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Baum: Reue ist kein Kriterium

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart-Rudolf Baum hat die Entscheidung der Richter zur Freilassung des RAF-Terroristen Christian Klar als korrekt bezeichnet. Klar habe nach Ablauf der Mindesthaftdauer wie jeder andere Häftling Anspruch auf Resozialisierung. Gleichzeitig appellierte Baum an die ehemaligen RAF-Mitglieder, ihr Schweigen zu brechen. Noch immer seien der Mord an Generalstaatsanwalt Siegfried Buback und andere Taten nicht aufgeklärt.

Gerhart-Rudolf Baum im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden, Christian Klar wird aus der Haft entlassen. Klar ist mittlerweile 56 Jahre alt. Er wurde 1982 als ehemals führendes Mitglied der Terrororganisation "Rote Armee Fraktion" wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Später wurde die sogenannte Mindestverbüßungsdauer - also die Zeit, die er auf jeden Fall im Gefängnis verbringen muss - auf 26 Jahre festgelegt.

    Am Telefon ist der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart-Rudolf Baum (FDP). Guten Tag!

    Gerhardt-Rudolf Baum: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Baum, wie beurteilen Sie die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart?

    Baum: Die Entscheidung ist absolut korrekt. Sie entspricht der deutschen Rechtsordnung. Ein zu lebenslanger Haft Verurteilter hat zum ersten Mal nach 15 Jahren die Gelegenheit, Überprüfung der Haftdauer zu verlangen. Hier hat das Gericht eine Mindeststrafdauer von 26 Jahren festgelegt, angesichts der Schwere der Schuld. Die läuft jetzt ab. Da gibt es auch keine anderen Kriterien.

    Reue? - Man wünschte sich ja, dass Herr Klar sich von seinen Taten distanziert und Reue zeigt. Reue ist keine Voraussetzung für eine bedingte Strafentlassung, für keinen Kriminellen, also auch nicht für Christian Klar.

    Es wäre sehr wünschenswert - das hat aber auch mit der Entlassung nichts zu tun -, wenn er und andere das Schweigekartell durchbrechen würden, wenn sie also reden würden über ihre Taten, dass man beispielsweise weiß, wer hat denn Buback wirklich erschossen. Er ist wegen neunfachen Mordes und elffachen Mordversuchs verurteilt worden. Er war mit der Mohnhaupt zusammen, der Führer der zweiten RAF-Generation, und in meiner Amtszeit war er der Terrorist, der mir am meisten Ärger und Verhandlungsbemühungen abverlangt hat.

    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass das Schweigekartell tatsächlich durchbrochen wird?

    Baum: Ich kann es nicht sehen. Ich sehe allerdings andere Terroristen, die sich doch sehr selbstkritisch mit ihren Taten auseinandersetzen. Das ist anders bei Klar, nehme ich an. Ich habe nichts gehört darüber. Er äußert sich sozialkritisch. Im letzten Jahr hat er das getan in einer verquasten Weise. Aber das ist auch kein Kriterium. Wir sind weit weg von der Gnadendiskussion, die am Anfang des Jahres stattgefunden hat. Da ging es ja um Gnade. Gnade ist ihm nicht erteilt worden durch den Bundespräsidenten. Der mag seine Gründe gehabt haben. Aber jetzt geht es um formales Recht und es geht auch nicht an, dass ein Politiker wie der Hamburger Innensenator kritisiert, dass jemand, der ein skrupelloser Terrorist war und seine Taten nicht bereut, aus formalen Gründen wieder auf freien Fuß kommt.

    Die formalen Gründe, mit Verlaub gesagt, sind das Grundgesetz. Das muss ganz deutlich gesagt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, nach unserer Rechtsordnung ist eine lebenslange Haft niemals lebenslange Haft, es sei denn, es geht eine Gefahr von dem Täter aus. Jeder hat Anspruch auf Resozialisierung, also auch Christian Klar.

    Heinemann: Herr Baum, wir haben heute Vormittag Bürger in der baden-württembergischen Landeshauptstadt gefragt, was sie von dem Urteil halten.

    O-Töne: "Er hat noch keine Reue gezeigt. Er hat eigentlich nicht richtig dem Terrorismus abgeschworen. Deswegen halte ich es nicht für richtig."

    "Ich kann es schlecht verstehen, weil ich mich immer in die Opfer hineindenke und das widerstrebt mir ein wenig, weil ich das Gefühl habe, in vielen Urteilen sind die Opfer eigentlich Nebensache und der Täter ist das wichtigste."

    Heinemann: Herr Baum, wie wirkt ein solches Urteil auf die Opfer?

    Baum: Das ist wirklich eine schwierige Situation für die Opfer. Das muss man einfach sehen. Das werden die auch schlecht verstehen. Aber wir haben immer gesagt, die RAF-Terroristen sind keine politischen Täter, keine politischen Gefangenen, sondern sie sind normale Kriminelle, wir behandeln sie wie andere Mörder, und jetzt müssen wir sie auch bis zum Ende wie andere Mörder behandeln. Dafür müssen wir bei der normalen Bevölkerung um Verständnis werben. Mit einem normalen Mörder, der aus anderen Motiven gemordet hat, geht das Recht genauso um wie hier mit Christian Klar, auch wenn das viele stören mag, aber ich meine, wir haben die Kraft des Grundgesetzes. Das Grundgesetz setzt auch irgendwann bei einem schwer schuldig gewordenen Menschen auf Resozialisierung.

    Heinemann: Stellen Sie sich vor, Herr Klar bekennt sich in den Medien zu seinen Verbrechen. Zweifeln dann nicht viele Menschen am Rechtsstaat?

    Baum: Zweifel zunächst einmal an der Einsichtsfähigkeit von Herrn Klar, aber man ändert ja nichts daran, wenn man ihn noch länger in Haft lässt. Es gibt ja keine Beugehaft, die zur Reue veranlassen könnte. Das ist ärgerlich, aber das ändert nichts an der korrekten, völlig korrekten Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart.

    Heinemann: Markiert diese Entscheidung den Beginn eines Schlussstrichs unter die Geschichte der RAF?

    Baum: Es gibt ja noch zwei Inhaftierte, zwei Frauen: Frau Rogefeldt und Frau Haule. Schlussstrich würde ich nicht sagen, schon deshalb nicht, weil wir eine ganze Reihe von Mördern nicht kennen. Die Morde an Herrhausen, Braunmühl und Rohwedder und anderen sind nicht aufgeklärt. Wir kennen die Täter nicht und es kann keinen Schlussstrich geben, bevor wir nicht die Schuldigen zur Verantwortung gezogen haben. Politisch ist die Sache allerdings erledigt. Was die Aufarbeitung durch Fahndung und Gerichte angeht, eben noch nicht.

    Heinemann: Herr Baum, Sie haben die so genannte "bleierne Zeit" miterlebt, als Staatssekretär und als Ressortchef im Innenministerium. Hätte der Rechtsstaat damals anders reagieren können, vielleicht sogar müssen?

    Baum: Wenn man sich dieser Frage öffnet, kommt man immer in den Verdacht, man würde die Taten rechtfertigen. Das kann es natürlich niemals sein. Es sind damals Fehler gemacht worden, die Wasser auf die Mühlen des Terrorismus gewesen sind. Man muss sich vorstellen: Hier war aus einer Protestbewegung, die viele Millionen Menschen umfasst hat, junge Menschen vor allen Dingen, etwa 50 Täter ausgeschert und haben zur Waffe gegriffen. Und wir haben uns immer gefragt, was ist da passiert. Haben wir dazu beigetragen, die Stimmung aufzuheizen? Da gibt es solche Elemente, beispielsweise die Tötung des Studenten Ohnesorg in Berlin. Diese gab einen gewaltigen Motivierungsschub auch für die RAF. Einiges hätten wir besser machen können, aber damit ist natürlich keine Tat gerechtfertigt.

    Heinemann: Was kann man daraus lernen für unseren heutigen Umgang mit dem internationalen Terrorismus?

    Baum: Wirklich nüchtern Augenmaß bewahren, die Freiheit, unsere Grundfreiheiten nicht zur Disposition stellen. Wir müssen immer fragen, ist ein Sicherheitsgewinn nicht zu teuer mit Freiheitsverlusten erkauft. Wir schützen das Grundrecht, das Grundgesetz, wir schützen die Würde des Menschen und Zielgröße muss immer die Freiheit sein. Das hat das Verfassungsgericht in einer ganzen Serie von Entscheidungen gesagt. Das heißt, wir müssen uns hüten, die Sicherheitsbelange dominierend in den Vordergrund zu stellen. Die Freiheit wird geschützt und die Freiheit unseres Grundgesetzes, das wir im nächsten Jahr 60 Jahre haben, ist so wichtig, dass wir bei der Bekämpfung des Terrorismus die Freiheit nicht vor die Hunde gehen lassen dürfen.

    Heinemann: Der frühere Bundesinnenminister Gerhart-Rudolf Baum (FDP). Danke schön für das Gespräch.

    Baum: Bitte.