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Bayerische Räterepublik
Kurt Eisners Katz-und-Maus-Spiel mit der Presse

Als Revolutionäre vor 100 Jahren den Freistaat Bayern ausrufen, gibt es von einem Tag auf den anderen Pressefreiheit. Wenig später kursieren zahlreiche Falschmeldungen - und der Vorwurf der "Lügenpresse" taucht auf.

Von Susanne Lettenbauer | 27.12.2018
    Titelseite der "Roten Hand", einer Münchener Revolutionszeitung von 1919
    Die "Rote Hand" war eines von mehreren Revolutionsblättern, die nach dem Ersten Weltkrieg erschienen. (Deutschlandfunk/Susanne Lettenbauer)
    "Hier eine Sonderausgabe der 'Neuen Zeitung' direkt am Tag nach der Ermordung von Kurt Eisner mit einem Portrait von ihm als Holzschnitt." Medienhistorikern Elisabeth Angermair blättert im Münchner Stadtarchiv durch vergilbte Seiten bayerischer Lokalzeitungen. Manipulation in Umbruchzeiten? Kein einfaches Thema.
    Keine Zensur mehr nach dem Krieg
    November 1918: Tatendrang nach vier Jahren Weltkrieg, ein Ende medialer Durchhaltepropaganda und Pressezensur, ein Ende der Monarchie. Schluss mit der Hofberichterstattung. Endlich können die Redakteure ab November 1918 eigene Themen setzen, hat Angermaier recherchiert - und das merkt man den Texten der auflagenstärksten, überwiegend gutbürgerlichen Presse an. Auf der linken Seite die "Münchner Neuesten Nachrichten", Vorläufer der "Süddeutschen Zeitung" und bürgerlich-liberal eingestellt. Dann die "Münchner Zeitung", das konservative Volksblatt für den Mittelstand und die sozialdemokratische "Münchener Post". Am eher rechten Rand der "Bayerische Kurier", katholisch-patriotisch.
    Gleich einen Tag nach der Ausrufung des Freistaats Bayern setzt Kurt Eisner die Pressefreiheit wieder ein - eine Selbstverständlichkeit für ihn als früheren Journalisten der sozialdemokratischen Zeitschrift "Vorwärts", noch heute die Parteizeitung der SPD. Man informiert über Veranstaltungen. Die Münchner Redakteure, auch der sozialdemokratischen "Münchener Post", begleiten die Bildung der Arbeiter- und Soldatenräte mit verhaltenem Interesse. Von Manipulation - noch - keine Spur.
    "Man glaubt uns nicht mehr"
    Der Grund für die anfängliche mediale Zurückhaltung in politischen Fragen? Spätestens mit Ende des verlorenen Krieges stehen die Journalisten vor einem Glaubwürdigkeitsproblem.
    "So richtig hat auch die Münchner Bevölkerung erst im Spätsommer 1918 bemerkt, wie sehr sie belogen wurde. Da ist ein wirklich ganz großes Misstrauen gegen die Presse entstanden. Und auch die Redakteure wussten das. Es gab da noch Besprechungen mit der Regierung, wie bereitet man jetzt die Bevölkerung vor, dass es doch keinen Sieg gibt. Da haben die Journalisten auch dann irgendwann gesagt: Man glaubt uns nicht mehr."
    Revolutionäre besetzen Medienhäuser
    Zum ersten Mal kommt der Begriff "Lügenpresse" auf. Also berichten die Medien anfangs wohlwollend über die Revolutionäre wie den späteren ersten Ministerpräsidenten Bayerns, Kurt Eisner. Aber nicht lange: "Die Presse, also die überwiegend bürgerliche Presse in München, ist dann, Kurt Eisner hat es selbst mal gesagt, die ersten acht bis zehn Tage ist man sehr vorsichtig mit ihm umgegangen oder respektvoll mit ihm umgegangen und dann aber nicht mehr."
    Professionelle Medienarbeit kannten die Revolutionäre von 1918 nicht. Lieber besetzen sie am 6. Dezember gleich ganz die Verlagshäuser, zwangen die Journalisten, fremde Texte zu drucken, versuchten, die Presse zu manipulieren. Kleinere Revolutionsblättchen wie "Süddeutsche Freiheit" oder "Rote Hand" ploppten auf und verschwanden gleich wieder.
    Manipulative Karrikaturen und fragwürdige Bildunterschriften
    Die Medienhäuser schlagen spätestens Ende November zurück und Regierungschef Eisner reagiert: "Ich habe die Gelegenheit mit einigen Zeitungsmachern zu sprechen, die in ihren Blättern verstärkt auf Lügen und Verleumdungen setzen. Das hier habe ich ihnen mit Nachdruck gesagt: Viereinhalb Jahre habt ihr die Zensur geduldet. Habt euch anlügen lassen. Und jetzt, wo ihr die Freiheit habt, da unterstützt ihr sie nicht, sondern missbraucht sie."
    Es beginnt ein Katz-und Maus-Spiel zwischen den Münchner Medien und der neuen Regierung. Eisner hätte einen ganz anderen Namen und käme aus Galizien. Erste manipulative Karrikaturen und fragwürdige Bildunterschriften tauchen auf, die erst später, ab Mai 1919, mit Ende der Räterepublik rasant zunehmen.
    Medien machen Eisner nachträglich zum Märtyrer
    Als Kurt Eisner am 21. Februar 1919 ermordet wird, stilisieren ihn die "Münchner Neuesten Nachrichten", die "Münchner Zeitung" und die regierungsnahe "Neue Zeitung" zum Märtyrer. Vergessen sind die Verleumdungen und Manipulationen. Die Revolution hatte einfach zu wenig Medienkompetenz, meint Medienhistorikerin Elisabeth Angermair.