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Baustelle der Gerechtigkeit

Hans Peter Kaul, ist einer von 18 Richtern am neuen Weltstrafgerichtshof in Den Haag. Derzeit bereitet er alles für seine Wiederwahl vor. Ein Drittel der Richter wird alle drei Jahre ausgetauscht. Sie dürfen maximal neun Jahre im Amt bleiben und nicht wiedergewählt werden. Zur Einführung dieses Rotationssystems mussten die 18 Richter der ersten Stunde ein Los ziehen für drei, sechs oder neun Jahre: Für die Richter, die sich mit mageren drei Jahren zufrieden geben mussten, wurde eine Ausnahme gemacht: Sie dürfen einmal wiedergewählt werden, in New York von den 100 UNO-Botschaftern der ICC-Vertragsstaaten. Nur wer eine Zwei-Drittel-Mehrheit erhält, darf im Amt bleiben. Zu den betroffenen Richtern gehört auch Hans Peter Kaul. Kerstin Schweighöfer stellt ihn und seine Arbeit vor.

    Richter Hans Peter Kaul bespricht mit seiner Sekretärin die Planung der nächsten Wochen: Mindestens einmal noch will der 62-Jährige vor den Wahlen Ende Januar nach New York reisen. Von einem Wahlkampf, wie ihn Politiker führen, könne zwar keine Rede sein, betont der höfliche, elegant gekleidete Mann. Doch er müsse sich schon eine Lobby aufbauen, um das Vertrauen der UNO-Botschafter der insgesamt 100 Vertragsstaaten zu gewinnen: Für eine Wiederwahl braucht der engagierte Völkerrechtsexperte mindestens zwei Drittel ihrer Stimmen:

    "Aber ich muss schon versuchen, die Wähler, das sind die Botschafter der Vertragsstaaten in New York, davon zu überzeugen, dass ich nicht drei Jahre am Strand von Scheveningen spazieren gegangen bin, sondern hier mich nach Kräften angestrengt habe."

    Der neue Gerichtshof wird dann aktiv, wenn die Vertragsstaaten selbst nicht willens oder fähig sind, mutmaßlichen Kriegsverbrechern den Prozess zu machen oder wenn der Sicherheitsrat die Ankläger in Den Haag auffordert, zu ermitteln. Die USA gehören zu den vehementesten Gegnern des neuen Hofes; sie möchten unter allen Umständen verhindern, dass sich US-Soldaten jemals in Den Haag verantworten müssen. Ein ernstes Problem, findet Kaul. Dennoch ist er optimistisch:

    "Die USA wären ein ungeheurer Zuwachs an Potential für den Strafgerichtshof, ganz klar - aber wir können überleben, und wir können zeigen, dass wir funktionieren auch ohne die USA."

    So etwa ist gerade Mexiko als der 100. Vertragsstaat beigetreten. Japan arbeite auf die Ratifikation hin. Und sogar China betrachte sich als Freund des Hofes. Für Kaul ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die USA klein beigeben:
    "Es gibt schwierige Momente. Sie müssen schon das Temperament und die Einstellung eines Langstreckenläufers haben, wenn Sie an diese Institution glauben."

    Immerhin habe Washington nicht von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht, als der Sicherheitsrat den neuen Gerichtshof mit einer entsprechenden Resolution erstmals aufforderte, einzugreifen – und zwar in Darfur, im Westen des Sudan, wo ein barbarischer Bürgerkrieg wütet.

    "Gegenüber einer so legitimen Angelegenheit, das zeigt eben auch dieser Vorgang der Resolution, fällt es auch den USA schwer, nein zu sagen und das durch ein Veto zu verhindern. Das ist nicht geschehen."

    Führende amerikanische Juristen weiß Kaul längst hinter sich: So etwa hat es sich die bedeutendste Völkerrechtszeitschrift der USA, das weltweit renommierte "American Journal of international law", trotz der ablehnenden Haltung ihrer Regierung nicht nehmen lassen, einen Artikel von Kaul zu veröffentlichen. Darin zieht er über seine Arbeit in Den Haag Bilanz. Der Titel: "Baustelle für mehr Gerechtigkeit".
    "Wir sind eine Baustelle für mehr Gerechtigkeit, wir sind noch kein fertiges Gebäude, wir sind noch keine funktionierende Fabrik."

    Zwar laufen die Ermittlungen in gleich drei Fällen auf Hochtouren. Neben Darfur auch in Uganda und im Kongo. Sichtbar allerdings wird die Arbeit des neuen Hofes erst mit dem Eintreffen der ersten Angeklagten werden. Doch bei Verhaftungen ist das Weltgericht auf die Mitarbeit der Vertragstaaten angewiesen; eigene Polizeitruppen hat es nicht – auch das ein ungeheures Handicap, findet Kaul:

    "Und es bleibt jetzt abzuwarten, ob diejenigen Staaten, die uns unterstützt haben und diese Resolution zustande gebracht haben, ob die nun wirklich dem Strafgerichtshof die Stange halten. Das wäre wünschenswert. Warten wir mal ab."

    Dass sich der neue Hof bewähren wird, steht für den deutschen Völkerrechtsexperten trotz allem außer Frage. In 50 Jahren, so prophezeit er, werde die Menschheit über die jetzigen Probleme nur noch verwundert den Kopf schütteln:

    "Dann wird man sagen: 'Na ja, also, das hat ja am Anfang ganz schöne Schwierigkeiten gegeben, es hat gehagelt und es hat geklemmt, und die Staaten haben ihre Pflicht nicht getan und haben den Strafgerichtshof nur zögernd unterstützt. Gott sei Dank, dass dies allmählich überwunden worden ist!' Das ist meine Prognose und dafür arbeite ich."