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"Bauernland in Sportlerhand“?

Ausgerechnet "Cicero", das "Magazin für politische Kultur", bestätigte in dieser Woche jene Kritiker, die sich durch die Münchner Bewerbung mit Frontfrau Katarina Witt an die verflossene DDR erinnert fühlen. "Bauernland in Sportlerhand" überschrieb das Blatt kämpferisch einen Kommentar zur Übergabe des Bid Books ans Internationale Olympische Komitee.

Von Grit Hartmann | 15.01.2011
    Nach 1945 klang das ganz ähnlich: "Junkerland in Bauernhand" lautete damals die Agitprop-Losung, mit der Kommunisten und sowjetische Besatzungsmacht die Enteignung von Großbauern rechtfertigten, mit verheerenden Folgen für die ostdeutsche Landwirtschaft. Die verbale Anleihe war kein Zufall – explizit belobigte "Cicero" Münchens Oberbürgermeister Christian Ude für seine Drohung gegenüber renitenten Bauern in Garmisch. Deren "destruktive Dagegen-Haltung", formulierte das Blatt, dürfe man sich nicht gefallen lassen. Schließlich hätten Umfragen 60 Prozent Zustimmung für Olympia 2018 ergeben. Deshalb sei richtig, was Ude verlange: Die Landwirte müssten "notfalls enteignet werden".
    "Bauernland in Sportlerhand" also? Im Unterschied zu Diktaturen gewährt der Rechtsstaat dem Einzelnen Grundrechte und damit Schutz vor tatsächlichen oder herbeigeredeten Mehrheiten. Zur Enteignungsfrage liegt dem Deutschlandfunk jetzt ein juristisches Gutachten aus dem Bundestag vor. Die grüne Abgeordnete Viola von Cramon gab es beim Wissenschaftlichen Dienst in Auftrag, nachdem der Sportausschuss im November Garmisch besuchte:
    "Wir haben natürlich gesehen, dass die ganze Bewerbung das Dorf polarisiert. Und wir haben jetzt auch im Nachhinein noch im Sportausschuss Herrn Bergner, den Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, danach gefragt, was denn das Szenario B sei, sofern ein Zugriff auf die Grundstücke, die man noch braucht, nicht möglich ist. Darauf gab es keine weitere Antwort. Da stellt man sich natürlich schon die Frage: Wenn es keine Antwort gibt, wird dann doch mit der Option Enteignung geliebäugelt?"
    Bis vor kurzem hatten die Bewerber Enteignungen ausgeschlossen und auf mögliche Alternativlösungen verwiesen. Wie wenig dem zu trauen ist, wurde offenbar, als im Dezember die Marktgemeinde Garmisch ein entsprechendes Verfahren gegen einen Bauern einleitete, der zunächst sein Grundstück für die Ski-WM nicht hergeben wollte. Das Gutachten aus dem Bundestag untersucht nun erstmals die Frage, ob derlei drastisches Vorgehen überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Präzise geht es um die Anwendung von Artikel 14, Absatz 3; er regelt Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit. Von Cramon:
    "Es gibt keine klare Aussage, ob eine Enteignung verfassungsgemäß ist. Im Gegenteil: Es wird davor gewarnt, dass es Konflikte mit dem Grundgesetz geben könnte. Und das Zweite: Die Bewerbung muss im allgemeinen Interesse stehen."
    Dafür reicht es nicht, dass die Kanzlerin Olympia 2018 kürzlich zum "nationalen Anliegen" ausrief. Was als Gemeinwohl gelten darf, hat das Bundesverfassungsgericht definiert. So müssen öffentliche Aufgaben, für die Eigentumsentzug angeordnet wird, besonders dringend und schwerwiegend sein. Nach bisheriger Rechtsprechung gilt das für den Bau von öffentlichen Straßen, Flughäfen und Deichen, zur Sicherstellung der Energieversorgung oder auch zur Ausweisung öffentlicher Parkflächen in einem Naherholungsgebiet. Gemeinsam war den höchstrichterlichen Urteilen eines: Enteignung kommt nur infrage, wenn das allgemeine Interesse auf Dauer ausgerichtet ist. Auch nach Olympia also, folgern die Bundestagsjuristen, "müsste das Gemeinwohlerfordernis zu bejahen sein, damit die Enteignung verhältnismäßig wäre". Parkplätze, Sicherheitszäune oder Messanlagen, die nach den Spielen wieder abgebaut werden, erfüllen diesen Maßstab zweifelsfrei nicht. Deshalb seien die Enteignungspläne "bedenklich". Und ein zweites Kriterium stellt den Eigentumsentzug in Frage. Auch deshalb kritisiert die Grüne Viola von Cramon, dass die Münchner, anders als beispielsweise die Konkurrenz aus Pyeongchang, das Bid Book nicht in Gänze veröffentlichen:
    "Interessanter Weise wissen wir ja gar nicht, was genau in diesem Bid Book drin steht. In dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes heißt es aber, dass die Enteignung als ultima ratio nur zulässig ist, wenn es keine andere rechtlich und wirtschaftlich vertretbare Lösung gibt."
    Eigentumsentzug wäre mithin nur verfassungsgemäß, wenn die Olympiaplaner für jedes einzelne Grundstück das Fehlen einer Alternative nachweisen könnten. Aus dieser Perspektive betrachtet erhält die Informationspolitik der Münchner eine neue Dimension. Fragen darf man nun zumindest, ob es sich um juristisch kalkulierte Intransparenz handelt. Denn für "Bauernland in Sportlerhand" zieht das Grundgesetz enge Grenzen. Engere, als der anwaltlich bestens beratenen Bewerbergesellschaft womöglich lieb ist.