Dieter Jepsen-Föge: Herr Beck, Sie sind nun ein Jahr lang SPD-Vorsitzender. War dies ein gutes Jahr für Sie persönlich und für die SPD?
Kurt Beck: Es war für mich persönlich ein anstrengendes, aber gutes Jahr, und ich habe auch den Eindruck, dass die Sozialdemokratie, die ja durchaus in einer fordernden Situation war, sich gefangen hat und dass wir uns deutlich stabilisiert haben.
Jepsen-Föge: Deutlich stabilisiert – nun zeigen die Umfragen, dass die Union deutlich mehr von dieser großen Koalition profitiert als die SPD. Zahlt sich die Rolle des Juniorpartners doch nicht so aus, wie Sie es sich wünschen würden?
Beck: Unabhängig davon, dass die Umfragen sehr unterschiedlich sind – das was ARD und ZDF ermitteln, ist ja durchaus eng beieinander, zwei, drei Punkte Abstand. Ich glaube, dass es nicht darauf ankommt, ständig auf Umfragen zu schauen. Wir arbeiten jetzt in der Großen Koalition knapp eineinhalb Jahre zusammen, und es sind schwierige Entscheidungen zu treffen gewesen, gerade auch solche, die für die sozialdemokratische Klientel schwierig sind. Deshalb ist das nicht verwunderlich.
Jepsen-Föge: Wie ist denn Ihre eigene Stellung, wie würden Sie die definieren – gegenüber dem Vizekanzler Franz Müntefering, gegenüber dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck. Ist das so etwas wie die Troika, oder ist es wie eine klare Nummer 1 für Sie, für Kurt Beck?
Beck: Es ist ein sehr enges Zusammenwirken, aber ist, glaube ich, auch unbestritten in dieser Runde, dass jeder seine verantwortliche Aufgabe hat. Peter Struck führt die Fraktion hervorragend, Franz Müntefering ist in hohem Maße anerkannt als Vizekanzler und als unser Sprachrohr, unsere Orientierungsperson in der Regierung. Und meine Aufgabe ist es, die Partei zu führen. Das wird anerkannt, auch von den beiden Kollegen, die ihre Arbeit hervorragend machen – ohne dass man sich nicht gegenseitig Rat einholt und miteinander wichtige Schritte berät.
Jepsen-Föge: Gut, das ist die Funktionsteilung. Aber es muss doch so etwas geben – oder gibt es das nicht – wie eine klare Nummer 1?
Beck: Es gibt eine klare Orientierung. Der Parteichef ist Parteichef, und das wird auch akzeptiert.
Jepsen-Föge: Können Sie sich auch ohne formelle Nominierung als Kanzlerkandidat, als ein solcher fühlen, wenn denn plötzlich sozusagen im Falle der Fälle es während dieser Legislaturperiode schon ein Thema werden sollte – auch das ist ja jetzt einmal angesprochen worden –, oder eben für die nächste Bundestagswahl?
Beck: Die Sozialdemokratie ist entscheidungsfähig zu jedem Zeitpunkt, aber diese Entscheidung steht nach aller Voraussicht nicht an. Wir wollen ja nicht hoffen, dass etwas so Schlimmes passiert, dass es neue Orientierungen braucht. Also, wir werden im Jahr 2009 unsere Spitzenposition besetzen, und ich werde dazu den ersten Vorschlag machen.
Jepsen-Föge: Aber ist das nicht viel zu lange hin, kann es nicht Ihrer Popularität nur guttun, wenn das früher feststeht, wer die personelle Alternative zu Angela Merkel ist, denn noch ist ja auch sozusagen der Popularitätsgewinn von Angela Merkel gegenüber Kurt Beck deutlich?
Beck: Es ist, glaube ich, nicht notwendig, dass man das ohnehin in Deutschland nicht vorhandene Amt der Kanzlerkandidatin und des Kanzlerkandidaten über eine ganze Legislaturperiode hin festhält. Das ist eine Personifizierung der Wahlauseinandersetzung, die zu Beginn des Wahlkampfes notwendig ist. Alles andere wäre verfrüht und auch völlig daneben. Ich finde, es muss nicht, und schon gar nicht in einer Großen Koalition, eine Schattenkanzlerin oder einen Schattenkanzler geben. Das ist nicht unsere Vorstellung.
Jepsen-Föge: Herr Beck, ist der Eindruck den richtig, dass in dieser Großen Koalition – Sie erwähnten eben, sie besteht gerade eineinhalb Jahre – der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen Union und SPD schon sehr zusammengeschmolzen ist?
Beck: Durchaus nicht. Das, was in der Koalitionsvereinbarung steht, wird auch umgesetzt werden. Da bin ich ganz sicher. Es wird ja immer nur wahrgenommen, was kontrovers ist, aber seltener wahrgenommen, was an Regelungen auch umgesetzt worden ist. Ich erinnere an das Elterngeld, ich erinnere an Fortschritte, die wir jetzt gerade auf der Agenda haben hinsichtlich der verbesserten Chancen für junge Menschen, wenn sie studieren wollen – Stichwort BAföG, Stichwort Elternfreibeträge.
Ich erinnere an das 25-Milliarden-Programm, das wirklich wichtige Zukunftsweichen stellt. Da finden wir uns als Sozialdemokraten hervorragend wieder, und ich denke, es ist auch ein Feld gemeinsamer Politik, das unumstritten gewesen ist und bleiben wird.
Jepsen-Föge: Aber dennoch ist auffällig, oder ist dieser Eindruck falsch, dass sich die beiden Partner nicht gegenseitig gleichsam Erfolge gönnen können.
Beck: Nun ja, wir wollen schon Erfolge haben, denn Erfolge wie beispielsweise in der Europapolitik, in der Außenpolitik, aber auch in wichtigen sozialpolitischen Entscheidungsbereichen sind immer Erfolge der gesamten Regierung. Und Deutschland muss erfolgreich regiert werden, das Notwendige muss getan werden. Das steht im Vordergrund, und nicht Parteitaktik. Dabei bleibe ich ausdrücklich.
Und ich will darauf hinweisen dürfen, dass auf der Basis dessen, was die Regierung Schröder geleistet hat und fortgesetzt in dieser Koalition, wir ja doch in einer wirtschaftlichen und Arbeitsmarktsituation sind, die deutliche Besserung zeigt. Also, wir kommen auch voran, und das Gerede vom "Sanierungsfall Deutschland" hat sich Gott sei Dank als Reformnotwendigkeit, aber nicht etwa als Sanierungs- und Abwicklungsfall dargestellt.
Jepsen-Föge: Gut. Unter dem Stichwort "gönnen können" will ich mal das an zwei Beispielen versuchen, festzumachen. Nehmen wir einmal die Familienpolitik. Ursula von der Leyen als zuständige Ministerin hat ja Vorschläge gemacht, die nun wirklich von denen der SPD gar nicht so weit entfernt liegen. Und trotzdem hat die SPD durch ihren Generalsekretär, durch andere, auch durch Sie immer wieder eher das Trennende betont.
Beck: Nun ja, es ist nichts Trennendes zwischen dem, was Frau von der Leyen gesagt hat und uns in den Inhalten, aber sehr wohl in der Bereitschaft, das auch zu finanzieren. Und sie hat ja teilweise über Felder gesprochen, die Landespolitik sind, Dinge, die in Rheinland-Pfalz schon Gesetz sind oder in der Gesetzgebung, und über andere Bereiche, zu denen sie dann auf die Frage, wie es finanziert werden soll, gesagt hat: Das kommt aus dem großen Steuertopf.
Das sind natürlich nicht Antworten, die man stehenlassen kann. Man kann nicht auf der einen Seite das positiv Bewertete darstellen und sagen: Jetzt soll der sozialdemokratische Finanzminister mal gucken, was er daraus macht. Da muss man schon, wenn man solche inhaltlichen Vorschläge macht, auch die Finanzierungsseite gemeinsam mit vertreten. Und nur dies, dass das nicht der Fall war, haben wir kritisiert.
Jepsen-Föge: Aber dadurch eher dieses Projekt erschwert, auch wenn Sie davon sprechen – hier der sozialdemokratische Finanzminister, hier die christdemokratische Familienministerin, man kann das ja als gemeinsames Projekt sehen und sagen: Okay, das ist ein guter Gedanke, wir packen das gemeinsam an.
Beck: Nun ja, der Gedanke ist ja nicht neu, sondern wie gesagt: In Rheinland-Pfalz ist er schon Gesetzeslage. Also müssen wir ja jetzt Gedanken, die unsere sind, die ja auch in unserem Wahlprogramm stehen und auch in der Koalitionsvereinbarung, durchaus jetzt nicht nochmal neu loben, sondern jetzt muss es um Umsetzung gehen. Und wenn die Umsetzung darin besteht, bunte Luftballons steigen zu lassen, dann sagen wir: Das ist zu wenig. Insoweit haben wir das nicht erschwert.
Erschwert hat es eher der innerparteiliche Konflikt in der Union, wo man ja zwar eine Gruppe um Frau von der Leyen hat – da würde ich auch die Bundeskanzlerin dazu zählen –, aber andere bekämpfen ja dieses Ziel, der konservative Flügel. Und Herr Kauder hat als deren Sprecher ja deutlich gesagt: Jetzt wollen wir erst einmal gucken, ob der Bedarf überhaupt da ist. Nein, da ist keine Erschwernis von uns ausgegangen. Das hätte besser intern vorbereitet werden können und müssen, dann wären wir vielleicht schon ein Stück weiter. Wir werden auf jeden Fall dieses Thema vorantreiben.
Jepsen-Föge: Herr Beck, ich komme denn auch auf die Gemeinsamkeiten, sozusagen auf die gemeinsamen Erfolge, will doch aber eher nochmal ein Konfliktthema ansprechen, was zumindest bisher als Konfliktthema erscheint – in der Außenpolitik. Sie selber haben die Bemühung der Bundesregierung um eine gemeinsame Haltung zu amerikanischen Raketenabwehrplänen durch Ihre Aussage durchkreuzt – ich verkürze das, aber ich glaube, so in etwa haben Sie es auch gesagt: Wir brauchen keine neuen Raketen.
Sie haben vor Wettrüsten gewarnt in einer Phase, wo die Bundeskanzlerin sagt, ihr kommt es eigentlich darauf an, auf Diplomatie, dass wir darüber sprechen und auch eine gemeinsame Position entwickeln. Sie haben das schon einseitig festgelegt.
Beck: Es kommt auf zwei Dinge an, in der Tat. Es kommt auf einen diplomatischen Weg an, über den sind wir uns einig – nämlich dass solche Fragen in der Europäischen Union und in der NATO besprochen werden müssen und nicht bilateral zwischen den USA und einzelnen EU-Staaten verhandelt werden können. Und das Zweite ist: Wenn man in Verhandlungen geht, braucht man ein Ziel. Und ich bedaure, wenn es ein solches klares Ziel nicht gibt. Unser klares Ziel ist, keine neue Wettrüstungsspirale auszulösen.
Jepsen-Föge: Nun sagen Fachleute, damit wird auch gar kein Wettrüsten ausgelöst.
Beck: Ja, diese Fachleute kenne ich. Die haben uns schon, als es um den Irakkrieg ging, genau solche Ratschläge gegeben: Wir müssen unbedingt mitmachen, weil das ansonsten alles falsch wäre und wir uns isolieren. Wir wissen jetzt, wie die Dinge gekommen sind. Natürlich kann man rein technisch argumentieren. Und – davon können Sie ausgehen – ich bin schon informiert und habe darüber auch reflektiert, dass es sich hier um ein Abwehrsystem handelt. Aber es wird unmittelbar an der Grenze Russlands aufgestellt. Und wer den russischen Präsidenten gehört hat, wer weiß, wie in Russland darüber gedacht wird. Ich habe selber die Gelegenheit gehabt, mit Herrn Putin zu reden.
Jetzt geht es mir nicht darum, einseitig die russische Position zu vertreten. Aber wenn dort wiederum eine Reaktion erfolgt auf das, was jetzt hier geplant ist, dann sind wir genau in dieser Rüstungsspirale drin. Und ich rate, mit Persönlichkeiten – wie Helmut Schmidt darüber zu reden, ich hab’s getan, wie Egon Bahr darüber zu reden, ich hab’s getan. Und dann kommt man in der Tat zu einer klaren Zielprojektion: Kein neues Wettrüsten. Und deshalb habe ich auch unser Ziel klar positioniert, dabei wird’s auch bleiben. Auf dem Weg – ich habe mit der Kanzlerin darüber intensiv gesprochen – sind wir uns einig.
Jepsen-Föge: Machen Sie sich damit aber doch zu eigen das, was der russische Präsident Putin befürchtet, der sagt, das sei eine Gefährdung Russlands. Die Amerikaner sagen ja eindeutig, das ist es nicht – schon technisch nicht, aber auch politisch nicht.
Beck: Ich mache mir nicht die russische Position zu eigen, nur wenn Russland diese Situation so einschätzt, wenn sie sie als Bedrohung empfindet, dann ist dies ein Faktum, und wenn dort mit entsprechenden Mitteln einer Aufrüstung geantwortet wird, dann sind wir genau in dieser Rüstungsspirale. Und, mit Verlaub, das hat wirklich überhaupt nichts mit Antiamerikanismus zu tun, ich bin wirklich geradezu ein Fan dieses freiheitlichen, großen Landes und seiner großen Ideen – nein, aber stellen wir uns einmal vor, in Lateinamerika würden solche Raketensysteme, die auch nicht gegen die USA gerichtet sind, sondern gegen mögliche dritte Aggressoren aufgestellt, wie die Reaktionen in Amerika wären. Da muss man doch Russland auch zubilligen, dass es seine Interessen dort sucht.
Und der zweite Punkt ist, wir werden den Iran mit seinen Aufrüstungsideen nur dann zähmen, wenn die Welt zusammenbleibt, wenn wir die USA und Russland und China, aber auch die Europäische Union in einem Boot haben und wir denen gemeinsam sagen: So nicht. Wozu würden denn die Resolutionen der Vereinten Nationen noch dienen, wenn man sagt, die bauen die Dinger ja eh, deshalb bauen wir die Gegenwehr jetzt schon auf. Wie glaubwürdig ist denn eine solche Politik?
Mir sagen viele außenpolitisch erfahrene Menschen, auch amtierende Außenminister, nicht nur der Bundesrepublik, mit denen ich gesprochen habe, wir setzen nach wie vor darauf, dass der Iran zur Vernunft zu bringen ist. Und wir müssen darauf achten, dass wir nicht dieses Regime stärken, das nach innen ja immer hohler wird, weil es nichts hinbekommt dadurch, dass wir den äußeren Druck so erhöhen, dass man dann dem Präsidenten den Gefallen tut, den man ihm nicht tun sollte.
Jepsen-Föge: Herr Beck, nun würde Ihnen sicher niemand Antiamerikanismus vorwerfen, wohl aber die Überlegung, dass Sie gleichsam eine antiamerikanische Tendenz in der Bevölkerung nutzen, nutzen zu Gunsten der SPD für einen Wahlerfolg der SPD, denn das hätte ja eine realistische Grundlage. Es gibt eine Umfrage, nach der mehr Deutsche die USA für gefährlich halten als den Iran.
Beck: Wenn das so wäre, würde ich dem immer entgegentreten. Aber mit Verlaub, ein Teil dessen, was an Misstrauen entstanden ist, nicht gegen Amerika, aber doch gegen bestimmte politische Verhaltensweisen, dass sind Dinge, die hängen eben mit solchen Informationen der Weltöffentlichkeit zusammen über den Irak, die sich hinterher als unwahr herausgestellt haben.
Und das hängt auch mit Verhaltensweisen zusammen, dass man sich teilweise in Ländern, die heute den Westen und die Freiheit bedrohen, insbesondere auch durch Terrorismus bedrohen, mit Raketen und mit Waffensystemen auseinandersetzen muss, die eben auch da hin verkauft worden sind, russische und amerikanische, aber eben Waffensysteme, die da hin verkauft worden sind. Nein, das ist alles nicht besonders glaubwürdig, und ich glaube, dass wir gut daran tun, Amerika nicht nur entlang seiner jetzigen Administration, sondern entlang der Position der Menschen zu verstehen. Und in Amerika gibt es ja lautere Stimmen, die das, was ich anspreche, mindestens so kritisch sehen, wie wir es antönen.
Jepsen-Föge: Herr Beck, zum Kurs der SPD gilt noch die Richtung, die Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 gesetzt hat, also Reformen der sozialen Sicherungssysteme, oder gilt, das Ende der Zumutungen ist erreicht?
Beck: Es gilt, dass die großen Sozialsysteme reformiert werden mussten. Das haben wir weitgehend geschafft, die Pflegeversicherung steht noch an. Es gilt darüber hinaus, dass wir den Haushalt konsolidieren müssen. Da sind wir auf einem guten Weg. Und es gilt, dass wir eine Reihe von Reformen, insbesondere im Bereich der Chancengleichheit bei der Bildung, machen müssen, dass wir uns außen- und auch innenpolitisch einstellen müssen auf eine veränderte Welt. Das alles läuft, ganz ohne Frage.
Aber ich glaube, es ist auch richtig, dass in einer Zeit des Aufschwungs – und die Regierung Schröder hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass es dazu gekommen ist – jetzt auch berechtigt ist, darauf hinzuweisen, dass alle, die daran mitgewirkt haben und daran mitwirken, auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch der kleine Selbständige und der Handwerker und der Landwirt, ihren Anteil haben müssen an diesem Aufschwung. Und darauf müssen wir schon achten. Denn ich erlebe in Diskussionen mit Menschen, gerade in den letzten Tagen, in denen die Einkünfte der DAX-Unternehmensvorstände veröffentlicht werden und der Aufsichtsräte, dass die Leute sagen: Ja, haltet ihr uns denn alle für völlig verrückt? Uns predigt ihr, ihr dürft nicht mehr haben, und …
Jepsen-Föge: … sind das geradezu, würden Sie sagen, unanständige Einkommen?
Beck: Das sind nicht vertretbare Größenordnungen. Ich will ja, dass die Leute ihre Leistung bezahlt bekommen, und es hat auch nichts – das wird ja sofort einem eingeredet – von Neiddiskussion. Darum geht es mir überhaupt nicht. Aber wir müssen doch den Leuten mal zuhören. Und die Leute, die in der Mitte der Gesellschaft, die Krankenschwester und der Facharbeiter, die Ingenieurin und der Lehrer, die Leute mitten in der Gesellschaft, die arbeiten ja auch nicht weniger hart und strengen sich unglaublich an.
Und denen kann ich nicht dauernd sagen: Euch nehmen wir immer noch mehr weg, und auf der anderen Seite, na ja, da kommt es offensichtlich nicht darauf an. Dies müssen wir wieder in die Balance bringen. Und deshalb habe ich gesagt, den Bogen darf man nicht überspannen, der Leistungsträger, denn die brauchen wir, heute und morgen.
Jepsen-Föge: Heißt das konkret, dass Sie auch sagen, jetzt haben die Arbeitnehmer in den unterschiedlichen Branchen – wir haben ja jetzt die Tarifverhandlungen, das beginnt jetzt – haben das Recht, mal sozusagen einen kräftigen Schluck aus der Pulle zu nehmen?
Beck: Das ist Sache der Tarifvertragsparteien, das im Einzelnen zu entscheiden. Wir können beispielsweise bei den öffentlichen Händen so etwas immer noch nicht finanzieren wegen des In-Ordnung-Bringens des öffentlichen Haushaltes. Und es gibt sicher …
Jepsen-Föge: … aber in Bereichen wie der Metallindustrie?
Beck: … es gibt sicher Branchen, die unterschiedlich ausgestattet sind, auch mit Gewinnen. Und das zu unterscheiden, das können die Tarifvertragsparteien viel besser als die Politik. Aber eine angemessene Beteiligung der arbeitenden Menschen an dem, was an Erfolg da ist – die Auftragsbücher sind so voll wie nie, und sie sind auch über den Tag hinaus gut gefüllt, und die Gewinne sind ja auch Gott sei Dank bei den allermeisten Branchen hervorragend – also insoweit einen angemessenen Anteil, den halte ich für gerechtfertigt.
Jepsen-Föge: Herr Beck, es hat noch kein Ergebnis gegeben bei allen Bemühungen, den Niedriglohnsektor neu zu regeln. Zwischen Mindestlohnforderung und Kombilohn der Union hat es noch keine Einigung gegeben. Wird das ein Konflikt bleiben? Wie zeichnen sich da Kompromisse ab?
Beck: Wir haben eine klare Linie auf der sozialdemokratischen Seite. Wir wollen alle die Schritte zu einer Verbesserung der Situation, um die Ausbeutung von Menschen zu verhindern, gehen, die wir in dieser Koalition gehen können. Wir haben für die Bauarbeiter eine saubere Situation. Sie tritt jetzt in Kraft für das Gebäudereinigergewerbe, immerhin 850.000 Menschen. Und wir reden über weitere Branchen derzeit. Das ist in der Koalition in der Diskussion.
Darüber hinaus hat Franz Müntefering zu Recht gesagt, es gibt einfach sittenwidrige Löhne. Wenn man ein Drittel weniger bezahlt oder mehr, als man üblicherweise an ortsüblichen Löhnen für eine Leistung bezahlt, dann ist dies nicht mehr in Ordnung, dann ist das eine Ausbeutung. Da wollen wir eine gesetzliche Handhabe.
Aber wir werden am Ende über Entsendegesetz und Tarifvertragsregelung, über Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen dazu kommen müssen, wie Amerika, wie 20 andere europäische Staaten – und Österreich ist derzeit zusätzlich auf dem Weg – einen Mindestlohn zu definieren. Das sollen Fachleute machen, nicht die Politik, und zu sagen …
Jepsen-Föge: Haben Sie Grund zur Vermutung, dass Sie das hinkriegen mit der Union?
Beck: Ich bin im Moment nicht so sehr optimistisch, dass wir das hinkriegen, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn hinbekommen, aber ich bin durchaus zuversichtlich, dass wir weitere Schritte in diese Richtung hinbekommen werden. Und deshalb auch unsere derzeitige Unterschriftenaktion, um das politische Umfeld auch zu bereiten. Das ist keine Druck-mach-Position, es ist eine, einfach ein Nachdenken zu erreichen.
Jepsen-Föge: Zu diesem Umfeld gehört ja, die gesamten Mitglieder der Linksfraktion im deutschen Bundestag haben unterschrieben und jetzt noch eins draufgesetzt und gesagt, die PDS, die Linke werde die SPD gerne dabei unterstützen, Mindestlohn auch parlamentarisch durchzusetzen.
Beck: Das ist eher eine dümmliche polittaktische Reaktion. Man kann sich an einer solchen Stelle, einer offenen Unterschriftenaktion, ja nicht vor solchen Versuchen, das umzumünzen, schützen. Also, das nehme ich nicht ernster, als es zu nehmen ist. Es ist eher so, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen an einer solchen Stelle, dort geht es um Parteitaktik. Uns geht es wirklich darum, die Menschen abzusichern. Das nehme ich nicht ernster, als es zu nehmen ist.
Jepsen-Föge: Aber ist das nur Parteitaktik? Nehmen wir das mal etwas weiter: PDS und WASG wollen, und das haben sie beschlossen am vergangenen Wochenende, eine gemeinsame Partei gründen. Und durchaus gibt es ja auch das Ziel, zu sagen, irgendwann wollen wir auch die Linke, links der Mitte, zusammenführen – SPD; PDS, Grüne. Und ist das nicht eigentlich auch für die SPD die Perspektive? Oder würden Sie sagen, immer dran denken, aber nie davon reden?
Beck: Wissen Sie, wenn die Spalter jetzt erzählen, wir sind die Zusammenführer, dann könnten die Wölfe auch zu Schafen erklärt werden. Wenn man versucht, sie zu scheren, wird man merken, dass sie keine Schafe sind. Nein, da sind innerhalb der PDS eine Menge von Leuten unterwegs, die haben mit dem Kommunismus, mit Wahlbetrug, mit Mauer und Schießbefehl ihr Ende nie gemacht, da sind in der WASG eine Menge Leute unterwegs, die haben schon allen möglichen K-Gruppen angehört. Und deren Spaltungspotential, das wird diese neue Gruppierung noch spüren.
Jepsen-Föge: Oder Ihr Vorgänger Oskar Lafontaine als SPD-Vorsitzender?
Beck: Ja, er lebt eine besondere Art der persönlichen und der politischen Abgrenzung und vielleicht Selbstrechtfertigung derzeit aus, das muss man nicht weiter kommentieren.
Jepsen-Föge: Gut, aber lassen wir einmal diese Personalien, die ja sicher schwierig sind, beiseite. Ist das eine Perspektive, eine große Linke aus SPD, PDS, Grünen, die gemeinsam regiert und damit auch Kurt Beck gemeinsam zum Kanzler machen kann?
Beck: Eine große Perspektive ist, dass alle, die freiheitlich, gerecht und solidarisch denken und an Frieden in unserer Gesellschaft und auch außen interessiert sind, in der Sozialdemokratie ihren Platz haben. Und dazu laden wir ein. Alles andere hat noch nie der Linken genutzt und hat immer dazu geführt, dass andere Kräfte, die ja im Regelfall sehr viel mächtiger sind, die Oberhand gewonnen haben.
Gucken Sie sich an, was da derzeit in Deutschland an Unglaublichem sich abspielt, wenn man den wirklich großen Erfolg über Mitbestimmung den Menschen mitverantworten, aber auch mitsagen lassen will, wie es weiter geht, wie es versucht wird zu desavouieren. Die einen wollen die Mitbestimmung kaputt machen, und die anderen versuchen sie auszuhöhlen, indem man sich eigene Betriebsräte kauft und aufbaut und denen Millionen in den Rachen steckt.
Also, wer wirklich im Interesse der arbeitenden Menschen denkt, einer solchen freiheitlichen Gesellschaft auch Selbständigmachen ermöglichen will, der kann, glaube ich, nicht über solche Polarisierungen und Trennungen nachdenken, sondern er muss über eine Stärkung nachdenken. Und das geht nicht durch Abspaltung.
Jepsen-Föge: Und ganz zum Schluss eine kurze Frage: In Rheinland-Pfalz regieren sie allein und unbestritten. Ist Rheinland-Pfalz auch ein guter Nährboden für Bundeskanzler?
Beck: Es scheint zumindest nicht so ein schlechter Nährboden zu sein dafür, dass man von dort aus interessante politische Positionen anstreben kann. Es gab ja Bundespräsidenten, die aus diesem Land hervorgegangen sind …
Jepsen-Föge: … und es gab auch einen Bundeskanzler …
Beck: … und es gab auch einen Bundeskanzler, der da hervorgegangen ist, und viele andere Leute. Also, Rheinland-Pfalz ist ein so schönes Land und offensichtlich in der vitalen Situation, dass es immer interessante Menschen in allen Feldern gibt. Ich freue mich, dass ich jetzt dieses Land regieren darf, und ich freue mich darüber hinaus, dass ich auch in Berlin als Parteivorsitzender einige Aufgaben wahrnehmen darf.
Jepsen-Föge: Vielen Dank, Herr Beck.
Beck: Ich danke auch.
Kurt Beck: Es war für mich persönlich ein anstrengendes, aber gutes Jahr, und ich habe auch den Eindruck, dass die Sozialdemokratie, die ja durchaus in einer fordernden Situation war, sich gefangen hat und dass wir uns deutlich stabilisiert haben.
Jepsen-Föge: Deutlich stabilisiert – nun zeigen die Umfragen, dass die Union deutlich mehr von dieser großen Koalition profitiert als die SPD. Zahlt sich die Rolle des Juniorpartners doch nicht so aus, wie Sie es sich wünschen würden?
Beck: Unabhängig davon, dass die Umfragen sehr unterschiedlich sind – das was ARD und ZDF ermitteln, ist ja durchaus eng beieinander, zwei, drei Punkte Abstand. Ich glaube, dass es nicht darauf ankommt, ständig auf Umfragen zu schauen. Wir arbeiten jetzt in der Großen Koalition knapp eineinhalb Jahre zusammen, und es sind schwierige Entscheidungen zu treffen gewesen, gerade auch solche, die für die sozialdemokratische Klientel schwierig sind. Deshalb ist das nicht verwunderlich.
Jepsen-Föge: Wie ist denn Ihre eigene Stellung, wie würden Sie die definieren – gegenüber dem Vizekanzler Franz Müntefering, gegenüber dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck. Ist das so etwas wie die Troika, oder ist es wie eine klare Nummer 1 für Sie, für Kurt Beck?
Beck: Es ist ein sehr enges Zusammenwirken, aber ist, glaube ich, auch unbestritten in dieser Runde, dass jeder seine verantwortliche Aufgabe hat. Peter Struck führt die Fraktion hervorragend, Franz Müntefering ist in hohem Maße anerkannt als Vizekanzler und als unser Sprachrohr, unsere Orientierungsperson in der Regierung. Und meine Aufgabe ist es, die Partei zu führen. Das wird anerkannt, auch von den beiden Kollegen, die ihre Arbeit hervorragend machen – ohne dass man sich nicht gegenseitig Rat einholt und miteinander wichtige Schritte berät.
Jepsen-Föge: Gut, das ist die Funktionsteilung. Aber es muss doch so etwas geben – oder gibt es das nicht – wie eine klare Nummer 1?
Beck: Es gibt eine klare Orientierung. Der Parteichef ist Parteichef, und das wird auch akzeptiert.
Jepsen-Föge: Können Sie sich auch ohne formelle Nominierung als Kanzlerkandidat, als ein solcher fühlen, wenn denn plötzlich sozusagen im Falle der Fälle es während dieser Legislaturperiode schon ein Thema werden sollte – auch das ist ja jetzt einmal angesprochen worden –, oder eben für die nächste Bundestagswahl?
Beck: Die Sozialdemokratie ist entscheidungsfähig zu jedem Zeitpunkt, aber diese Entscheidung steht nach aller Voraussicht nicht an. Wir wollen ja nicht hoffen, dass etwas so Schlimmes passiert, dass es neue Orientierungen braucht. Also, wir werden im Jahr 2009 unsere Spitzenposition besetzen, und ich werde dazu den ersten Vorschlag machen.
Jepsen-Föge: Aber ist das nicht viel zu lange hin, kann es nicht Ihrer Popularität nur guttun, wenn das früher feststeht, wer die personelle Alternative zu Angela Merkel ist, denn noch ist ja auch sozusagen der Popularitätsgewinn von Angela Merkel gegenüber Kurt Beck deutlich?
Beck: Es ist, glaube ich, nicht notwendig, dass man das ohnehin in Deutschland nicht vorhandene Amt der Kanzlerkandidatin und des Kanzlerkandidaten über eine ganze Legislaturperiode hin festhält. Das ist eine Personifizierung der Wahlauseinandersetzung, die zu Beginn des Wahlkampfes notwendig ist. Alles andere wäre verfrüht und auch völlig daneben. Ich finde, es muss nicht, und schon gar nicht in einer Großen Koalition, eine Schattenkanzlerin oder einen Schattenkanzler geben. Das ist nicht unsere Vorstellung.
Jepsen-Föge: Herr Beck, ist der Eindruck den richtig, dass in dieser Großen Koalition – Sie erwähnten eben, sie besteht gerade eineinhalb Jahre – der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen Union und SPD schon sehr zusammengeschmolzen ist?
Beck: Durchaus nicht. Das, was in der Koalitionsvereinbarung steht, wird auch umgesetzt werden. Da bin ich ganz sicher. Es wird ja immer nur wahrgenommen, was kontrovers ist, aber seltener wahrgenommen, was an Regelungen auch umgesetzt worden ist. Ich erinnere an das Elterngeld, ich erinnere an Fortschritte, die wir jetzt gerade auf der Agenda haben hinsichtlich der verbesserten Chancen für junge Menschen, wenn sie studieren wollen – Stichwort BAföG, Stichwort Elternfreibeträge.
Ich erinnere an das 25-Milliarden-Programm, das wirklich wichtige Zukunftsweichen stellt. Da finden wir uns als Sozialdemokraten hervorragend wieder, und ich denke, es ist auch ein Feld gemeinsamer Politik, das unumstritten gewesen ist und bleiben wird.
Jepsen-Föge: Aber dennoch ist auffällig, oder ist dieser Eindruck falsch, dass sich die beiden Partner nicht gegenseitig gleichsam Erfolge gönnen können.
Beck: Nun ja, wir wollen schon Erfolge haben, denn Erfolge wie beispielsweise in der Europapolitik, in der Außenpolitik, aber auch in wichtigen sozialpolitischen Entscheidungsbereichen sind immer Erfolge der gesamten Regierung. Und Deutschland muss erfolgreich regiert werden, das Notwendige muss getan werden. Das steht im Vordergrund, und nicht Parteitaktik. Dabei bleibe ich ausdrücklich.
Und ich will darauf hinweisen dürfen, dass auf der Basis dessen, was die Regierung Schröder geleistet hat und fortgesetzt in dieser Koalition, wir ja doch in einer wirtschaftlichen und Arbeitsmarktsituation sind, die deutliche Besserung zeigt. Also, wir kommen auch voran, und das Gerede vom "Sanierungsfall Deutschland" hat sich Gott sei Dank als Reformnotwendigkeit, aber nicht etwa als Sanierungs- und Abwicklungsfall dargestellt.
Jepsen-Föge: Gut. Unter dem Stichwort "gönnen können" will ich mal das an zwei Beispielen versuchen, festzumachen. Nehmen wir einmal die Familienpolitik. Ursula von der Leyen als zuständige Ministerin hat ja Vorschläge gemacht, die nun wirklich von denen der SPD gar nicht so weit entfernt liegen. Und trotzdem hat die SPD durch ihren Generalsekretär, durch andere, auch durch Sie immer wieder eher das Trennende betont.
Beck: Nun ja, es ist nichts Trennendes zwischen dem, was Frau von der Leyen gesagt hat und uns in den Inhalten, aber sehr wohl in der Bereitschaft, das auch zu finanzieren. Und sie hat ja teilweise über Felder gesprochen, die Landespolitik sind, Dinge, die in Rheinland-Pfalz schon Gesetz sind oder in der Gesetzgebung, und über andere Bereiche, zu denen sie dann auf die Frage, wie es finanziert werden soll, gesagt hat: Das kommt aus dem großen Steuertopf.
Das sind natürlich nicht Antworten, die man stehenlassen kann. Man kann nicht auf der einen Seite das positiv Bewertete darstellen und sagen: Jetzt soll der sozialdemokratische Finanzminister mal gucken, was er daraus macht. Da muss man schon, wenn man solche inhaltlichen Vorschläge macht, auch die Finanzierungsseite gemeinsam mit vertreten. Und nur dies, dass das nicht der Fall war, haben wir kritisiert.
Jepsen-Föge: Aber dadurch eher dieses Projekt erschwert, auch wenn Sie davon sprechen – hier der sozialdemokratische Finanzminister, hier die christdemokratische Familienministerin, man kann das ja als gemeinsames Projekt sehen und sagen: Okay, das ist ein guter Gedanke, wir packen das gemeinsam an.
Beck: Nun ja, der Gedanke ist ja nicht neu, sondern wie gesagt: In Rheinland-Pfalz ist er schon Gesetzeslage. Also müssen wir ja jetzt Gedanken, die unsere sind, die ja auch in unserem Wahlprogramm stehen und auch in der Koalitionsvereinbarung, durchaus jetzt nicht nochmal neu loben, sondern jetzt muss es um Umsetzung gehen. Und wenn die Umsetzung darin besteht, bunte Luftballons steigen zu lassen, dann sagen wir: Das ist zu wenig. Insoweit haben wir das nicht erschwert.
Erschwert hat es eher der innerparteiliche Konflikt in der Union, wo man ja zwar eine Gruppe um Frau von der Leyen hat – da würde ich auch die Bundeskanzlerin dazu zählen –, aber andere bekämpfen ja dieses Ziel, der konservative Flügel. Und Herr Kauder hat als deren Sprecher ja deutlich gesagt: Jetzt wollen wir erst einmal gucken, ob der Bedarf überhaupt da ist. Nein, da ist keine Erschwernis von uns ausgegangen. Das hätte besser intern vorbereitet werden können und müssen, dann wären wir vielleicht schon ein Stück weiter. Wir werden auf jeden Fall dieses Thema vorantreiben.
Jepsen-Föge: Herr Beck, ich komme denn auch auf die Gemeinsamkeiten, sozusagen auf die gemeinsamen Erfolge, will doch aber eher nochmal ein Konfliktthema ansprechen, was zumindest bisher als Konfliktthema erscheint – in der Außenpolitik. Sie selber haben die Bemühung der Bundesregierung um eine gemeinsame Haltung zu amerikanischen Raketenabwehrplänen durch Ihre Aussage durchkreuzt – ich verkürze das, aber ich glaube, so in etwa haben Sie es auch gesagt: Wir brauchen keine neuen Raketen.
Sie haben vor Wettrüsten gewarnt in einer Phase, wo die Bundeskanzlerin sagt, ihr kommt es eigentlich darauf an, auf Diplomatie, dass wir darüber sprechen und auch eine gemeinsame Position entwickeln. Sie haben das schon einseitig festgelegt.
Beck: Es kommt auf zwei Dinge an, in der Tat. Es kommt auf einen diplomatischen Weg an, über den sind wir uns einig – nämlich dass solche Fragen in der Europäischen Union und in der NATO besprochen werden müssen und nicht bilateral zwischen den USA und einzelnen EU-Staaten verhandelt werden können. Und das Zweite ist: Wenn man in Verhandlungen geht, braucht man ein Ziel. Und ich bedaure, wenn es ein solches klares Ziel nicht gibt. Unser klares Ziel ist, keine neue Wettrüstungsspirale auszulösen.
Jepsen-Föge: Nun sagen Fachleute, damit wird auch gar kein Wettrüsten ausgelöst.
Beck: Ja, diese Fachleute kenne ich. Die haben uns schon, als es um den Irakkrieg ging, genau solche Ratschläge gegeben: Wir müssen unbedingt mitmachen, weil das ansonsten alles falsch wäre und wir uns isolieren. Wir wissen jetzt, wie die Dinge gekommen sind. Natürlich kann man rein technisch argumentieren. Und – davon können Sie ausgehen – ich bin schon informiert und habe darüber auch reflektiert, dass es sich hier um ein Abwehrsystem handelt. Aber es wird unmittelbar an der Grenze Russlands aufgestellt. Und wer den russischen Präsidenten gehört hat, wer weiß, wie in Russland darüber gedacht wird. Ich habe selber die Gelegenheit gehabt, mit Herrn Putin zu reden.
Jetzt geht es mir nicht darum, einseitig die russische Position zu vertreten. Aber wenn dort wiederum eine Reaktion erfolgt auf das, was jetzt hier geplant ist, dann sind wir genau in dieser Rüstungsspirale drin. Und ich rate, mit Persönlichkeiten – wie Helmut Schmidt darüber zu reden, ich hab’s getan, wie Egon Bahr darüber zu reden, ich hab’s getan. Und dann kommt man in der Tat zu einer klaren Zielprojektion: Kein neues Wettrüsten. Und deshalb habe ich auch unser Ziel klar positioniert, dabei wird’s auch bleiben. Auf dem Weg – ich habe mit der Kanzlerin darüber intensiv gesprochen – sind wir uns einig.
Jepsen-Föge: Machen Sie sich damit aber doch zu eigen das, was der russische Präsident Putin befürchtet, der sagt, das sei eine Gefährdung Russlands. Die Amerikaner sagen ja eindeutig, das ist es nicht – schon technisch nicht, aber auch politisch nicht.
Beck: Ich mache mir nicht die russische Position zu eigen, nur wenn Russland diese Situation so einschätzt, wenn sie sie als Bedrohung empfindet, dann ist dies ein Faktum, und wenn dort mit entsprechenden Mitteln einer Aufrüstung geantwortet wird, dann sind wir genau in dieser Rüstungsspirale. Und, mit Verlaub, das hat wirklich überhaupt nichts mit Antiamerikanismus zu tun, ich bin wirklich geradezu ein Fan dieses freiheitlichen, großen Landes und seiner großen Ideen – nein, aber stellen wir uns einmal vor, in Lateinamerika würden solche Raketensysteme, die auch nicht gegen die USA gerichtet sind, sondern gegen mögliche dritte Aggressoren aufgestellt, wie die Reaktionen in Amerika wären. Da muss man doch Russland auch zubilligen, dass es seine Interessen dort sucht.
Und der zweite Punkt ist, wir werden den Iran mit seinen Aufrüstungsideen nur dann zähmen, wenn die Welt zusammenbleibt, wenn wir die USA und Russland und China, aber auch die Europäische Union in einem Boot haben und wir denen gemeinsam sagen: So nicht. Wozu würden denn die Resolutionen der Vereinten Nationen noch dienen, wenn man sagt, die bauen die Dinger ja eh, deshalb bauen wir die Gegenwehr jetzt schon auf. Wie glaubwürdig ist denn eine solche Politik?
Mir sagen viele außenpolitisch erfahrene Menschen, auch amtierende Außenminister, nicht nur der Bundesrepublik, mit denen ich gesprochen habe, wir setzen nach wie vor darauf, dass der Iran zur Vernunft zu bringen ist. Und wir müssen darauf achten, dass wir nicht dieses Regime stärken, das nach innen ja immer hohler wird, weil es nichts hinbekommt dadurch, dass wir den äußeren Druck so erhöhen, dass man dann dem Präsidenten den Gefallen tut, den man ihm nicht tun sollte.
Jepsen-Föge: Herr Beck, nun würde Ihnen sicher niemand Antiamerikanismus vorwerfen, wohl aber die Überlegung, dass Sie gleichsam eine antiamerikanische Tendenz in der Bevölkerung nutzen, nutzen zu Gunsten der SPD für einen Wahlerfolg der SPD, denn das hätte ja eine realistische Grundlage. Es gibt eine Umfrage, nach der mehr Deutsche die USA für gefährlich halten als den Iran.
Beck: Wenn das so wäre, würde ich dem immer entgegentreten. Aber mit Verlaub, ein Teil dessen, was an Misstrauen entstanden ist, nicht gegen Amerika, aber doch gegen bestimmte politische Verhaltensweisen, dass sind Dinge, die hängen eben mit solchen Informationen der Weltöffentlichkeit zusammen über den Irak, die sich hinterher als unwahr herausgestellt haben.
Und das hängt auch mit Verhaltensweisen zusammen, dass man sich teilweise in Ländern, die heute den Westen und die Freiheit bedrohen, insbesondere auch durch Terrorismus bedrohen, mit Raketen und mit Waffensystemen auseinandersetzen muss, die eben auch da hin verkauft worden sind, russische und amerikanische, aber eben Waffensysteme, die da hin verkauft worden sind. Nein, das ist alles nicht besonders glaubwürdig, und ich glaube, dass wir gut daran tun, Amerika nicht nur entlang seiner jetzigen Administration, sondern entlang der Position der Menschen zu verstehen. Und in Amerika gibt es ja lautere Stimmen, die das, was ich anspreche, mindestens so kritisch sehen, wie wir es antönen.
Jepsen-Föge: Herr Beck, zum Kurs der SPD gilt noch die Richtung, die Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 gesetzt hat, also Reformen der sozialen Sicherungssysteme, oder gilt, das Ende der Zumutungen ist erreicht?
Beck: Es gilt, dass die großen Sozialsysteme reformiert werden mussten. Das haben wir weitgehend geschafft, die Pflegeversicherung steht noch an. Es gilt darüber hinaus, dass wir den Haushalt konsolidieren müssen. Da sind wir auf einem guten Weg. Und es gilt, dass wir eine Reihe von Reformen, insbesondere im Bereich der Chancengleichheit bei der Bildung, machen müssen, dass wir uns außen- und auch innenpolitisch einstellen müssen auf eine veränderte Welt. Das alles läuft, ganz ohne Frage.
Aber ich glaube, es ist auch richtig, dass in einer Zeit des Aufschwungs – und die Regierung Schröder hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass es dazu gekommen ist – jetzt auch berechtigt ist, darauf hinzuweisen, dass alle, die daran mitgewirkt haben und daran mitwirken, auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch der kleine Selbständige und der Handwerker und der Landwirt, ihren Anteil haben müssen an diesem Aufschwung. Und darauf müssen wir schon achten. Denn ich erlebe in Diskussionen mit Menschen, gerade in den letzten Tagen, in denen die Einkünfte der DAX-Unternehmensvorstände veröffentlicht werden und der Aufsichtsräte, dass die Leute sagen: Ja, haltet ihr uns denn alle für völlig verrückt? Uns predigt ihr, ihr dürft nicht mehr haben, und …
Jepsen-Föge: … sind das geradezu, würden Sie sagen, unanständige Einkommen?
Beck: Das sind nicht vertretbare Größenordnungen. Ich will ja, dass die Leute ihre Leistung bezahlt bekommen, und es hat auch nichts – das wird ja sofort einem eingeredet – von Neiddiskussion. Darum geht es mir überhaupt nicht. Aber wir müssen doch den Leuten mal zuhören. Und die Leute, die in der Mitte der Gesellschaft, die Krankenschwester und der Facharbeiter, die Ingenieurin und der Lehrer, die Leute mitten in der Gesellschaft, die arbeiten ja auch nicht weniger hart und strengen sich unglaublich an.
Und denen kann ich nicht dauernd sagen: Euch nehmen wir immer noch mehr weg, und auf der anderen Seite, na ja, da kommt es offensichtlich nicht darauf an. Dies müssen wir wieder in die Balance bringen. Und deshalb habe ich gesagt, den Bogen darf man nicht überspannen, der Leistungsträger, denn die brauchen wir, heute und morgen.
Jepsen-Föge: Heißt das konkret, dass Sie auch sagen, jetzt haben die Arbeitnehmer in den unterschiedlichen Branchen – wir haben ja jetzt die Tarifverhandlungen, das beginnt jetzt – haben das Recht, mal sozusagen einen kräftigen Schluck aus der Pulle zu nehmen?
Beck: Das ist Sache der Tarifvertragsparteien, das im Einzelnen zu entscheiden. Wir können beispielsweise bei den öffentlichen Händen so etwas immer noch nicht finanzieren wegen des In-Ordnung-Bringens des öffentlichen Haushaltes. Und es gibt sicher …
Jepsen-Föge: … aber in Bereichen wie der Metallindustrie?
Beck: … es gibt sicher Branchen, die unterschiedlich ausgestattet sind, auch mit Gewinnen. Und das zu unterscheiden, das können die Tarifvertragsparteien viel besser als die Politik. Aber eine angemessene Beteiligung der arbeitenden Menschen an dem, was an Erfolg da ist – die Auftragsbücher sind so voll wie nie, und sie sind auch über den Tag hinaus gut gefüllt, und die Gewinne sind ja auch Gott sei Dank bei den allermeisten Branchen hervorragend – also insoweit einen angemessenen Anteil, den halte ich für gerechtfertigt.
Jepsen-Föge: Herr Beck, es hat noch kein Ergebnis gegeben bei allen Bemühungen, den Niedriglohnsektor neu zu regeln. Zwischen Mindestlohnforderung und Kombilohn der Union hat es noch keine Einigung gegeben. Wird das ein Konflikt bleiben? Wie zeichnen sich da Kompromisse ab?
Beck: Wir haben eine klare Linie auf der sozialdemokratischen Seite. Wir wollen alle die Schritte zu einer Verbesserung der Situation, um die Ausbeutung von Menschen zu verhindern, gehen, die wir in dieser Koalition gehen können. Wir haben für die Bauarbeiter eine saubere Situation. Sie tritt jetzt in Kraft für das Gebäudereinigergewerbe, immerhin 850.000 Menschen. Und wir reden über weitere Branchen derzeit. Das ist in der Koalition in der Diskussion.
Darüber hinaus hat Franz Müntefering zu Recht gesagt, es gibt einfach sittenwidrige Löhne. Wenn man ein Drittel weniger bezahlt oder mehr, als man üblicherweise an ortsüblichen Löhnen für eine Leistung bezahlt, dann ist dies nicht mehr in Ordnung, dann ist das eine Ausbeutung. Da wollen wir eine gesetzliche Handhabe.
Aber wir werden am Ende über Entsendegesetz und Tarifvertragsregelung, über Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen dazu kommen müssen, wie Amerika, wie 20 andere europäische Staaten – und Österreich ist derzeit zusätzlich auf dem Weg – einen Mindestlohn zu definieren. Das sollen Fachleute machen, nicht die Politik, und zu sagen …
Jepsen-Föge: Haben Sie Grund zur Vermutung, dass Sie das hinkriegen mit der Union?
Beck: Ich bin im Moment nicht so sehr optimistisch, dass wir das hinkriegen, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn hinbekommen, aber ich bin durchaus zuversichtlich, dass wir weitere Schritte in diese Richtung hinbekommen werden. Und deshalb auch unsere derzeitige Unterschriftenaktion, um das politische Umfeld auch zu bereiten. Das ist keine Druck-mach-Position, es ist eine, einfach ein Nachdenken zu erreichen.
Jepsen-Föge: Zu diesem Umfeld gehört ja, die gesamten Mitglieder der Linksfraktion im deutschen Bundestag haben unterschrieben und jetzt noch eins draufgesetzt und gesagt, die PDS, die Linke werde die SPD gerne dabei unterstützen, Mindestlohn auch parlamentarisch durchzusetzen.
Beck: Das ist eher eine dümmliche polittaktische Reaktion. Man kann sich an einer solchen Stelle, einer offenen Unterschriftenaktion, ja nicht vor solchen Versuchen, das umzumünzen, schützen. Also, das nehme ich nicht ernster, als es zu nehmen ist. Es ist eher so, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen an einer solchen Stelle, dort geht es um Parteitaktik. Uns geht es wirklich darum, die Menschen abzusichern. Das nehme ich nicht ernster, als es zu nehmen ist.
Jepsen-Föge: Aber ist das nur Parteitaktik? Nehmen wir das mal etwas weiter: PDS und WASG wollen, und das haben sie beschlossen am vergangenen Wochenende, eine gemeinsame Partei gründen. Und durchaus gibt es ja auch das Ziel, zu sagen, irgendwann wollen wir auch die Linke, links der Mitte, zusammenführen – SPD; PDS, Grüne. Und ist das nicht eigentlich auch für die SPD die Perspektive? Oder würden Sie sagen, immer dran denken, aber nie davon reden?
Beck: Wissen Sie, wenn die Spalter jetzt erzählen, wir sind die Zusammenführer, dann könnten die Wölfe auch zu Schafen erklärt werden. Wenn man versucht, sie zu scheren, wird man merken, dass sie keine Schafe sind. Nein, da sind innerhalb der PDS eine Menge von Leuten unterwegs, die haben mit dem Kommunismus, mit Wahlbetrug, mit Mauer und Schießbefehl ihr Ende nie gemacht, da sind in der WASG eine Menge Leute unterwegs, die haben schon allen möglichen K-Gruppen angehört. Und deren Spaltungspotential, das wird diese neue Gruppierung noch spüren.
Jepsen-Föge: Oder Ihr Vorgänger Oskar Lafontaine als SPD-Vorsitzender?
Beck: Ja, er lebt eine besondere Art der persönlichen und der politischen Abgrenzung und vielleicht Selbstrechtfertigung derzeit aus, das muss man nicht weiter kommentieren.
Jepsen-Föge: Gut, aber lassen wir einmal diese Personalien, die ja sicher schwierig sind, beiseite. Ist das eine Perspektive, eine große Linke aus SPD, PDS, Grünen, die gemeinsam regiert und damit auch Kurt Beck gemeinsam zum Kanzler machen kann?
Beck: Eine große Perspektive ist, dass alle, die freiheitlich, gerecht und solidarisch denken und an Frieden in unserer Gesellschaft und auch außen interessiert sind, in der Sozialdemokratie ihren Platz haben. Und dazu laden wir ein. Alles andere hat noch nie der Linken genutzt und hat immer dazu geführt, dass andere Kräfte, die ja im Regelfall sehr viel mächtiger sind, die Oberhand gewonnen haben.
Gucken Sie sich an, was da derzeit in Deutschland an Unglaublichem sich abspielt, wenn man den wirklich großen Erfolg über Mitbestimmung den Menschen mitverantworten, aber auch mitsagen lassen will, wie es weiter geht, wie es versucht wird zu desavouieren. Die einen wollen die Mitbestimmung kaputt machen, und die anderen versuchen sie auszuhöhlen, indem man sich eigene Betriebsräte kauft und aufbaut und denen Millionen in den Rachen steckt.
Also, wer wirklich im Interesse der arbeitenden Menschen denkt, einer solchen freiheitlichen Gesellschaft auch Selbständigmachen ermöglichen will, der kann, glaube ich, nicht über solche Polarisierungen und Trennungen nachdenken, sondern er muss über eine Stärkung nachdenken. Und das geht nicht durch Abspaltung.
Jepsen-Föge: Und ganz zum Schluss eine kurze Frage: In Rheinland-Pfalz regieren sie allein und unbestritten. Ist Rheinland-Pfalz auch ein guter Nährboden für Bundeskanzler?
Beck: Es scheint zumindest nicht so ein schlechter Nährboden zu sein dafür, dass man von dort aus interessante politische Positionen anstreben kann. Es gab ja Bundespräsidenten, die aus diesem Land hervorgegangen sind …
Jepsen-Föge: … und es gab auch einen Bundeskanzler …
Beck: … und es gab auch einen Bundeskanzler, der da hervorgegangen ist, und viele andere Leute. Also, Rheinland-Pfalz ist ein so schönes Land und offensichtlich in der vitalen Situation, dass es immer interessante Menschen in allen Feldern gibt. Ich freue mich, dass ich jetzt dieses Land regieren darf, und ich freue mich darüber hinaus, dass ich auch in Berlin als Parteivorsitzender einige Aufgaben wahrnehmen darf.
Jepsen-Föge: Vielen Dank, Herr Beck.
Beck: Ich danke auch.