Sonntag, 28. April 2024

Archiv


Bayreuth ganz vorne

Der norwegische Regisseur Herheim zeigte Mut bei der Inszenierung von Wagners Bühnenweihfestspiel. Er arbeitete mit starken Bildern und siedelte die Handlung zwischen Bett, Bayreuth und deutscher Geschichte an.

Von Christoph Schmitz | 04.08.2009
    In Herheims "Parsifal" ist das Bett der Mittelpunkt. Schon beim ersten Vorspiel steht es mitten in Wagners Villa "Wahnfried". Eine Frau liegt darin und windet sich im Todeskampf. Ein Arzt und ein Geistlicher leisten ihr Beistand, ihr Kind in wilhelminischer Matrosenkleidung klammert sich an den Hals des Schaukelpferds und will sich nur widerstrebend von der Mutter verabschieden. Die Frau könnte Herzeleide sein, Parsifals Mutter, oder Cosima Wagner mit Siegfried, vielleicht auch Kundry, vielleicht stecken aber auch alle diesen Figuren in ihr.

    Als die Frau gestorben ist, imaginiert der Junge, von seiner Mutter verführt zu werden. Das Bett verschlingt sie beide wie ein hungriges Tier. Später liegt in diesem Bett der verwundete Amfortas und sehnt sein Ende herbei, dann wird in der Gralsburg bei der Weihehandlung ein Kind darin geboren, später im Zauberreich des bösen Klingsor, versucht Höllenrose Kundry darin den reinen Toren zu vernaschen. Und immer wieder verschwinden die Figuren im weißen Matratzenlager, tauchen aber auch unablässig aus ihm hervor - das Bett als Todes- und Gebärmaschine.

    Die libidinösen, ödipalen, todes- und erlösungssüchtigen Schichtungen des Werkes faltet Herheim mit den Bettlaken assoziationsreich auf. Überhaupt ist das Assoziative, verbunden mit einer schier überbordenden Bildfantasie, die sämtliche Deutungsansätze des Wagnerschen "Parsifal", seine biografischen und historischen Implikationen berührt, das Kennzeichen dieser Inszenierung. Und diesen Bilderreichtum spinnt Herheim zugleich ein in eine doppelte historische Chronologie: am roten Faden Villa Wahnfried und seinen Bewohnern webt Herheim deutsche Geschichte vom Kaiserreich, über den Ersten Weltkrieg, das Dritte Reich bis zur Bonner Republik.

    Am Ende stehen Gurnemanz, Kundry und Klein-Parsifal als Familie zusammen. Hinter ihnen hat sich ein Spiegel über dem Bonner Bundestag mit dem Bundesadler gesenkt und zeigt jetzt einen Globus, in dem sich die Familie und das Publikum spiegeln. Nach furchtbaren Krämpfen, Irrwegen und Katastrophen hat diese Gesellschaft ihre friedliche Form gefunden, die keiner ideologischen Erlösung mehr bedarf.

    Was bei diesem Bayreuther "Parsifal" szenisch entwickelt wird, lässt sich auch im zweiten Jahr nicht vollständig erfassen, zumal hier kein rationales Konzept abgearbeitet wird, auf das man jeden Bühneneinfall reduzieren könnte. Es ist ein bildmächtiger Theatererzähler am Werk, ein Fabulier-Genie, das zwar alles aus der Musik und der Dichtung generiert, zugleich aber das musikalische Geschehen in den Hintergrund drängt. Manchmal fühlt man sich wie im Kino, und das Orchester spielt die Filmmusik. Das hat aber nicht der Regisseur zu verantworten, sondern der Dirigent.

    Katzen schleichen gerne, und dieser Dirigent, Daniele Gatti, schleicht mit einer Langsamkeit durch die Partitur, dass es einem um die Sänger Angst und Bange wird. Vor allem Detlef Roth als Amfortas scheint die schier endlosen Bögen nur mit letzter Kraft bestehen zu können. Gatti bringt mit seiner Zeitlupenarbeit auch keinen besonderen Klangzauber hervor, überhaupt will er mit dem Bewegungs- und Bilderreichtum auf der Bühne nicht korrespondieren.

    Die Solisten bewältigten ihre Partien gestern Abend recht gut, hatten teils mit den Höhen Probleme oder neigten im Bass zu unruhigem Vibrato. Christopher Ventris in der Titelrolle führte sehr lebendig die Wandlung vom dummen Jungen zum Suchenden und Heilenden vor. Seine Rolle wird immer wieder von einem Kind verdoppelt. Das Kind als Projektionsfläche einer Gesellschaft, die in ihm den Erlöser erwartet, sucht und züchtet. Auch davon sieht Herheim die Deutschen geheilt. Szenisch steht Bayreuth mit diesem "Parsifal" bei der Wagnerdeutung wieder ganz vorn.