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Bayreuth: Wagner für Jung und Alt

Ein Experte für Alte Musik dirigiert den "Tannhäuser", der Sängerkrieg auf der Wartburg spielt in einem Bioreaktor voller Fäkalien und der kürzeste komplette Ring der Nibelungen dauert nur 90 Minuten - in der "Herr der Ringe"-Version für Kinder. Das ist los auf dem Grünen Hügel in diesem Jahr.

Christoph Schmitz im Gespräch mit Karin Fischer | 25.07.2011
    Karin Fischer: Zwei Bayreuth-Debütanten sind für die Neuinterpretation des "Tannhäuser" in diesem Jahr verpflichtet worden: Sebastian Baumgarten, ausgebildeter Opernregisseur, der aber auch für dynamisch klug inszeniertes Regietheater bekannt ist, und der Dirigent Thomas Hengelbrock, der sich eigentlich als Spezialist für die Alte Musik einen Namen gemacht hat. Dazu die Leiterin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner, im Deutschlandfunk.

    O-Ton Katharina Wagner: "Diese Angst, die viele haben, oh, kriegen wir unseren Wagner-Klang? Also ich bin sehr, sehr begeistert von Hengelbrock, muss ich sagen. Also er macht das sehr gut und ich glaube, so dieses Vorurteil, der kann nur alte Musik, das kann man an dieser Stelle schon mal völlig nehmen. Ich meine, es soll ja nicht alles gleich klingen, sonst können wir ja immer denselben Dirigenten engagieren."

    Fischer: Ob es einen eigenen Hengelbrock-Wagner-Sound gab, heute Nachmittag im ersten Akt des Tannhäusers, erfahren wir gleich im Pausengespräch mit meinem Kollegen Christoph Schmitz. Zuerst aber urteilen Sie selbst:

    O-Ton Bayreuther Festspiele:

    Fischer: Das war Tannhäuser im Streit mit Venus zu Beginn des ersten Aktes. – Christoph Schmitz, wie war das Hörerlebnis bislang für Sie?

    Christoph Schmitz: Das Hörerlebnis war eher ein ruhigeres. Es klingt jetzt hier so hoch dramatisch, aber Thomas Hengelbrock hat doch sehr verhalten dirigiert, er hat sehr viel Wert auf das Piano gelegt, er verebbt, er stirbt förmlich im Orchestergraben, was sehr schön ist, das ist gar nicht als Kritik gemeint. Er hat die Hysterie aus dem Vorspiel genommen, es ist eher etwas eingeebnet, hin und wieder fehlen mir die Akzente. Aber dann im Verlauf, wenn dann nun auch die Sänger auftreten, ist er eher zurückhaltend und untermalt sehr farbig, aber eher schlicht. Man muss dazu sagen: Er hat nicht auf Darmsaiten zurückgegriffen, also es ist ein normales Orchester, kein Naturhorn, sondern das richtige Bayreuther Orchester.

    Fischer: Der Sängerkrieg auf der Wartburg spielt, das war zu erwarten, bei Sebastian Baumgarten nicht auf der Wartburg. Wie sieht die Bühne aus? Wo hat er die Szene angesiedelt?

    Schmitz: Ja es heißt Wartburg, aber diese Wartburg ist ein Reaktor, ein Bioreaktor, müsste man sagen. Es gibt eine Klärschlamm-Grube, einen Käfig oder eine Höhle, in der Fäkalien gesammelt werden, unter dem Bühnenraum, und dieser Inhalt wird dann hochgeschoben. Rechts und links sieht man eine Biogas-Anlage, dann einen Alkoholator, wo Alkohol gesammelt wird, der in diesem organischen Gär- und Zersetzungsprozess hergestellt wird. Und dort arbeiten Menschen, dort ist auch unser Wartburg-Personal versammelt und die leben dort. Das ist ein sich selbst erhaltender Kreislauf, das kann man bisher sagen, und das Lebendige, das Vitale, das Erotische, das spielt sich eigentlich im Klärschlamm ab, in diesem Bioreaktor. Man sieht einen organischen Zersetzungsprozess, kopulierende Bakterien, und in diesem ja höchst vitalen, aber irgendwie dann doch ekligen Konglomerat befindet sich auch Venus und Tannhäuser, dem das alles viel zu viel ist, was wir gerade gehört haben, der dann rausgeht und in eine sublimiertere Welt, könnte man sagen.

    Fischer: Wenn Sie eine erste Interpretation wagen wollten, Christoph Schmitz, über dieses biologisch-dynamische Szenenbild, was wäre das?

    Schmitz: Ich bin mir nicht sicher, ob es hier um Öko-Faschismus geht, oder Bio-Faschismus. Ich habe eher das Gefühl, dass Sebastian Baumgarten die Geschichte aus der moralischen Dimension, also der böse Trieb und die gute sublimierte Liebe, herausnehmen möchte und das in eine andere Sphäre bringt, und welche, muss man jetzt noch sehen in den nächsten beiden Aufzügen.

    Fischer: Dann lassen Sie uns über die Kinderoper sprechen, die heute Nachmittag Prämiere hatte. Man spielte den "Ring des Nibelungen" am Stück. Nein: Spielte man den "Ring des Nibelungen" am Stück, bräuchte man dafür über 15 Stunden. Die Aufführung heute Nachmittag dauerte gerade mal 90 Minuten. Wie ist das denn zu machen?

    Schmitz: Eigentlich ist das gar nicht zu machen, aber interessanterweise geht es dann doch. Zwischendurch dachte ich wirklich, na, geht ja auch so, die Hauptsache ist ja drin. Und das ist das Schöne, was Katharina Wagner zusammen mit dem Regisseur Maximilian von Mayenburg gemacht hat, dass die beiden wirklich es auf den Kern gebracht haben. Die haben natürlich dadurch sehr viel weggelassen, die ganze Götterdämmerung fällt fast weg, also die ganze Gunther-Geschichte am Hof am Rhein mit Gudrune und Hagen. Man springt da sehr weit. Aber im Kern dann doch die Geschichte um den Ring, um das Gold, die Verführung des Kapitals, der Macht, und wie alle an diesen Ring über Generationen und Enkel und Urenkel von Wotan hinweg diesen Ring haben möchten, das wird sehr schön als roter Faden durcherzählt. Die Knaller aber, die musikalischen Gassenhauer, sage ich mal, Rheingold-Vorspiel, Walküren-Ritt und das Schmiedelied von Siegfried und der Trauermarsch in der Götterdämmerung, das ist alles komplett da. Also die Musik kommt hier zum Tragen. Und darf ich noch hinzufügen: Das Orchester sitzt in der Mitte und wird somit mit zum Akteur, nicht mehr verdeckt irgendwo, sondern wirklich das Kerngeschehen des Rings wird musikalisch sichtbar und erlebbar, sehr nahe.

    Fischer: Allerdings ist das Orchester sehr verkleinert.

    Schmitz: Ja.

    Fischer: Bleibt da noch was übrig von der Wuchtigkeit der Wagnerschen Musik oder ist das Richard Wagner light?

    Schmitz: Man sitzt ja sehr nahe dran, drei, vier Meter nur entfernt. Es ist ja eine kleine Probebühne nur und da ist das sehr dicht. Und die 30 Leute, die übrig geblieben sind von dem 100-Mann-Orchester, die machen das schon sehr gut. Bei den sehr feinen subtilen Klängen, da merkt man doch, dass man da 30 Geigen, 40 Geigen bräuchte. Das wird dann hier sehr spröde. Aber sonst ist das schon toll!

    Fischer: Ganz kurz zum Schluss, Christoph Schmitz. Diese jungen Wagner-Neulinge im Zuschauerraum, die stellen sich natürlich ganz andere Fragen, nämlich die nach der Geschichte. Ist die denn tatsächlich auch für Kinder und Jugendliche verstehbar und war die Sache insofern ein Erfolg?

    Schmitz: Ja, die war ein Erfolg. Ich habe die Kinder beobachtet, hatte auch meine Nichte dabei, und die waren alle von der ersten Minute bis zur 90. Minute voll konzentriert. Es gab eine kleine Pause. Die haben diese Geschichte erlebt wie eine Fernsehstory, wie ein "Herr der Ringe" für Kinder oder auch in der großen Erwachsenenversion.

    Fischer: Herzlichen Dank an Christoph Schmitz für diese Eindrücke aus dem ersten Kinder-Ring in Bayreuth und vom "Tannhäuser", der um 18 Uhr weitergeht, wenn Sie wollen auch live in der ARD im Radio, und die ausführliche Kritik hören Sie dann morgen an dieser Stelle.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Informationen:
    Bayreuther Festspiele 2011