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Becks Nachlass

Bürgerbeteiligung und Forstwirtschaft, Nürburgring und Flughafen Hahn - das Themenspektrum ist breit, mit dem Malu Dreyer als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz konfrontiert wird. Sie müsse öfter mal passen, sagt sie. Doch bislang bietet sie wenig Angriffsfläche für die Opposition.

Von Ludger Fittkau |
    Malu Dreyer: "Sind ja echt schöne Bäume, Linden. In der Stadt haben die das ja nicht so gerne, weil die halt weinen. Aber dieser Duft, das ist doch wunderbar!"

    Drei junge Linden, wie von einem Nachwuchs-Christo eingepackt in ein riesiges weißes Tuch. Marie-Luise Dreyer, genannt Malu, wird ein grünes Band in die Hand gedrückt, sie soll damit das Tuch wegziehen und die Bäume freilegen. Das klappt nicht auf Anhieb, rund 30 angehende Forstwirte in leuchtenden Sicherheitswesten brauchen eine Weile, um die frisch gepflanzten Linden von der Verpackung zu befreien.

    Dreyer: "Ja, das ist ein schwieriges Unterfangen hier."
    Förster: "Ist ja eine Ausbildungsaufgabe."
    Dreyer: "Muss man auch nicht jeden Tag im Wald machen."
    Förster: "Ne, jeder zweiter reich."

    Rund um die 51-Jährige in ihrem gut geschnittenen schwarzen Hosenanzug stehen Männer in grünen Lodenmänteln – staatliche Förster aus dem Pfälzer Wald.

    Der feierliche Anlass: die Eröffnung eines neuen Ausbildungszentrums für Forstwirte in Hinterweidenthal, mitten im größten zusammenhängenden Waldgebiet Deutschlands. Die SPD-Frau ist die Festrednerin. Für die staatlichen Förster, bei denen in den letzten Jahren viele Stellen gestrichen wurden, ein Hoffnungszeichen:

    "Das ist für uns ausgesprochen wichtig, weil es ja doch die Wertschätzung der Landesregierung für das Forstwesen zum Ausdruck bringt. Und gerade hier in Verbindung mit dem neuen Ausbildungszentrum ist das eine besondere Anerkennung für uns."

    Unter den mehreren Dutzend Auszubildenden, die Malu Dreyer später aufmerksam zuhören, sitzen nur drei junge Frauen. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz registriert das genau. Sie erzählt in ihrer Rede von einer Försterin, mit der sie sich im Trierer Stadtwald öfter unterhält. Die strahlt Leidenschaft für ihren Beruf aus, erzählt Malu Dreyer und blickt in die Runde.

    Zu Beginn ihrer Amtszeit vor rund 100 Tagen hatte die Frauen-Zeitschrift "Emma" die Nachfolgerin von Kurt Beck porträtiert und die Frage gestellt: Eine Feministin im Amt – aber wird sie es auch bleiben? Malu Dreyer ist überzeugt:

    "Auf jeden Fall! Es gibt heute keine feministische Bewegung mehr, das muss man auch immer wieder betonen, aber ich habe nach wie vor einen ganz starken Drang, immer auch darauf zu schauen, dass Männer und Frauen gleichgestellt sind. Und deswegen finde ich es bei Berufen, die klassischerweise auch Männerberufe sind, dass sich im Ausbildungsbereich und auch im Beruf was die Geschlechterfrage betrifft, etwas verändert. Ich finde das wichtig!"

    "Ja, mein Name ist Ingo Höft, ich bin Pirat. Frau Ministerin, zählen sie denn die Bestandsdatenauskunft auch dazu?"

    Die studierte Juristin bleibt wachsam, wenn Männer sich zu breitmachen. Das zeigt sich ein paar Stunden früher. In Speyer, in einem Hörsaal in der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften. Eine Kaderschmiede des Bundes und der Länder zur Aus- und Weiterbildung von Führungskräften in den öffentlichen Verwaltungen.

    Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin muss mit ihrer Rede zur Verwaltung in Zeiten des Internets warten, weil der Redner vor ihr seine Vortragszeit überzieht. Selbst die Leute von der Piratenpartei wollen mit ihr diskutieren.

    "Da Herr Wagner ja ein bisschen seine Redezeit überschritten hat, will ich jetzt aufhören, weil sonst gar keine Zeit mehr bleibt für die Diskussion!"

    Bürgerbeteiligung in Zeiten des Internets und die Zukunft der Forstwirtschaft – schon binnen weniger Stunden wird das weite Themenspektrum deutlich, mit dem Malu Dreyer in ihrem neuen Amt konfrontiert wird. Die elf Jahre davor hatte sie in Mainz das Ministerium für Arbeit, Familie, Soziales und Gesundheit geleitet, Themen aus dem Herzen der Sozialdemokratie also. Da hatte sie alles im Griff. Das enorme Themenspektrum im neuen Amt hat sie selbst ein wenig überrascht, räumt die Mainzer Regierungschefin ein:

    "Also, in den ersten hundert Tagen war das schon eine sehr bunte Mischung. Es gab ja viele sehr, sehr wichtige Themen. Ich nenn jetzt mal den Elysée-Vertrag, oder hier in Rheinland-Pfalz auch den Bürgerempfang oder die Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille. Aber was meine Arbeitsintensität innerhalb der Staatskanzlei betrifft, da haben natürlich solche Projekte wie der Flughafen Hahn und auch der Nürburgring eine ganz entscheidende Rolle gespielt."

    Der insolvente Nürburgring und der finanziell angeschlagene Flughafen Hahn im Hunsrück – politische Altlasten aus der Ära Kurt Beck. Malu Dreyer sollte da als Ministerpräsidentin für einen Neuanfang stehen. Und doch muss sie die Themen jetzt abräumen – weil sie keinen Aufschub mehr vertragen. CDU-Oppositionsführerin Julia Klöckner setzte Dreyer schon unter Druck, in dem sie vor ihr nach Brüssel zur EU-Kommission fuhr. Und sie redet jetzt beim Nürburgring entscheidend mit. Doch anders als Beck, der bei den Klöckner-Attacken zunehmend dünnhäutig reagierte, bleibt seine Wunsch-Nachfolgerin gelassen. An viele andere Themen muss sie sich noch rantasten, sagt sie nüchtern:

    "Ja, es ist eigentlich ganz anders. Und ich muss auch sagen, aus meiner Tätigkeit als Fachministerin heraus habe ich da auch noch ein bisschen Gewöhnungsbedarf. Wenn ich früher irgendwo hingefahren bin, konnte ich wirklich auf jedes Detail eine Antwort geben."

    Jetzt müsse sie schon öfter mal passen, sagt Malu Dreyer ohne Umschweife. Vielleicht auch, weil sie so unverkrampft mit ihren Lücken umgeht, bietet sie bisher wenig Angriffsfläche für die Opposition: die CDU.

    "Wofür die Bank hier ist."

    Zurück zu den Förstern in Oberweidenthal. Da wird Malu Dreyer gerade von ihrem Mitarbeiter zu einem robusten Gartentisch samt Sitzbänken geführt. Die angehenden Forstwirte haben die Möbel gefertigt. Ein Geschenk für das integrative Wohnprojekt Schammatdorf in Trier, in dem Dreyer lebt.

    Dreyer: "Das Schammatdorf, die werden total begeistert sein!
    Also, das ist ja ne echte Überraschung, ganz, ganz toll."

    Trotz grauem Alltag in der Staatskanzlei mit Nürburgring und Flughafen Hahn – und trotz gelegentlichen Scharmützeln mit der Opposition: In diesem Moment mitten im Frühlingserwachenden Pfälzer Wald ist nach 100 Tagen für Malu Dreyer alles im grünen Bereich.