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Baustoff aus der Natur

Chemie. – Kunststoffe sind in der modernen Gesellschaft bisher allgegenwärtig gewesen. Doch mit der drastischen Preissteigerung beim Rohstoff und dem wachsenden Umweltbewusstsein geraten sie zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Natürliche Alternative, lange Zeit als Produkte der Öko-Nische belächelt, werden dagegen zunehmend attraktiv.

Von William Vorsatz |
    Draußen vor der Werkshalle stehen drei große Silos. Sie sind vollgefüllt mit gehäckselten Hanfpflanzen. Davon können die Wissenschaftler sich soviel abfüllen, wie sie gerade brauchen. Drinnen zeigt Ingenieur Ralf Pecenka auf eine Tonne:
    "Das ist jetzt hier der Rohstoff, so, wie er feucht konserviert dann vorliegt, wie wir ihn aus dem Silo entnehmen. Da hat man diese klein gehäckselte Hanfpflanze, hier auf ein Zentimeter gehäckselt, und dazwischen findet man immer noch diese Fasern, die die eigentlichen, sagen wir mal höherwertigen Bestandteile dieser Hanfpflanze darstellen, die eine sehr hohe Festigkeit haben."

    Den Hanf in Silos aufzubewahren, das ist neu: ein patentiertes Verfahren, gemeinsam entwickelt vom Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim und der TU Dresden. Früher musste der Hanf zunächst vier bis acht Wochen auf dem Acker trocknen. Das war aufwendig und riskant. Bei schlechtem Wetter konnte die Ernte verderben. Jetzt werden die Pflanzen gleich nach dem Ernten abtransportiert. Pecenka:

    "Beim Konservieren ist das Ziel, dass man jeglichen Verderb, also jegliche Schädigung dieser geernteten, gehäckselten Pflanzenmasse verhindert. Und das wird bei uns so gemacht, dass das Material luftdicht in einem Silo gelagert wird. Was passiert, ist, dass in dem Hanf Zucker mit drin ist, und dieser Zucker wird zu Säuren umgesetzt. Zu Gärsäuren, und die tragen gleichzeitig dazu bei, dass das Material stabil gelagert wird, kann man sich als Laie ähnlich vorstellen wie Sauerkraut."

    Ein weiterer Vorteil: bestimmte Klebesubstanzen, die im Hanf enthalten sind, werden im Silo aufgeschlossen. Dadurch brauchen die Verfahrenstechniker später weniger Klebstoff, um die Hanffasern zu binden. Weil die Hanfpflanzen zwischendurch nicht getrocknet werden müssen, lässt sich die Ausbeute der Pflanzen um 20 Prozent steigern. Und jeder dritte Arbeitsschritt entfällt. Das senkt die Verarbeitungskosten. Je nachdem, wie dicht das Hanf-Klebstoff-Gemisch gepresst wird, kommen am Ende verschiedene Werkstoffe heraus. Lockere Dämmstoffe etwa, oder hochfestes Oberflächenmaterial. Professor Christian Fürll:
    "Wir sehen hier vor uns ein Türblatt, und dieses Türblatt ist hergestellt aus konserviertem Hanf, dieses Türblatt hat eine höhere Festigkeit, als wenn es aus Holz hergestellt wäre. Als Bindemittel können wir hier sowohl biologische Bindemittel einsetzten, da kommen also in erster Linie Stärke oder bestimmte Zellulosearten in Frage, wir können sie natürlich auch aus synthetischen Bindemitteln herstellen."

    Synthetische Kleber garantieren immer noch eine höhere Festigkeit. Natürliche aber lassen sich umweltschonender herstellen. Für die Produktion der Naturprodukte wird nur ein Zwanzigstel an fossilen Energien benötigt. So wird auch der Kohlendioxid-Ausstoß erheblich senkt. Nach dem Gebrauch kann das Material einfach kompostiert werden. Oder verheizt. Dann lassen sich hier noch einmal fossile Brennstoffe einsparen. Auch gesundheitlich sind die Naturstoffe unbedenklicher. Fürll:

    "Dämmstoffe oder auch Baustoffe aus Naturfasern haben während der Verarbeitung nicht die krebserregende Wirkung wie zum Beispiel die Stäube, die von Glasfasern herrühren. Oder ein weiterer Aspekt ist, als einmal in einem großen deutschen Flughafen ein Brand entstanden ist, da bilden sich aus diesen erdölbasierten Kunststoffen giftige Gase, die wir in so einem Havariefall bei Naturfaserprodukten nicht haben."

    Hanffasern haben die Reißfestigkeit von Stahl. Dabei sind sie leicht. Das macht sie für die Industrie besonders interessant. Beispielsweise als Bauteile von Autos, etwa im Armaturenbrett oder in der Türverkleidung. Oder beim Flugzeugbau. Tragende Teile von Brücken lassen sich ebenfalls leichter aus dem Naturprodukt konstruieren. Bisher war die Herstellung jedoch recht aufwendig und damit teuer. Mit dem neuen Produktionsverfahren sollen sich die Kosten jedoch halbieren.