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Bauboom auf Sylt

In ihrer Abfolge von Ebbe und Flut lässt sich die Nordsee nicht aus der Ruhe bringen. Auch nicht an den Stränden von Sylt. Doch hinter den Dünen rumort es gehörig unter den heimischen Nordfriesen. Nicht wenige befürchten, dass das angeblich mondäne Eiland durch diverse Hotelneubauten seinen elitären Glanz verlieren und gar zum "Mallorca der Nordsee" verkommen könne.

Von Klaus Deuse | 01.07.2007
    In Rantum, an der schmalsten Stelle der Insel, eröffnet bereits Ende Juni die TUI das sogenannte "Dorfhotel". Dabei handelt es sich um eine Großanlage mit 159 Familienzimmern, die Vollverpflegung plus Animationsprogramm für Groß und Klein anbietet. Bei einer Vollbelegung können bis zu 600 Pauschalurlauber die Anlage vor den Toren des Friesendorfes bevölkern. Aber nicht nur in Rantum gehen die Insulaner, die bislang mit Urlaubern gutes Geld verdient haben, auf die Barrikaden. Am nördlichen Zipfel, in List, bangen Pensionsbetreiber um Stammgäste, da ein Investor ein Großhotel mit 180-Zimmern sowie einem Medical-Wellness-Bereich und gleich drei Restaurants baut. Und an der Südspitze der Insel, in Hörnum, ist die anfängliche Freude über einen Golfplatz längst verflogen, da die finanzierende Golfspielerin inzwischen auch die Karte für den Bau eines 30 Millionen Euro teuren Fünf-Sterne-Hotels mit 80 Zimmern gezogen hat. Außerdem entsteht in Hörnum, an dessen seeumbrandeter Odde sich bislang Spaziergänger in ihrer Einsamkeit wohlfühlten, ein Hapimag-Resort mit 140 Apartments. Naturschützer wie der Badearzt und Internist Dr. Roland Klockenhoff fürchten letztlich um den Ausverkauf ihres friesischen Eilands.

    " Wir kommen im Moment auf ein Neubauvolumen von ungefähr 1.000 Hotelbetten. Es sind in der Regel Großhotels, teilweise von Großketten. Und wir werden damit ein anderes Publikum haben."

    Hörnum und List, den beiden nicht so attraktiven Dörfern, hätte man eine touristische Auffrischung noch zugebilligt. Doch seit im historischen Friesendorf Keitum ein Investor neben einer Therme auch noch ein Nobel-Hotel hinstellen will, ist für die Insulaner das Maß voll und sie rebellieren bis heute gegen ihre Gemeindeverantwortlichen. Die haben sich nämlich auf einen heiklen Deal eingelassen. Da ihnen das Geld für die Sanierung des bei den Kurgästen beliebten Meerwasserfreibades fehlt, haben sie europaweit einen Wettbewerb ausgeschrieben. Mit dem Ergebnis, dass ihnen ein gefundener Investor zwar das Freibad sanieren will und dafür auch bereit ist, einen Zuschuss von einer Million Euro hinzublättern, aber nur, wenn er im Gegenzug neben einer Therme ein Hotel auf einem Filetgrundstück der Gemeinde errichten kann. Dr. Klockenhoff:

    " Aus der Schwimmbadidee wurde die Thermenidee. Und aus der Thermenidee wurde dann in einer sehr interessanten Verkoppelung ein Gesamtkonzept entwickelt. Therme, Großhotel auf einem alten Kinderheimgelände. Summasumarum soll am Ende von Keitum ein Komplex entstehen, der ungefähr 3.000 Autobewegungen am Tag verursacht. In einem Ort, wo just vor zwei Jahren eine Umgehungsstraße eingeweiht wurde, die den Ort um 5.000 Autos entlastet hat."

    Eine Entwicklung, die Maike Ossenbrüggen, die seit vielen Jahren in Keitum und in dem bei Urlaubern beliebten grünen Osten der Insel Apartments vermietet, für unzumutbar hält.

    " Ich habe das Gefühl, dass wir aus dem Osten des Dorfes von einem Tsunami überschwemmt werden. Die Vorstellung, dass 3.000 Autos durch das Dorf fahren, ist für mich grauenvoll."

    Selbst Rolf Winter, Tourismusdirektor von Sylt Ost, konnte nicht verborgen bleiben, dass der touristische Ausbau einen Keil zwischen die Insulaner getrieben hat.

    " Es geht ein Riss durch die Gemeinde."

    Apotheker und Bäcker etwa, die sich von dem Hotel eine Belebung ihres Umsatzes erhoffen, trauen sich nicht mehr, öffentlich dafür einzutreten, um nicht von Stammkunden und Freunden geschnitten zu werden . Den Befürwortern um Tourismusdirektor Winter bläst ein rauer Wind ins Gesicht.

    " Gut, das hängt zum einen natürlich damit zusammen, dass wir, um dieses Projekt realisieren zu können, ein Grundstück verwerten müssen. Entscheidender Punkt ist, dass wir aus diesem Grundstück einen Investitionskostenzuschuss benötigen von rund einer Million Euro."

    Sonst bekäme Keitum nicht das bei den Urlaubern so geschätzte Schwimmbad gebaut. Aber das geht laut Gemeinderatskalkulation nur in Koppelung mit einer Therme.

    Dieses irisch-römische Bad mit einem angeblich einzigartigen heiß-kalten Wechselbad, das lebensreife Urlauber mit Herz-, Kreislauf- und Hauterkrankungen in Scharen nach Keitum locken soll, brächte allerdings tatsächlich, wie Tourismusdirektor Winter einräumt, reichlich Autoverkehr mit sich.

    " In der Projektion wollen wir insgesamt rund 120.000 Besucher für den Bereich Therme erwirtschaften."

    Eine Zahl, vor der es der Vorsitzenden des nordfriesischen Heimatvereines Maike Ossenbrüggen graut. Schon wegen des CO2-Ausstoßes aus den Auspufftöpfen der auf der Insel angesagten Sechs-Zylinder. Doch von den Reichen und angeblich Schönen hat Sylt noch nie hauptsächlich gelebt, sondern - allen Schlagzeilen der Klatschpresse zum Trotz - von den naturverbundenen Gästen, die Ferienwohnungen buchen. Auch bei Maike Ossenbrüggen.

    " Ich hab eher jemanden bei mir, der sich bewegt, der läuft, auch schwimmt in der Nordsee. Das kann man bei uns ja auch noch. Wenn man in eine Therme geht, weiß man gar nicht mehr, in welchem Erdteil man ist."

    Für Tourismusdirektor Winter dagegen läuft künftig letztlich nichts mehr ohne Therme.

    " Wir haben gerade den Trendmarkt Gesundheitstourismus von erwähnt 6,9 Millionen Deutschen, die in den nächsten Jahren danach ihren Urlaub aussuchen, die werden wir nicht ansprechen, denen bieten wir kein Angebot. Und damit werden wir im Tourismus sicherlich Probleme haben, unser Gästevolumen zu halten."

    Inselschützer wie Dr. Roland Klockenhoff betrachten den Bau solcher Großprojekte wie der Keitumer Therme mit angeschlossenem Nobelhotel oder der TUI-Anlage in Rantum jedoch ganz anders.

    " Es wäre hier ein Fremdkörper. Wir haben hier bisher eine kleinstrukturierte Hotellandschaft, die Familienbetriebe sind. Und diese Großhotels würden den Charakter des Tourismus hier in Keitum verändern."

    Doch die Vermarktung der Insel hat trotz aller Vorbehalte bereits neue Dimensionen angenommen. Inzwischen karren durch die Ausweitung der Nachtlandegenehmigungen Großraumflugzeuge vom Typ A-310 und B-737 jeden Tag zusätzliche Gäste an. Und sei es nur für ein Wochenende.

    " Der Kurdirektor von Westerland hat angesichts steigender Flugzahlen von einem Mallorca-Effekt hier auf der Insel gesprochen. Und diesen Mallorca Effekt wollen wir hier eigentlich nicht. Die Insel hat eben eine wundervolle Natur. Und die Natur ist die Wirtschaftsgrundlage der Insel."

    Das Sylter Urgestein Maike Ossenbrüggen sieht letztlich die Gefahr, dass ihre Insel von Investoren wie eine Fabrik an der Börse vermarktet werde. Dagegen setzt sie sich, zusammen mit anderen, weiter vehement zur Wehr. Und falls die Gemeindeverantwortlichen nicht darauf reagieren sollten, rechnet sie wenigstens mit der Unterstützung der Natur. Also damit, dass das Klima und die unberechenbare Nordsee den Investoren einen Strich durch die Rechnung machen.

    " An der Börse kann man stückeln und Aktienanteile erwerben, ohne dass man überhaupt die Fabrik jemals gesehen hat. Sie machen aus uns eine Fabrik und wir sind keine. Und ich schwöre Ihnen: das Klima ist auch nicht so danach, dass man uns so vermarkten könnte wie Mallorca."

    Im Endeffekt stellt sich die Frage, ob Sylt zur Hauptsaison überhaupt noch zusätzliche Gäste verkraften kann und ob die treuen Urlauber dann der Insel nicht den Rücken kehren.