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Baustelle Europa: Der Brüsseler Gipfel und die Folgen

Zunächst war es ein Europa der 17 plus sechs - dann wurde die Vereinbarung des EU-Gipfels geändert: 26 Staaten ex Großbritannien wollen nun eine Fiskalunion schmieden. Ein Live-"Hintergrund" mit Studiogast Josef Janning vom European Policy Centre über den wohl größten Schritt der EU seit den Lissabon-Verträgen.

Thilo Kößler im Gespräch mit Josef Janning | 09.12.2011
    Thilo Kößler: Am Mikrofon begrüßt Sie Thilo Kößler, ich wünsche Ihnen einen schönen guten Abend.

    "Man kann sagen, es ist der Durchbruch zur Stabilitätsunion. Die Stabilitätsunion, die Fiskalunion wird schrittweise in den nächsten Jahren fortentwickelt werden, aber der Durchbruch in diese Union ist jetzt geschaffen."

    Thilo Kößler: Bundeskanzlerin Angela Merkel heute Nachmittag in Berlin nach einer dramatischen Verhandlungsnacht in Brüssel – die Antwort auf die Finanz- und Schuldenkrise, die immer mehr zur Euro-Krise wird, ist eine Fiskalunion der 17 Euro-Staaten innerhalb der EU. Im März wollen diese 17 einen Vertrag für Haushaltsdisziplin unterzeichnen, dem sich anschließend neun weitere EU-Staaten anschließen werden. Allein Großbritannien will sich dem neuen Vertragswerk nicht anschließen. Der innenpolitische Druck für den britischen Regierungschef David Cameron war wohl einfach zu groß.

    "Ich denke, da hat es schon gute Fortschritte gegeben und ich wünsche meinen Kollegen auch viel Erfolg. Der Faden zwischen uns wird auch nicht abreißen, aber am Ende des Tages lautet meine Entscheidung, dass das Angebot für Großbritannien nicht hinreichend war und deshalb ist es gut, wenn die Länder unter sich einen neuen Vertrag schließen."

    Thilo Kößler: David Cameron und das NEIN zur neuen Fiskalunion. Was haben die jüngsten Beschlüsse zu bedeuten für die Stabilität des Euro, für die Zukunft der Währungsunion, ja für die Stabilitätsunion der EU insgesamt. Es tun sich viele Fragen auf, die wir in den nächsten 20 Minuten aufgreifen wollen. Josef Janning wird uns dabei helfen. Josef Janning ist der Direktor der unabhängigen Gedankenschmiede des European Policy Centers mit Sitz in Brüssel. Guten Abend Herr Janning.

    Josef Janning: Guten Abend Herr Kößler!

    Thilo Kößler: Nach einem gefühlten Dutzend Gipfeltreffen zur Beilegung dieser Krise, deren Wirkung an den Märkten verpuffte, soll nun eine Fiskalunion das Steuer herumreißen. Ist das ein vielversprechender Griff in den Werkzeugkasten?

    Josef Janning: Ja, das ist eine Strategie für die mittlere Sicht. Kurzfristig wird ja das Krisenmanagement weiter gehen, aber mittelfristig geht es darum, die Bedingungen zu schaffen, unter denen dann das Füreinandereinstehen der Mitgliedsstaaten in dieser Schuldenkrise möglich sein wird. Das ist an Bedingungen geknüpft gewesen, und diese Bedingungen sollen in einem eigenen neuen Vertrag umgesetzt werden.

    Thilo Kößler: Lesen Sie denn diese Beschlüsse als ein Signal der schleichenden politischen Erosion der Europäischen Union oder als ein Signal der Isolation Großbritanniens?

    Josef Janning: Eher das Zweite. So, wie es ja heute Abend aussieht, sind es ja 26 Staaten, die diesen Weg gehen wollen und über die nächsten Monate miteinander verhandeln wollen, sodass in der Tat nur Großbritannien abseitssteht; die anderen sind ja deswegen nach dieser Verhandlungsnacht dazu gekommen, um nicht außen vorzustehen, um dran zu bleiben.

    Thilo Kößler: Diese Fiskalunion soll sich auf strengere Haushaltsregeln stützen, auf gemeinsame Schuldenbremsen, auf einen Strafkatalog für Schuldensünder. Jörg Münchenberg schaut sich den Maßnahmenkatalog an.

    Die Reaktion der Märkte auf die Beschlüsse des EU-Gipfels fiel heute relativ klar aus: Erleichterung, dass überhaupt etwas passiert, aber eben auch Enttäuschung. Von einem Durchbruch könne keine Rede sein – diese Einschätzung war heute oft zu hören. Der Börsenhändler Oliver Roth von Close Brothers Seydler:

    "Das große Zittern geht jetzt natürlich weiter. Denn wir haben ja auf der einen Seite die großen Ratingagenturen, die uns unter Druck setzen. Auf der anderen Seite haben wir natürlich die Schuldenkrise, die erst einmal nicht gelöst sein wird. Von daher haben wir das ganze Problem, wenn man so will, nach hinten geschoben. Deshalb wird es auch weiterhin die Börsen beschäftigen und belasten."

    Noch sind viele Details unklar, ebenso die konkrete Umsetzung der Beschlüsse. Hier werden die Experten in den nächsten Tagen und Wochen noch einiges nachliefern müssen. Fest aber steht: Die 17 Euroländer werden sich über einen zwischenstaatlichen Vertrag zu mehr Haushaltsdisziplin verpflichten. Das heißt konkret: Die Euroländer werden, wo noch nicht geschehen, eine gesetzlich fixierte Schuldenbremse einführen.

    Der Europäische Gerichtshof soll dabei über die Umsetzung in nationales Recht wachen. Bei einer Überschreitung der Drei-Prozent-Defizitgrenze sollen künftig fast automatisch Sanktionen greifen, die – und das ist neu, nur mit einer qualifizierten Mehrheit der EU-Finanzminister gestoppt werden können. Deutschland hatte ursprünglich jedoch einen bedingungslosen Automatismus gefordert, konnte sich hier aber nicht durchsetzen. Das gilt auch für die Forderung, dass der Europäische Gerichtshof nationale Haushalte für rechtwidrig erklären kann – davon ist ebenso keine Rede mehr. An der Börse ist man ohnehin grundsätzlich skeptisch. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Barclays Capital:

    "Regeln zur Haushaltsdisziplin gab es vorher schon und die sind nicht eingehalten worden. Und das muss jetzt umgesetzt werden."

    Doch auch an anderer Stelle konnte sich Deutschland durchsetzen. Euro-Bonds, wie von vielen gefordert - also die Ausgabe von europäischen Staatsanleihen durch besonders potente Eurostaaten, wird es vorerst nicht geben. Im Entwurf zur Erklärung war hier noch ein Fahrplan zur Einführung von Euro-Bonds vorgesehen – im Abschlussdokument taucht er jedoch nicht mehr auf. Ebenfalls vom Tisch ist eine Geldlizenz für den permanenten Rettungsfonds ESM, dessen Einführung jetzt um ein Jahr auf 2012 vorgezogen wird. Erstmals wird der neue Rettungsschirm mit Eigenkapital von 80 Milliarden Euro unterlegt und soll damit auch mehr Glaubwürdigkeit haben als der eilig in der Krise geborene Hilfsmechanismus EFSF. Dessen Schlagkraft wiederum soll zunächst auf 750 Milliarden Euro gehebelt werden – eine baldige Aufstockung auch des permanenten Rettungsschirms ESM lehnte die Kanzlerin heute klar ab:

    "Ich habe immer gesagt, ich glaube nicht, dass die Lösung allein in der Bereitstellung von finanziellen Ressourcen liegt. Ich glaube, dass alles nur zu einem Ziel führt, wenn wir uns Schritt für Schritt den Ursachen dieser Krise nähern."

    Und das heißt aus Merkels Sicht: Die Fiskaldisziplin muss deutlich gestärkt werden, ebenso die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer. Dennoch wollen sich die Euromitgliedsländer nicht alleine auf die eigenen Instrumente verlassen. Auch der Internationale Währungsfonds soll über die nationalen Notenbanken zusätzliche Mittel über 200 Milliarden Euro erhalten, die der Fonds dann wiederum zur Krisenbekämpfung einsetzen könnte. Doch auch hier gilt: Details sind noch offen. Unklar ist aber auch die künftige Rolle der Europäischen Zentralbank, die in der Schuldenkrise längst eine zentrale Rolle spielt. EZB-Chef Mario Draghi lobte heute die Gipfelbeschlüsse, hielt sich ansonsten aber bedeckt. Nicht zuletzt, in welchem Umfang die Währungshüter weiter Staatsanleihen von klammen Schuldenstaaten aufkaufen werden.

    Doch genau hier setzt der Hauptkritikpunkt der Anleger an: Sie wollen eine schnelle und vor allem eine große Lösung mit Rückgriff auf die unbegrenzte Feuerkraft der Europäischen Zentralbank. Zumal in den nächsten Wochen erneut Staatsanleihen im dreistelligen Milliardenumfang fällig werden. An dieser Stelle sind sich ohnehin die meisten Beobachter einig: Trotz der heutigen Fortschritte in Brüssel in Richtung Fiskalunion wird die Europäische Zentralbank in der Schuldenkrise – ob gewollt oder nicht – weiter im Mittelpunkt stehen und auch an den Börsen wird es so schnell keine Ruhe geben.


    Thilo Kößler: Jörg Münchenberg zur Frage der Fiskalunion, die die Währungsunion stabilisieren soll. Herr Janning, wie groß ist der Schritt von der Währungsunion zur Fiskalunion. Ist das ein echter, politischer Integrationsschritt?

    Josef Janning: Das ist schon ein beträchtlicher Schritt, denn er ändert den Status Quo an zwei Elementen. Zum einen auf der Ex-post-Ebene, das heißt, Sünder im Nachhinein zu bestrafen – das war bisher ein Schwachpunkt des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Dies wird in dem künftigen Vertrag wahrscheinlich sehr viel durchgreifender, automatischer sein. Wahrscheinlich wird die Kommission mit ihrem Urteil da einen solchen Prozess selbst schon auslösen können. Die andere Seite ist die Ex-ante-Seite, das heißt, bevor es zu einer Defizitüberschreitung kommt, wird durch die Stärken des europäischen Semesters, also der Koordination der Strukturreform der Mitgliedsstaaten und der entsprechenden Haushaltsentwürfe, die sollen so weit wie möglich verbindlich gemacht werden für die nationalen Parlamente.

    Thilo Kößler: Inwieweit ist denn eine weitere Integration schon vorgegeben; inwieweit wird denn aus der Fiskalunion eine politische Union, eine Sozialunion, eine Rentenunion?

    Josef Janning: Am Budget hängt ja vieles. In dem Moment, wo das Budget gedeckelt ist, dann müssen sich die Staaten in den Instrumenten, die sie in der Hand haben, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Effizienz zu stärken, bewegen. Das bedeutet: Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Rentenpolitik, möglicherweise auch Steuerpolitik, Steuerharmonisierung. Das heißt, man sieht, hier setzt ein Prozess ein, der immer mehr Elemente der bisherigen innenpolitischen Politikbereiche erfassen wird und europäisieren wird.

    Thilo Kößler: Und das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt, inwieweit gehen noch mehr Kompetenzen nach Brüssel – damit zusammenhängend dann die Frage: Wird sich das Spannungsfeld zwischen Politik und Recht noch weiter verschärfen, denn das Bundes-Verfassungsgericht hat bei uns ja auch noch ein Wörtchen mitzureden in der Europa-Politik. Max Steinbeis mit Einschätzungen.

    Bislang hatte bei der Euro-Rettung die Politik weitestgehend das Heft des Handelns in der Hand. Die Juristen standen am Rande und sahen zu. Doch jetzt, da der Beschluss steht, aus der Euro-Zone eine Fiskalunion als neues europarechtliches Gebilde zu schmieden – innerhalb der bestehenden Verträge oder außerhalb der Architektur der EU, da schlägt die Stunde der Rechtsexperten: Wie wird das umgesetzt? Erlaubt das Grundgesetz das überhaupt? Und das Europarecht? Das sind Fragen, die Juristen beantworten müssen. So viel kann man bei aller Vorsicht angesichts der vielen Ungewissheiten sagen: Die Antworten verheißen der neuen Fiskalunion alles andere als einen reibungslosen Start. Die erste Frage, die sich juristisch stellt: Wenn der Vertrag für die Fiskalunion fertig ist, wie wird er in Deutschland ratifiziert – als völker- oder als europarechtlicher Vertrag? Das ist mehr als nur ein technisches Problem: Es geht um die Rolle, die die Volksvertreter im Bundestag dabei spielen sollen. Franz C. Mayer, Europarechtsprofessor in Bielefeld, erklärt den Unterschied so:

    "Bei Änderungen der EU-Verträge, also bei der europarechtlichen Veränderung, werden Parlamentarier schon sehr früh, nämlich bei der Aushandlung der Verträge eng eingebunden. Sie müssen sogar eingebunden werden. Wenn man das Ganze als völkerrechtlichen Vertrag anlegt, dann bleibt die Verhandlung im Wesentlichen Sache der Bundesregierung. Der Bundestag hat dann vielfach nur die Möglichkeit das Ergebnis abzunicken. Vor allem aber ist es so, dass bei Änderungen zuletzt immer die Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat erforderlich war. Das heißt hier konkret, dass die Opposition über den Bundesrat ein Wörtchen mitreden kann."

    Viel spricht dafür, dass die Bundesregierung das Parlament möglichst draußen halten will. So hat sie es auch schon beim Euro-Rettungsfonds ESM praktiziert: Da stellte sich die Regierung auf den Standpunkt, es handle sich nicht um EU-Recht im engeren Sinne. Die Parlamentarier wurden mündlich informiert, bekamen aber nicht einmal die schriftlichen Dokumente ausgehändigt, die mussten sie sich von ihren österreichischen Kollegen besorgen. Die Grünen haben gegen diese Behandlung in Karlsruhe geklagt. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass das Bundesverfassungsgericht die Regierung daran erinnert, dass auch die Währungsunion Teil des Europarechts ist und der Bundestag seine europapolitischen Rechte geltend machen können muss. Noch grundlegender ist aber die nächste juristische Frage: Ist so etwas wie eine Fiskalunion nach dem Grundgesetz überhaupt erlaubt? In seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag hat das Bundesverfassungsgericht erkennen lassen, dass es für weitere Kompetenzübertragungen nach Europa kaum Spielraum sieht. Hier geht es um die Haushaltsautonomie – um das Recht der Deutschen und ihres Parlaments, selbst darüber zu bestimmen, wie viel Geld Deutschland ausgibt, und wofür. Die Fiskalunion fordert von all ihren Mitgliedern, Schuldenbremsen einzuführen. Das ist in Deutschland ohnehin schon der Fall, deshalb kann da kein Problem entstehen. Aber es gibt auch andere Punkte, die die deutsche Haushaltsautonomie tangieren könnten, wie Professor Mayer erklärt:

    "Hier stellen sich in der Tat Fragezeichen aus verfassungsrechtlicher Sicht. Die bestehen insbesondere im Hinblick auf die Verschärfung der Defizit-Sanktionen. Die qualifizierte Mehrheit im neuen Rettungsschirm-Mechanismus ESM, die anstatt von Einstimmigkeit eingeführt werden wird, und bei der Genehmigung des nationalen Haushaltsentwurfs durch die Kommission, sofern das als verbindliche und nicht nur als konsultative Sache angesehen wird."

    Heikel wird die Sache dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht die Haushaltsautonomie am allerhöchsten Haken aufhängt, den das Grundgesetz überhaupt bietet – dem Demokratieprinzip. Die demokratische Selbstbestimmung der Deutschen über ihre Ein- und Ausgaben darf nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch durch Verfassungsänderung nicht eingeschränkt werden – sie ist durch die sogenannte "Ewigkeitsklausel" geschützt. Ob die Richter in Karlsruhe, die andererseits selbst die Europafreundlichkeit des Grundgesetzes mit größtem Nachdruck betonen, tatsächlich so weit gehen würden, die Ratifikation der Fiskalunion zu verbieten, ist damit noch nicht gesagt. Aber ausschließen lässt es sich nicht. Dann bliebe nur noch ein Weg – ein neues Grundgesetz, das den Weg in die Fiskalunion von vornherein zulässt. Franz Mayer:


    "Das ist noch weitgehend unklar. Der verfassungsrechtliche Gehalt von Artikel 146 Grundgesetz, der hier eine Rolle spielen könnte, es handelt sich um die letzte Bestimmung des Grundgesetzes, ist überhaupt noch nicht erkennbar. Jedenfalls, wenn man Artikel 146 anschaut, ist es nicht zwingend, dass eine Volksabstimmung erfolgen muss. Man könnte auch einen erneuten parlamentarischen Rat, wie man das 1949 gehabt hat, einrichten oder einen Verfassungskonvent einberufen."

    Doch nicht nur das deutsche Verfassungsrecht macht Schwierigkeiten, sondern auch das Europarecht: Das fängt schon bei der Frage an, über welche Institutionen die Fiskalunion verfügen soll. Von Kommission, Parlament und Gerichtshof der EU kann sie nicht ohne Weiteres Gebrauch machen: Die gehören zur EU, die weiter von 27 Mitgliedsstaaten gebildet und finanziert wird. Die Angelegenheiten der 17 Euro-Länder wurden zwar bisher auch im EU-Rahmen mitbehandelt – aber gegen den Willen von Kommission, Parlament und an der Fiskalunion nicht beteiligter Mitgliedsstaaten wie Großbritannien, ließe sich das kaum fortsetzen. Zumal sie diese starken rechtlichen Argumente auf ihrer Seite hätten, wie Franz Mayer erläutert:

    "Denkbar ist, dass der EuGH eingeschaltet wird. Der EuGH kann dann überprüfen, ob die Unionstreue eingehalten wurde, die in Artikel Absatz 3 des EU-Vertrages niedergelegt worden ist. Das ist im Kern die Pflicht, die EU-Verträge nicht zu sabotieren. Dann wäre der EuGH zentraler Akteur, und er hat sich in der Vergangenheit schon als nicht zimperlich gezeigt, wenn es um die eigene Bedeutung geht. Er hat schon mehrfach bewiesen, dass er in solchen Fällen dann externe Absprachen, andere Verträge, die seine Rolle berühren, beanstandet. Aber ob er tatsächlich die Verantwortung auf sich nehmen würde, im letztendlichen Richtungskonflikt zwischen Großbritannien und dem Rest der EU, Partei zu ergreifen, erscheint mir doch recht fraglich. "

    Wenn alle rechtlichen Stricke reißen, was dann? Dann müsste die Fiskalunion sich institutionell komplett neu erfinden. Ob sie die Struktur der EU kopiert mit einer starken Kommission im Zentrum, ob sie zu einer politischen Union mit wirklicher europäischer Regierung und Parlament wird, oder ob sie es bei einem bloßen Projekt der nationalen Regierungen belässt – das ist keine juristische Frage. Dann liegt der Ball wieder im Feld der Politik.

    Thilo Kößler: Max Steinbeis war das über deutsche Europapolitik zwischen politischem Wunsch und rechtlicher Wirklichkeit. Herr Janning, welche Ratifikationsrisiken sehen Sie denn auf europäischer Ebene?

    Josef Janning: Dieser Vertrag mus ja in allen Staaten, die ihn anwenden wollen, ratifiziert werden. Einige Staaten - Irland ganz sicherlich - werden dazu ein Referendum veranstalten. Und wir wissen aus Referenden, dass die anders ausgehen können, das heißt, darin liegen auch noch gewisse Risiken. Es kommt sehr viel darauf an, mit welchem Momentum und auch mit welcher Geschlossenheit die 26 dann in die Vertragsverhandlungen gehen.""

    Thilo Kößler: Max Steinbeis hat in seinem Beitrag gerade dieses schwierige Konstrukt der europäischen Architektur, der Institution der Architektur angesprochen; gibt es denn die Befürchtung, dass sich mit diesem Vertrag eine Veränderung, massive Veränderung dieses Konstruktes, dieses Balance-Verhältnisses auch verbindet?

    Josef Janning: Wir haben in der heutigen Währungsunion auch schon so eine Art Sonderkonstruktion. Es ist ja eine Währungsunion der 27, die nicht von allen realisiert wird, und trotzdem funktioniert sie innerhalb der bestehenden Institutionen. Auf der Ratsseite gibt es kein Problem. Die größte Problematik stellt das Europäische Parlament dar; die Kommission müsste ja in diesem erweiterten Mechanismus nur das machen, was sie bisher auch macht. Neu wäre ja, dass die Verbindlichkeit dieser Aussagen und dieser Einschätzungen der Kommission für die teilnehmenden Staaten eine andere, eine höhere wäre.""

    Thilo Kößler: Muss das Europäische Parlament um die Rechte fürchten, die es sich schwer erkämpft hat?

    Josef Janning: Ja, das Europäische Parlament wird sowohl bei den Verhandlungen außen vor sein, als es auch da um einen Vertrag unter Staaten geht, die in der eigentlichen Durchführung, Implementierung, eher am Rande stehen. Man wird sehen müssen, inwieweit sich Regelungen finden lassen, die das Europäische Parlament immer wieder ins Spiel bringen, indem freiwillig dann die 26 das Parlament intensiv informieren und auch konsultieren."

    Thilo Kößler: Hier wurde wieder ein Vertrag hinter verschlossenen Gipfeltüren geschmiedet. Inwieweit befürchten Sie denn, Herr Janning, dass sich mit dieser Art und Weise tatsächlich ein anhaltendes Demokratie-Defizit verbindet?

    Josef Janning: Es wäre besser und wahrscheinlich demokratisch besser legitimierbar, man hätte einen Konvent gemacht. Das wird angesichts der Materie und der Zeit wohl nicht möglich sein. Der Vertrag muss ja ratifiziert werden. Die nationalen Parlamente sind mit ihrer demokratischen Entscheidung uneingeschränkt beteiligt. Das Europäische Parlament bleibt außen vor. Das ist in der Tat ein Nachteil. Es wird auf die längere Sicht ohnehin sich die Frage stellen, ob das Europäische Parlament in seiner heutigen Zusammensetzung, in seiner heutigen rechtlichen Basis, tatsächlich einmal ein ebenso gutes Legitimations-Instrument sein kann, wie es die nationalen Parlamente sind.

    Thilo Kößler: Das war unser Hintergrund mit Ein- und Ausblicken auf der Baustelle Europa. Ich bedanke mich bei Josef Janning, dem Direktor des Brüsseler Instituts European Policy Center. Vielen Dank, dass Sie ins Studio gekommen sind und ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Interesse.

    Themen:
    Jörg Münchenberg - Reicht die Fiskalunion zur Rettung des Euro? (MP3-Audio)

    Maximilian Steinbeis - Fiskalunion und Ratifizierung. Rechtliche Problem in Deutschland und Europa (MP3-Audio)

    Mehr zum Thema:
    Sammelportal dradio.de: Euro in der Krise