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Bayreuther Gedenken

Drei auf einen Streich: Zum Abschluss der diesjährigen Sommerprogramms hat die Bayreuther Festspiele-GmbH ein Gedenkkonzert zugunsten dreier ihrer ehemaligen Firmenchefs anberaumt: Aufs Schild gehoben wurde der 75. Todestag von Cosima und Siegfried Wagner und der 25. von Winifred Wagner. Von der Kontaminierung des Wagnerschen Terrains durch Antisemitismus, Nationalismus und Nationalsozialismus sollte dabei "abgesehen" werden.

Von Frieder Reininghaus |
    Ein Sponsor, so wurde erklärt, der in den letzten Jahren verschiedene Ausstellungen zur Festspielgeschichte finanziert hatte, wollte dieses Mal "etwas anderes": klingende Ware für klingende Münze. Dem Wunsch wurde entsprochen. Der Erlös des Konzerts soll der Finanzierung von musikalischer Bildung und Therapie in einem Bayreuther Kinderhaus dienen, das 2006 errichtet wird. Dazu Peter Emmerich, Pressesprecher des Unternehmens auf dem Grünen Hügel:
    "Es ist vielleicht doch auch nicht schlecht, ein Zeichen in die Zukunft zu setzen: Kindern mehr Chancen einzuräumen, die sonst überhaupt keine Chance hätten, sich musikalisch auszubilden oder durch die Musik etwas von ihrer geschundenen und verletzten Seele zurückzubekommen."
    Die Veranstaltung verstand sich auch als Entgegenkommen an die Bevölkerung von Bayreuth, die erfahrungsgemäß kaum Karten für die Festspiele erwerben kann (weil diese weltweit gestreut werden). Daher sollte an einem nicht so feierlichen Ort ein "populäres" Programm angeboten werden. In der sonst für Sport- und Pop-Veranstaltungen dienenden Oberfrankenhalle erwies sich die Akustik für die Feinheiten als wenig geeignet. Der aufs Blechdach trommelte der Regen versah die Sehnsuchts- und Erlösungsmotive mit einer akustischen Gänsehaut.

    Alle fünf Dirigenten, die in diesem Bayreuther Sommer zum Einsatz kamen – Marc Albrecht, Pierre Boulez, Eiji Oue, Peter Schneider, Christian Thielemann – beteiligten sich an einem großen Richard-Wagner-Potpourri. Das wurde um den von Gesang überwölbten Schluss-Teil der "Faust-Symphonie" von Franz Liszt angereichert, die "Wesendonck-Lieder" und die Ouvertüre zu einem vergessenen Werk von Siegfried Wagner, das einen abgründig beziehungsreichen Titel trägt: "Das Flüchlein, das jeder mitbekam". Da Gesangsstars wie Nina Stemme bereits abgereist waren, wurden die Sologesänge einer B-Besetzung anvertraut. Man wisse um die politische Bedenken, räumte der Pressesprecher ein:
    "Nun, es geht keineswegs etwa um die Feier von Personen, denn Cosima Wagner war, wie bekannt, eine sehr lebhaft bekennende Antisemitin, sondern es geht allein, bei allen Dreien, darum, dass sie Festsspielleiter waren – abgesehen von allen anderen Verwicklungen und Irrtümern, von sehr sehr nachhaltigen Verirrungen."
    Darin liegt aber gerade das Problem: Dass das Bayreuther Festspielunternehmen von dem, was da so nebulös umschrieben wird, gerne "absehen" würde. Ohnedies gab es ja keinen Zwang, ausgerechnet Winifred zum Gedenk-Doppelpack Siegfried und Cosima dazuschlagen. Die in Weimar ebenfalls im hochkulturellen Andenkengeschäft tätige Nike Wagner, die ebenfalls aus der illustren Familie stammt, bemerkte denn auch spitz:
    "Man kann die Damen natürlich zusammenkoppeln, damit kommen einem doch eher ungute Gedanken. Worin ähneln sie sich denn? Ist es vielleicht die politische Komponente? Das politische Denken? Die politische Ausrichtung, die mit der einen begonnen hat, mit der anderen in eine exaltierte ungute Richtung weiter gelaufen ist – also vom Deutschnationalsozialismus zum Nationalsozialismus."
    Zwischen den beiden Frauen stand seit 1923 nicht nur der verehrte Anführer einer aufstrebenden nationalistisch-revanchistischen und zunehmend auf Welteroberungsphantasien eingeschworenen Partei, die zehn Jahre später die Macht in Deutschland an sich brachte, sondern auch der Komponist und Festspiel-Impresario Siegfried Wagner. Auch an seinen 75. Todestag wird beim Gedenk-Aufwasch erinnert:
    "Gegen die beiden Damen wirkt er durchaus sympathisch. Natürlich ist er ein polyglotter Mensch gewesen, durchaus europäisch, weit gereist. Daß er politisch auch nicht besonders hellsichtig war – er war ja ein scharfer Gegner der Weimarer Republik – stuft ihn dann wieder zurück im Kontext. Aber von seinem Elternhaus her ist er europäisch aufgewachsen; vom selben Elternhaus her kamen dann aber doch sehr viele engstirnige politische Ansichten."

    Die stillschweigende und unkommentierte neuerliche Vereinnahmung insbesondere von Winifred Wagner für pauschaliertes Bayreuther Gedenken erscheint zumindest bedenklich. Denn diese Unternehmerin zeichnete sich von den politischen Anfängen bis zum Untergang durch besondere Liebe und Nibelungentreue zu Adolf Hitler aus und steht im Verdacht, diesem – als er nach dem gescheiterten Putsch vom November 1923 in Landsberg am Lech in Festungshaft saß, das Papier für sein politisches Grundsatzprogramm "Mein Kampf" geschickt zu haben: "Angeblich hat es ihm in der Tat Winifred Wagner geschickt und es sähe ihrer stets praktischen und pragmatischen Art auch ähnlich."
    Mit der gestrigen Gedenkveranstaltung in Bayreuth ging es darum, von der Kontaminierung des Wagnerschen Terrains durch Antisemitismus, Nationalismus und Nationalsozialismus "abzusehen". Damit positionierten sich die Bayreuther Festspiele im weiten Feld der gegenwärtigen Gedenkkultur wieder klar und setzten ein Zeichen. Gerade dort, wo sich Musikveranstaltungen die Tarnkappe des dezidiert Apolitischen aufsetzen, mögen politische Wirkungen einer bestimmten Musik besonders effektiv sein. Lodovico Settimbrini war sie deshalb so verdächtig.