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Bauakustik in der Puppenstube

Akustik. - Mit aufwendigen Prüfverfahren kontrolliert die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, kurz PTB, ob und in welchem Umfang Materialien oder Bauteile ihren Zweck erfüllen. Im Rahmen seiner Doktorarbeit entdeckte jetzt ein Nachwuchswissenschaftler der Anstalt, dass das Standard-Prüfverfahren für schalldämmende Baumaterialien fehlerbehaftet ist.

Von Michael Gessat |
    Es sieht aus wie Spielzeug, was Werner Scholl, Fachbereichsleiter für "Angewandte Akustik" an der PTB, von seinen Doktoranden hat bauen lassen: Ein verkabelter Holzkasten, etwa eineinhalb Meter breit, mit einer recht improvisiert wirkenden Inneneinrichtung.

    "Wenn Sie da reingucken, sehen Sie mal so ein typisches Ensemble, da sind drei Lautsprecher, das sind die Würfel, die da hängen, und diese kleinen Mikrophone. Das ist Akustik in der Puppenstube, und wir haben tatsächlich auch untersucht, wie die Möblierung solcher Räume auf die Schalldämmung einen Einfluss übt und haben da tatsächlich so kleine Puppenmöbel reingestellt, Schränke, Tische, Stühle."

    Die Puppenstube ist in Wirklichkeit ein ganz ernst zu nehmender Schallprüfstand. Der Trick bei der Sache ist, dass die Akustiker nicht nur die Raummaße, sondern auch den Schall maßstabsgetreu auf Liliputaner-Format bringen.

    "Wenn man die Modelle und damit die Wellenlängen im Maßstab 1:10 verkleinert, und die Frequenzen entsprechend vergrößert, kommt man dann eben auf Frequenzen von 1000 Hertz bis 50 kHz, das menschliche Gehör hört so bei 16 kHz etwa auf, das meiste davon ist also Ultraschall. Dementsprechend schwierig ist es dann natürlich auch mit der Messtechnik; wir mussten also die komplette bauakustische Messtechnik anpassen, verkleinerte Lautsprecher, kleinere Mikrophone, vor allem aber auch die komplette Aufnahmetechnik und Analysetechnik entsprechend anpassen."

    Der Aufwand lohnt sich aber, erklärt Christoph Kling: Eine Miniatur lässt sich nämlich schnell und flexibel auf- und umbauen, sie kann in ihrer Ausführung sogar perfekter sein als ihr großes Vorbild. Und die akustischen Messwerte sind bei einer maßstabsgetreuen Verkleinerung von Raum, Materialien und Wellenlängen exakt identisch. Für seine Dissertation hat Kling nun sogenannte Wandprüfstände im Modell nachgebaut und vermessen. In so einem Prüfstand wird eine komplette Wand zwischen zwei Räumen eingebaut. Im Original wie im Modell machen die Akustiker dann auf der einen Seite erst einmal ordentlich Radau: Mit Lautsprechern und mit sogenannten Shakern, die direkt auf die Wand aufgesetzt sind und an ihr rütteln. Kling:

    "Beides taucht in der Realität auf: Zum einen Luftschall, ich sag mal laute Musik vom Nachbarn. Trittschall zum anderen wiederum; wenn ihr Nachbar oben drüber eine Party hat, hören Sie natürlich die Tanzschritte. Oder eine Waschmaschine ihrer Nachbarn, die irgendwo rüttelt, Straßenlärm, tiefe Frequenzen, die breiten sich auch dadurch aus, das ist Direktkörperschallanregung."

    Im Wandprüfstand wird also auf der einen Seite angeregt und auf der anderen Seite gemessen, was ankommt. Die Differenz, das ist die Schalldämmung, der Dämpfungswert der Wand. Dabei ergänzen sich drei Effekte. Zum einen wird in der Wand Schallenergie direkt in Wärme umgesetzt. Dann gibt es die sogenannte Abstrahlung; die vibrierende Wand regt die umgebende Luft an. Und drittens die sogenannte Kopplung: Die Vibrationen übertragen sich auf die direkt angrenzenden Bauteile. Kling:

    "Jetzt ging man bisher davon aus, dass dieser Kopplungsanteil, dass die Energie, die durch Kopplung an andere Bauteile weitergeleitet wird, dass die für immer und ewig weg ist, dass von den umgebenden Bauteilen nichts zurückkommt. Und eine Sache, die ich eben rausgefunden habe, ist, dass in bestimmten Bausituationen, die auch alltäglichen Situationen durchaus entspricht, dieser zurückkommende Anteil, die Energie, die von den umgebenden Wänden in das Bauteil zurück eingespeist wird, dass der eben nicht unbedingt zu vernachlässigen ist und vor allem in bestimmten Messsituationen zu bösen Fehlern führt."

    Und das könnte durchaus auch Folgen in der Praxis haben: Entweder dämmt dann eine Wand den Schall in Wirklichkeit gar nicht so gut, wie geplant und zertifiziert. Oder die Einbaumethode, die Art der Verbindung oder Entkopplung der Wandelemente ist möglicherweise gar nicht optimal. Bei Computersimulationen war das Problem bislang nicht aufgefallen: Dem einschlägigen Rechenmodell fehlten schlicht die entscheidenden Vorgaben. Nun, nach Christoph Klings Erkenntnissen aus der "akustischen Puppenstube", kann auch die Berechnung im Computer weiter verfeinert werden.