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Baustelle Bildung

Im Ausland erworbene akademische Qualifikation werden in Deutschland häufig nicht oder nur unter schwierigen Bedingungen anerkannt. Künftig sollen Migranten jedoch einen Rechtsanspruch auf zumindest ein Verfahren zur Anerkennung bekommen. Wer darauf nicht warten will, kann auch besondere Qualifizierungsmaßnahmen in Anspruch nehmen, etwa bei der Otto-Benecke-Stiftung.

Von Andrea Lueg |
    "Es war ganz schlimm, warum kann ich auch erzählen: wenn man mit einem starken russischen Akzent spricht vor einer Klasse, dementsprechend wird auch zurückgespiegelt und sie haben natürlich hihi haha gemacht und ich habe gesagt, wenn sie wirklich lachen möchten über meine Sprache, sollen sie das tun. Und das haben sie gemacht, richtig von Herzen und dann war Ruhe."

    Zhanna Gitlevichs erster Tag vor einer deutschen Schulklasse war eine echte Herausforderung. Vor gut sieben Jahren kam sie aus Russland ins Ruhrgebiet, mit einem Lehrerdiplom für Mathe und Informatik in der Tasche, aber ohne die Hoffnung, hier etwas damit anfangen zu können. Denn sie sprach kein Wort Deutsch und schon in der russischen Heimat hatte sie keinen Job als Lehrerin ergattert. Also verbrachte die alleinerziehende Mutter ihre Zeit überwiegend damit, Deutsch zu lernen und lebte von Hartz IV. Bis sie zufällig auf eine Qualifizierungsmaßnahme der Otto-Benecke-Stiftung stieß.

    "Wir laden Lehrer aus sogenannten Drittstaaten ein, zum Beispiel Kasachstan, Sowjetunion, Iran, Irak aber auch Afrika oder Menschen auch aus der EU, die Lehramt studiert haben und hier in den Schuldienst wollen","

    erklärt Jutta Schnippering von der Otto-Benecke-Stiftung. In zwölf Monaten werden die Teilnehmer an dem Kurs auf das erste Staatsexamen vorbereitet. Allerdings wird die Maßnahme nur in Nordrhein-Westfalen angeboten. Für die Anerkennung von Lehramtsabschlüssen aus dem Ausland sind bislang die Länder zuständig und jedes hat dafür seine eigenen komplizierten Regeln. Schon allein daran scheitern viele qualifizierte Migranten.

    ""Wir konzentrieren uns auf Mathematik, Physik, Informatik, Kunst und Sport, es gibt noch weitere Mangelfächer in NRW, aber das sind die Fächer, bei denen die Zuwanderer dadurch, dass es Mangelfächer in NRW sind, auch eine sehr große Chance haben, hinterher tatsächlich in den Schuldienst auch zu kommen."

    Zhanna Gitlevichs russischer Abschluss wird in NRW eingeschränkt anerkannt. Nach dem bestandenen Kurs bei der Stiftung wurde sie zum Referendariat zugelassen. Das hat sie inzwischen an einer Realschule in Essen fast abgeschlossen. Die fachliche Qualifikation ist in den seltensten Fällen ein Problem für die Arbeit im deutschen Schuldienst. Die Sprache dagegen schon. Denn es geht nicht nur darum, sich verständlich zu machen, sondern auch die didaktische Fachsprache zu beherrschen, um das Examen zu bestehen. Beides wird im Kurs trainiert.

    "Und als Zweites muss man sich vertraut machen mit dem hiesigen System, mit dem gesellschaftlichen System und natürlich mit dem Schulsystem, also Menschen, die aus einem totalitären Staat zum Beispiel kommen, haben einfach zunächst eine völlig andere Erfahrung, was die Gestaltung von Unterricht betrifft."

    Nach den Plänen, die das Bildungsministerium im Dezember letzten Jahres vorlegte, soll das Kompetenzwirrwarr bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse bald ein Ende haben. Migranten wie Zhanna Gitlevich würden dann im besten Fall schon bevor sie sich auf den Weg nach Deutschland machten über die Regelungen informiert. Es soll bundeseinheitliche Standards und Kriterien geben und die Verfahren dafür sollen nicht länger als ein halbes Jahr dauern. Ein Gesetzentwurf soll bis Mitte des Jahres vorliegen und das neue Gesetz dann Anfang 2011 in Kraft treten. Jutta Schnippering würde das freuen, denn die deutschen Schulen mit ihrem zum Teil hohen Anteil an Migranten haben durchaus Bedarf an Lehrern wie Zhanna Gitlevich - nicht nur wegen deren fachlicher Qualifikation.

    "Es ist auch durchaus interessant zu sehen, dass jemand, der aus den GUS-Staaten kommt, durchaus eine vermittelnde Rolle, eine informierende Rolle für Menschen aus muslimischen Ländern haben kann. Einfach weil klar ist, der Mensch, der mir gegenübersitzt, hat ein Verständnis für den Wechsel der Kulturen, und versteht, was mein Problem sein könnte."

    Genau die Erfahrung hat Mathelehrerin Gitlevich während ihres Referendariats auch schon gemacht:

    "Natürlich habe ich bemerkt, dass es ein bisschen anderes Verhältnis ist, wenn die Kinder einfach anfangen zu erzählen, ich komme aus Italien, einer kommt aus Griechenland und die andere aus Frankreich und dann ich schäme mich auch nicht, dass ich aus Russland komme, weil ich auch dazu was bringen kann und vor allem in dem Moment, wo die Kinder sagen: oh meine Mutter spricht nicht so gut Deutsch und sie schämen sich für die Eltern und dann kann ich wirklich das nachvollziehen, weil mein Sohn hat das auch gemacht und gesagt, Mama sprich bitte kein Deutsch, du kannst kein Deutsch reden."

    Zhanna Gitlevich hat das Thema mit der ganzen Klasse besprochen:

    "Und nach dem Unterricht war ganz andere Situation in der Klasse. Und ich fand das supergut."

    Und die Schulleitung auch. Ab dem 1. Februar wird die Russin dort in den Schuldienst als ganz normale Lehrerin übernommen.