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Beben und kein Ende

17 Tote, Hunderte Verletzte - das ist die Bilanz der jüngsten Erdbeben im Nordosten Italiens. Immer wieder kommt es zu Erschütterungen, doch viele Italiener wollen von der damit verbundenen Gefahr nichts wissen. Hinzu kommt ein geradezu fahrlässiges Wiederaufbaumanagement.

Von Kirstin Hausen | 31.05.2012
    Mehr als 2000 Mal hat die Erde im vergangenen Jahr in Italien gebebt. Es waren fast immer kaum wahrnehmbare Erdstöße, die keinen Schaden angerichtet haben. Aber die Seismologen warnen. Italien liegt wie eingeklemmt zwischen zwei Erdplatten, der afrikanischen und der eurasischen. Und die bewegen sich aufeinander zu. Langsam, aber stetig. Der Druck, der dabei entsteht, ist enorm und die Folgen sind immer wieder verheerend. Wie 2009 in den Abruzzen, wie jetzt in der Region Emilia Romagna. Und ein Ende ist nicht in Sicht, sagt Ezio Faccioli, Erdbebenforscher an der Technischen Hochschule Mailand. Italien müsse sich auf weitere Erdstöße verschiedener Stärken einstellen.

    "Die Geophysik und die Erdbebenforschung sind aber noch nicht so weit fortgeschritten, dass wir Erdbeben genau vorhersagen können. Ich kann zwar für ein bestimmtes Gebiet die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens in den nächsten zwei bis drei Jahren vorhersagen, aber das hilft mir wenig. Ich kann das Gebiet schließlich nicht zwei bis drei Jahre evakuieren. Das wirksamste Mittel zum Schutz vor Erdbeben ist daher eine erdbebengerechte Bauweise bei Neubauten und die nachträgliche Sicherung historischer Bauten."

    Die Fabriken in der Region Emilia Romagna waren zum größten Teil nicht auf Erdbeben ausgelegt, viele der Erdbebenopfer wurden unter den Trümmern von Werkshallen gefunden. Die Produktion steht vielerorts still. Der wirtschaftliche Schaden wird auf mindestens eine Milliarde Euro geschätzt. Wie soll es weitergehen? Die Gewerkschaften fordern Arbeiter in den betroffenen Gebieten auf, zuhause zu bleiben, bis alle Gebäude überprüft worden sind. Aber nicht alle sind damit einverstanden. Der Metallarbeiter Nico Pozzo ist heute Morgen pünktlich zu seinem Turnus erschienen, wie beinahe die komplette Belegschaft.

    "Wir Emilianer können nicht einfach die Hände in den Schoß legen."

    In anderen Regionen Italiens sind nicht nur Fabriken, sondern ganze Stadtviertel gebaut worden, ohne Auflagen für Bauten in erdbebengefährdeten Gebieten zu beachten. Dabei bebt in Italien regelmäßig die Erde. So war es 2005 am Gardasee und 2002 in Süditalien. Immer gab es Tote, Verletzte und viele Obdachlose. Und immer entspann sich Streit um den Wiederaufbau. Die Historikerin Emanuela Guidoboni:

    "Der Wiederaufbau von Erdbebengebieten ist in Italien immer problematisch. Die unverhältnismäßig lange Dauer der Aufbauarbeiten zeigt, dass es dabei meist nicht ganz sauber zugeht."

    Das eklatanteste Beispiel für eine fehlgeleitete Wiederaufbauhilfe stammt aus dem Jahr 1980. Damals zerstörte ein Beben mit einer Stärke von 6,9 auf der Richterskala Teile der Regionen Kampanien und Basilicata im Südwesten des Landes. Circa 3000 Menschen starben, Zehntausende verloren ihre Häuser. Am Wiederaufbau verdiente die Camorra. Die Mafia-Organisation aus Neapel zog Wohnblocks von schlechter Bauqualität hoch und strich dafür viel Geld vom Staat ein. Und auch nach dem Erdbeben in den Abruzzen 2009 gab es massive Kritik an der Vergabe von Hilfsgeldern, zumal längst nicht alle eingestürzten Gebäude wieder neu errichtet wurden.

    "Nur wenige wissen, dass das Erdbeben von 1976 in der norditalienischen Region Friaul das Einzige ist, bei dem der anschließende Wiederaufbau offiziell abgeschlossen wurde. Alle anderen Erdbebengebiete sind auf dem Papier immer noch nicht vollständig wiederhergestellt."

    Doch das ist nach Meinung der Historikerin Emanuela Guidoboni noch nicht das Schlimmste. Der eigentliche Skandal sei die weitverbreitete Kultur des Wegschauens und Vergessens.

    "Die Regionen und Gemeinden müssten viel gründlicher über diese Ereignisse informieren, aber über Unglücke will man nicht sprechen. Ich glaube, allein die junge Generation kann das ändern und eine neue Kultur der Sicherheit aufbauen."

    Die Regierung von Mario Monti sucht derweil nach Geld für die Erdbebenopfer in der Emilia Romagna und erwägt eine Lockerung des Stabilitätspaktes. Umweltminister Corrado Clini ist sich sicher, dass Europa für die Not Italiens Verständnis aufbringt.