbst produzieren: "Wenn wir die Batteriezelle aufgeben, weil wir sie geliefert bekommen, sind wir irgendwann weg vom Fenster." Ähnlich hat sich auch die Bundeskanzlerin geäußert. Bleibt festzuhalten: Das ist erst mal ein Sieg für Thüringen, aber ob es auch ein Sieg für die deutsche Autoindustrie ist, ist noch eine andere Frage.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu
    (*) In einer vorherigen Fassung hieß es, BMW habe einen Auftrag über vier Milliarden Euro vergeben. Diese Zahl ist falsch. Wir haben das entsprechend korrigiert.