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Beckstein: Kein zusätzlicher Finanztransfer im Zuge der Föderalismusreform

Bayern will im Zuge der Föderalismusreform II keine zusätzlichen Gelder an ärmere Bundesländer transferieren. Ministerpräsident Günther Beckstein sagte, Bayern sei derzeit mit fast vier Milliarden Euro am Länderfinanzausgleich beteiligt. Das seien mehr als zehn Prozent des Haushalts. Es könne nicht richtig sein, wenn jetzt noch weitere Forderungen gestellt würden.

Moderation: Dieter Jepsen-Föge |
    Dieter Jepsen-Föge: Herr Beckstein, unsere Hörerinnen und Hörer kennen Sie seit vielen Jahren als Innenminister Bayerns, aber über Bayern hinaus wirkend an der Seite von Bundesminister Otto Schily ebenso wie an der Seite des Christdemokraten Wolfgang Schäuble immer als Kämpfer für die innere Sicherheit. Wie wohl und wie zu Hause fühlen Sie sich nun, fünf Wochen, nachdem Sie Ministerpräsident dieses Bundeslandes Bayern geworden sind?

    Günther Beckstein: Ich war ja 14 Jahre lang Staatsminister des Inneren in Bayern. Es ist völlig klar, dass man dadurch sehr stark geprägt ist. Jetzt, nach fünf Wochen, kann ich sagen, es ist nochmal eine völlig andere Herausforderung in der Politik, wenn man nicht für ein bestimmtes Ressort Verantwortung trägt, sondern für den Gesamtbereich der Politik, von der Bildungspolitik bis zur Wirtschaftspolitik.

    Ich stelle fest - eine fast unübersehbare Fülle von Terminwünschen, sowohl bei Veranstaltungen draußen im Land als auch von Gesprächswünschen. Das ist auch ein ganz besonderer Reiz. Wenn man so lange in einem Ressort zu Hause ist, dann fühlt man sich schon fast nicht mehr als der Politiker, sondern wie der oberste Beamte. Aber ich bin Politiker aus Leidenschaft, und da bin ich jetzt froh, dass ich als Ministerpräsident ein noch größeres Aufgabenfeld habe.

    Jepsen-Föge: Ein größeres Aufgabenfeld - dabei im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger Edmund Stoiber sind die Ämter jetzt geteilt: Erwin Huber als CSU-Vorsitzender und Sie als Ministerpräsident Bayerns. Bedeutet auch diese Ämterteilung, dass Erwin Huber sozusagen die Berliner Bühne, die Bundespolitik, bespielt und Sie sich auf Bayern beschränken?

    Beckstein: Nein, selbstverständlich ist für den bayerischen Ministerpräsidenten es eine unabdingbare Notwendigkeit, auch die Bedeutung des Freistaates Bayern in der Bundespolitik ja auch zu repräsentieren und anzumelden. Es wäre nicht ausreichend, zwischen Berchtesgaden und Aschaffenburg, zwischen Lindau und Hof, sozusagen das Land zu gestalten und zu verwalten, sondern selbstverständlich ist man nicht nur im Bundesrat zu allen wichtigen Fragen der Bundespolitik gefordert.

    Aber die Ämterteilung, die ich auch immer gewollt habe, verlangt, dass da eine nahtlose Abstimmung zwischen den beiden Führungspersönlichkeiten stattfindet. Das ist auch deswegen wichtig, weil Erwin Huber ja in meinem Kabinett als Finanzminister ist. Er wird damit auch völlig selbstverständlich in der Landespolitik mitreden, ich umgekehrt in der Bundespolitik.

    Das heißt, bei allen wichtigen Fragen stimmt man sich ab. Das ist auch gar kein großer Nachteil, denn die Entscheidungen, gerade in einer großen Koalition in Berlin, laufen ja auch nicht im Sekundenbereich. Wir wären ja meistens schon froh, wenn sie im Bereich von Wochen und Monaten fielen.

    Jepsen-Föge: Herr Beckstein, vor zwei Jahren ungefähr hat Franz Müntefering für Sie einmal Schicksal gespielt. Er war nämlich zu dem Zeitpunkt zurückgetreten als SPD-Parteivorsitzender, und Edmund Stoiber, Ihr Vorgänger, hatte das zum Anlass genommen, zu sagen: Jetzt gehe ich doch nicht nach Berlin, trete nicht ins Kabinett von Angela Merkel ein, sondern bleibe in Bayern.

    Damals sind sozusagen Ihre Hoffnungen verstummt und auch die von Erwin Huber, gleichsam Edmund Stoiber abzulösen. Nun sind zwei Jahre vergangen, Sie sind Ministerpräsident, Franz Müntefering ist wieder zurückgetreten nun von seinen Ämtern im Bundeskabinett, auch als Vizekanzler. Was bedeutet das für die Bundespolitik?

    Beckstein: Ich bedaure, dass Franz Müntefering zurückgetreten ist, habe allerdings Verständnis. Es ist ja ein höchst honoriges Verhalten, wenn er sagt, wegen der schweren Krankheit seiner Frau sich für sie Zeit nehmen zu wollen. Das verdient Respekt und Anerkennung.

    Die politischen Aspekte heißen natürlich: Franz Müntefering war zwar ein schwieriger Partner, aber ein verlässlicher Partner. Er war ein starker Vertreter des Kurses der Konsolidierung des Staatshaushaltes, er war jemand, der für die langfristige Stabilität der Sozialsysteme auch Einschnitte durchgesetzt hat und zu denen gestanden ist. Und von daher war er ein ganz wichtiger Stabilitätsanker der Koalition.

    Das muss sich erst noch zeigen, dass die Nachfolge des Vizekanzlers und des Arbeitsministers die selbe Qualität als Stabilitätsanker haben. Ich hoffe das sehr, denn wir brauchen eine handlungsfähige Bundesregierung. Wir leben in einer Zeit, wo wir im internationalen Wettbewerb sehr schnell von anderen überholt werden können. Die Beschleunigung der Politik, die Beschleunigung der Wirtschaft merkt ja jeder, und deswegen können wir uns ein paar Jahre Stillstand nicht leisten. Ich hoffe sehr, dass die Nachfolger die Qualität von Franz Müntefering sofort aufnehmen.

    Jepsen-Föge: Dieses klingt wie eine Mahnung, aber auch wie eine Sorge, dass es anders sein könnte. Und tatsächlich, wenn man die Diskussionen der letzten Tage verfolgt: Noch nie ist die Bundeskanzlerin, ist die Union insgesamt von der SPD so stark angegriffen worden - so heftig, mit Bezeichnungen wie "Wortbruch" und "Ende der Schonzeit für die Bundeskanzlerin". Das heißt, haben Sie wirklich noch Vertrauen, dass diese Bundesregierung, diese Große Koalition, etwas bewirken kann?

    Beckstein: Ich glaube, die Große Koalition kann und muss etwas bewirken. Natürlich sehe ich die Polemik der SPD, die auf allen Ebenen zu spüren ist. Ich sehe das allerdings in erster Linie schon als Zeichen der Wahlkämpfe in Hessen und in Niedersachsen, auch in Hamburg - auch erscheint am Horizont schon die Bayernwahl und auch in Richtung der nächsten Bundestagswahl wird sich schon positioniert.

    Daneben ist aber für mich auch ganz deutlich, dass die SPD erheblich die Linkspartei als Gefahr sieht. Das wird nicht immer deutlich angesprochen, aber um so deutlicher gedacht. Das bedeutet, man schlägt auf die Union ein, um in Wirklichkeit sich gegenüber der Linkspartei zu profilieren, die ja in der Tat in den Umfragen der SPD eine erhebliche Kraft weg nimmt.

    Der Abstand, der in allen Umfragen der SPD beigemessen wird, dass sie doch acht, zehn Punkte hinter der Union liegt, hängt entscheidend mit der Frage der Linkspartei zusammen. Und deswegen ist es so etwas wie das Pfeifen im Wald. Aber ich bin überzeugt, wenn man in engen Verhandlungsräumen in kleiner Runde ist, dann ist man nach wie vor bereit, zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.

    Jepsen-Föge: Das klingt nach viel Verständnis für die SPD.

    Beckstein: Ich verstehe, dass die SPD mit der Linkspartei Probleme hat, werfe ihr allerdings hier mit aller Massivität vor, dass sie kleine klare Abgrenzung gegenüber Extremisten hatte. Dar rächt sich hier bitter. Sie hat eben nicht gesagt, mit den Kommunisten, die früher SED, dann später PDS geheißen hat, darf man nicht in eine Koalition gehen. Mit Linksextremisten taktiert man nicht, sondern damit setzt man sich nur knallhart auseinander, so wie wir im Bereich der Rechten das machen.

    Ich habe immer die CSU definiert: Die CSU ist eine Partei der Mitte, die auch die demokratische Rechte anspricht. Aber bei Rechtsextremisten werden wir nicht um Stimmen buhlen, sondern da sind wir in einer harten Auseinandersetzung. Das hat die SPD vermieden, das rächt sich bitter, denn dadurch ist die SPD jetzt plötzlich von ihrem linken Sektor mit viel Verständnis für die Linkspartei.

    Wobei es mich persönlich übrigens sehr, sehr empört, dass die Linkspartei gegründet worden ist am Wochenende 16./17. Juni, ausgerechnet am Tag der deutschen Einheit, wo der Kernbereich der PDS unmittelbare Verantwortung hat für Mauer und Schießbefehl. Und dass man da am 17. Juni dann eine Linkspartei gründet und nicht ein Aufschrei durch Deutschland kommt ...

    Jepsen-Föge: ... aber mit dieser SPD wollen Sie tatsächlich noch in Berlin im Bund zwei Jahre regieren, oder rechnen Sie auch mit vorgezogenen Neuwahlen? Manche spekulieren schon, dass am Tag der Landtagswahl in Bayern auch der Bundestag neu gewählt werden könnte.

    Beckstein: Also, die Frage würde dem bayerischen Selbstverständnis völlig widersprechen, wenn an ein und demselben Tag Wahlen für Berlin und für München sind, aber ich glaube auch nicht, dass in etwa im Herbst 2008 schon Bundestagswahlen stattfinden.

    Die Große Koalition ist nicht eine Liebesheirat für uns. Aber sie ist das Ergebnis der Wahlen im Jahre 2005 gewesen, und so ganz eindeutig andere Mehrheiten zeichnen sich ja nicht ab, die handlungsfähig wären. Ich glaube, es ist deswegen die Aufgabe der beiden großen Parteien, die Politik für Deutschland zu gestalten. Und es gibt ja noch eine Menge an Themen, die zu bewältigen sind.

    Jepsen-Föge: Sprechen wir über diese Themen. Die CDU wird in zwei Wochen ihren Bundesparteitag abhalten in Hannover. Was würden Sie sich als Ergebnisse dieses Parteitages wünschen, um CDU und CSU weiter als gemeinsames Bündnis stark zu haben?

    Beckstein: Ich hoffe sehr, dass die CDU einen starken Parteitag hat, der dafür sorgt, dass die CDU einerseits als eine Partei der Mitte dasteht, aber durchaus auch als eine Partei, die die konservative Wurzel - die bürgerliche, die christliche Wurzel - stärkt.

    Die Union hat ja immer mehrere Wurzeln gehabt. Da ist einmal die christlich-liberale, da ist zum Zweiten die konservative, da ist sicher auch eine patriotische Wurzel. Wenn alle diese Wurzeln gestärkt werden und insgesamt die große Schwester CDU gestärkt wird, ist das auch im Sinne der CSU. Wenn in den Umfragen dann die Union signifikant bei über 40 Prozent wieder angesiedelt wäre, wäre das auch für uns ein großer Erfolg. Also ich wünsche Frau Merkel einen sehr, sehr erfolgreichen Parteitag.

    Jepsen-Föge: Nun gibt es ja durchaus auch Konflikte zwischen CDU und CSU, etwa in der Familienpolitik. Es gibt zwar von Ursula von der Leyen einen Gesetzentwurf, der gleichsam eine Kompromisslinie aufzeigt, was die Kinderbetreuung betrifft. Aber sonst fühlen Sie sich insgesamt nicht von ihrer Politik vertreten?

    Beckstein: Ich habe mich neulich mit ihr ausführlich unter vier Augen unterhalten und muss sagen: Wir sind nicht weit auseinander. Sie hat ausdrücklich auch gesagt, sie will auch die Familie stärken, wo sich beide Eltern darüber klar sind, dass sie ohne externe Hilfe ihre Kinder betreuen und erziehen wollen. Das wird ja beispielsweise in vielen Fällen insoweit gemacht, dass beide Eltern Teilzeit arbeiten.

    Wenn Familien das ernst nehmen, dann freut sich Frau von der Leyen auch darüber, wie natürlich in besonderer Weise die CDU in Baden-Württemberg oder Thüringen, die ja gerade auch hier Schwerpunkte setzen. Wenn eine Frau auf Wohlstand verzichtet hat, um Kinder gut zu erziehen, und dann später in Rente oder Pension wiederum weniger bekommt, weil sie eben Zeiten nicht eingezahlt hat, dann verdient das nicht Kritik, sondern Dank und Anerkennung.

    Jedes gut erzogene Kind ist ein großes Geschenk nicht nur für die Familie, sondern auch für Staat und Gesellschaft. Und wir haben das nicht zu kritisieren, sondern zu belobigen.

    Jepsen-Föge: Aber da sind Sie eindeutig noch nicht auf einer Linie mit der Familienministerin?

    Beckstein: Also, ich denke, dass die Familienministerin durchaus auch weiß, was die CSU hier will und dass die CDU auch große Sympathie auch für diesen Bereich hat. Die entscheidende Übereinstimmung kann man dadurch sehr, sehr schnell herstellen, dass man sagt, es bestimmt weder Frau von der Leyen, noch Herr Beckstein, noch ein Bischof oder ein Dritter, wie Familien ihr Leben gestalten, sondern das bestimmen allein die Eltern.

    Wir müssen das erleichtern und sagen, jedes Kind ist willkommen. Wir wollen um jedes Kind uns bemühen. Wir wollen den Eltern die Wahlmöglichkeiten geben und die Voraussetzungen schaffen, dass jede Familienform unterstützt wird.

    Jepsen-Föge: Herr Ministerpräsident, Sie haben im Verhältnis Bayern zum Bund vorhin die Föderalismusreform II angesprochen, das heißt die Neuordnung der Finanzverfassung. Nun hatte auch gerade Ihr Vorgänger Edmund Stoiber - übrigens zusammen mit Franz Müntefering - ja die Föderalismuskommission I geleitet, ein Ergebnis vorgelegt. Wie ist nun der Stand der Neuordnung der Finanzbeziehung?

    Denn letztlich läuft es ja auch auf die Frage hinaus, wie viel Solidarität kann Bayern üben? Bayern hat einen ausgeglichenen Haushalt. Sie tilgen sogar die Schulden. Finanziell geht es Bayern besser als anderen Ländern. Also fühlen Sie sich da auch verpflichtet, nun sozusagen als der Wohlhabendere auch den ärmeren Bundesländern zu helfen im Rahmen der Föderalismusreform?

    Beckstein: Natürlich haben wir als Freistaat Bayern Solidarität zu zeigen, zumal wir selber jahrzehntelang Solidarität erfahren haben. Uns haben andere reichere Länder Finanzausgleich nach dem Krieg gegeben. Das hat Bayern genutzt, um selber Aufsteigerland zu werden, wirtschaftlich sehr stark zu sein. Jetzt müssen wir anderen Ländern helfen, klar. Aber das darf nicht so weit gehen, dass wir dann selber wirklich sehr, sehr sparsam, sehr hart arbeiten und andere, die vielleicht liederlich mit dem Geld umgehen, unterstützen.

    Wenn wir jetzt im Moment mehr als zehn Prozent aller unserer Einnahmen bereits in den Finanzausgleich geben, fast vier Milliarden Euro bei einem Haushalt in die 30 Milliarden, dann ist das wirklich eine hohe Solidarität, die wir üben. Es kann nicht richtig sein, dass man uns noch mehr Geld abnehmen will, dass beispielsweise andere Länder dann Kindergärten ohne Kosten geltend machen, dass wir beschimpft werden, weil wir Studiengebühren erheben.

    Das heißt, wir müssen schon verlangen, dass alle sich massiv anstrengen und äußerst sparsam sind. Nur dann kann man auch die Solidarität einfordern. Und da sage ich, im Moment sehe ich vor allem, dass viele andere Länder ihre Hausaufgaben beim Einsparen noch nicht annähernd so gemacht haben wie wir in Bayern. Und deswegen kann keine Rede davon sein, dass es akzeptabel wäre, dass man sagt, jetzt müssen alle Schulden in einen Schuldenfonds. Völlig inakzeptabel.

    Jepsen-Föge: Aber auf der anderen Seite kommen die ärmeren Bundesländer sonst von ihrem Schuldenberg gar nicht runter. Also im Klartext heißt doch Ihre Position, so verständlich sie aus bayerischer Sicht sein mag, dass es nicht zu einer Neuordnung der Finanzverfassung im Rahmen der Föderalismusreform II kommen kann.

    Beckstein: Es wird selbstverständlich hier zu Veränderungen kommen. Wir müssen das Finanzgeflecht deutlich straffer machen. Aber ein Weg in die Richtung, dass auch reiche Länder sämtliche Schulden abgeben können und dann die von irgendwo her bezahlt werden - es ist ja nicht so, dass dann ein Dritter, zum Beispiel der Bund, bereit stünde, der diese Schulden dann wegschafft, tilgt und verzinst, sondern es müsste dann die Gemeinschaft der Länder das bezahlen.

    Und da kann das überhaupt für mich nicht akzeptabel sein. Das wäre auch eine verheerende Botschaft, dass man sagt, so, jetzt kann man alles Geld abgeben und dann einen völligen Neustart haben. Wir selber haben schon allein wegen dieser Diskussion heuer sehr viel weniger an Schulden dauerhaft zurück bezahlt, weil wir sonst unter Umständen uns ins eigene Fleisch schneiden würden, wenn wir dann sowieso die Schulden einfach in einen Fond abgeben könnten. Das zeigt, dass eine derartige Entschuldung zur liederlichen Finanzpolitik Anlass geben würde.

    Und das ist die falsche Botschaft, sondern wir brauchen alle das Bewusstsein, dass es verantwortungslos ist, Schulden zu machen in einer guten wirtschaftlichen Situation, die man dann in einer schwierigen Situation fast nicht mehr verzinsen kann und wo wir alle wissen, dass in einigen Jahren weniger Erwerbstätige dann mit dem Schuldenberg und den höheren Kosten für mehr Menschen im Alter nicht mehr fertig werden. Und drum muss ich sagen, wir brauchen das gemeinsame Bewusstsein, dass wir wirklich eine ganz strikte seriöse Finanzpolitik machen müssen. Und alles, was dagegen verstößt, wäre verheerend falsches Signal.

    Jepsen-Föge: Herr Beckstein, das "S" im Parteinamen CSU steht für "sozial". Heißt das sehr verkürzt in dieser gesellschaftlichen Situation, und Sie haben oft in Ihrer Regierungserklärung von den Zerwürfnissen gesprochen, heißt das, dass auch die CSU sieht, dass es ein Defizit an sozialer Politik gibt?

    Viele Menschen empfinden das ja so, auch dass der Staat doch mehr tun müsste, um einen Ausgleich zwischen Arm und Reich zu schaffen, um zu verhindern, dass es eine große Kinderarmut gibt. Das heißt, muss der Staat mit den Finanzmitteln, die er im Moment hat, mehr für sozialen Ausgleich in dieser Gesellschaft sorgen?

    Beckstein: Zunächst sehe ich mit Sorge, dass in der Tat die Schere in unserer Gesellschaft auseinander klafft, dass es sehr, sehr viel Reichtum einerseits gibt, dass es aber andererseits auch Menschen gibt, denen es wirklich ganz schlecht geht oder ganz schwierige finanzielle Verhältnisse gibt. Es bedrückt mich, dass insbesondere die Frage der Kinder häufig mit Armut in Verbindung gebracht wird.

    Jetzt frage ich, was kann man dagegen tun? Die Sozialpolitik ist immer die zweitbeste Lösung, die beste Lösung ist zunächst mal, dass jemand sich selber helfen kann. Und deswegen sage ich, das Allerwichtigste heißt, die Arbeitslosigkeit abbauen, Arbeitsplätze zu schaffen. In dem Augenblick, wo Arbeitskräfte knapp sind, ist auch die Frage des Mindestlohns nur eine theoretische Frage.

    Im Großraum München, bin ich felsenfest überzeugt, würde ein gesetzlicher Mindestlohn, es sei denn, er würde völlig unvernünftige Höhen haben, keine Rolle spielen, weil es Arbeitsplätze ...

    Jepsen-Föge: Aber durchaus in manchen Grenzgebieten Bayern, zum Beispiel zu den neuen osteuropäischen Nachbarn, die jetzt EU-Partner sind. Aus dem Grunde wiederum müssten Sie doch geradezu für Mindestlöhne plädieren, weil sonst durch die osteuropäische Konkurrenz die eigenen Arbeitsplätze gefährdet wären.

    Beckstein: Vor allem bin ich deswegen ein Gegner einer vorzeitigen Freizügigkeit für Arbeitnehmer. Wir haben ein massives Gefälle zwischen den Löhnen in Polen, Tschechien, der Slowakei und Deutschland. Und da kann man nicht einfach jetzt Freizügigkeit herstellen, denn sonst wäre der durchschnittliche Arbeitnehmer, der am Bau arbeitet, einem Wettbewerb ausgesetzt von Billigarbeitskräften, die für seinen Lebensstandard existentielle Gefährdung sind.

    Drum können wir noch nicht die Freizügigkeit mit Osteuropa auf dem Arbeitsmarkt herstellen. Die Frage, dass wir im Baubereich auch tarifmäßige Mindestlöhne haben, ist für mich allerdings eine durchaus positive Erscheinung. Dann ist das etwas, was übergangsweise Probleme reduzieren kann.

    Jepsen-Föge: Auch im Bereich der Postbediensteten, da ist ja noch ein Streit zwischen den Koalitionspartnern CDU/CSU und SPD?

    Beckstein: Bei den Postlöhnen verstehe ich das Verlangen nach einem Mindestlohn sehr gut. Aber das darf nicht etwa sozusagen zu einer Verlängerung des Postmonopols auf kaltem Wege führen. Und das war ja wohl ganz offensichtlich die Absicht.

    Jepsen-Föge: Sehen Sie eine Kompromissmöglichkeit?

    Beckstein: Ich habe eine ganze Reihe von Kompromissmöglichkeiten gehört, und ich vertraue darauf, dass noch vor Weihnachten hier ein Kompromiss gefunden wird.

    Jepsen-Föge: Herr Beckstein, zum Schluss: Sie haben vorhin die bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und die Bürgerschaftswahl in Hamburg angesprochen und im nächsten Herbst die in Bayern. Haben die Wahlen in Hessen und Niedersachsen vor allen Dingen, also am letzten Januarsonntag 2008, auch eine Bedeutung für Bayern und für die Stimmung hier im Land und für Ihre Chancen?

    Beckstein: Selbstverständlich. In einer Demokratie unterscheiden die meisten Wähler und Bürger nicht so ganz klar zwischen Bundes- und Landespolitik. Stimmungen insgesamt sind für die Menschen mindestens genau so wichtig wie einzelne Fakten. Die allermeisten Menschen überlegen sich, wenn sie ins Wahllokal gehen, nicht, dass sie eine Bilanz ziehen - wir haben 15 Politikbereiche, in welchem Politikbereich arbeitet der oder jener gut -, sondern das summiert sich zu einer Stimmung.

    Und es wäre deswegen für Bayern auch sehr wichtig, dass Roland Koch in Hessen und Christian Wulff in Niedersachsen ein ausgezeichnetes Wahlergebnis bekommen. Ich werde deswegen auch selber natürlich in den Wahlkämpfen mit dabei sein.

    Jepsen-Föge: Sie selber haben dann Kommunalwahlen zu bestehen, am 2. März, und vor allen Dingen Landtagswahlen Ende September 2008. Wie hoch liegt für Sie persönlich die Messlatte? Wann würden Sie ein Ergebnis der CSU als Erfolg werten?

    Beckstein: Wir wollen die Kommunalwahlen gewinnen. Da ist völlig klar, jeder weiß das, dass in Kommunalwahlen oft sehr starke Einflüsse der örtlichen Persönlichkeiten sind. Es gibt Leute, die völlig unabhängig von ihrer parteimäßigen Profilierung ein hohes Ansehen in ihrem Stadt- oder Landkreis haben. Aber wir wollen bei der Kommunalwahl insbesondere auch deswegen gut abschneiden, weil es langfristig für die CSU von einer entscheidenden Bedeutung ist, auch vor Ort sehr stark verankert zu sein.

    Wir haben eine sehr viel stärkere Vernetzung mit der Kommunalpolitik als jedes andere Land. Und für den Landtagswahlkampf haben wir eine ganz klare Messlatte, die heißt 50 Prozent plus x der Stimmen. Wir wollen nicht nur eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament, sonder wir wollen eine Mehrheit der Stimmen. Das ist eine hohe Messlatte.

    Aber ich glaube auch, dass die allermeisten Bürger in unserem Freistaat Bayern wissen, dass es diesem Land gut getan hat, eine klare Führung der CSU zu haben, dass man nicht wie in Koalitionsregierungen sagen kann, ich hätte ja gewollt, aber die anderen haben das verhindert, sondern bei uns ist klar, entweder die haben die gute Arbeit geleistet und sind für gute Strukturen verantwortlich, oder wir sind für Fehler verantwortlich.

    Diese Verantwortlichkeit hat Bayern genutzt, hat den Menschen in unserem Land genutzt, und das ist hoffentlich etwas, was auch dann zu einer großen Mehrheit bei der Wahl führt. 50, wenn es ein bisschen drüber geht plus x, wenn das x auch ein bisschen größer wird, werden wir nicht dagegen sein. Mein Spruch gilt da: Man soll der Güte Gottes keine allzu engen Grenzen setzen.

    Jepsen-Föge: Gilt das auch für die Dauer Ihrer Person als Ministerpräsident?

    Beckstein: Ich bin jetzt fünf Wochen, sechs Wochen im Amt. Dann werde ich noch nicht vom Ende der Amtszeit reden, auch nicht an ein Ende der Amtszeit denken. Die nächste ganz große Herausforderung ist natürlich die Landtagswahl im Herbst des kommenden Jahres. Man wird sich dann überlegen, wenn man Wahlergebnisse hat. Man sieht dann auch, wie erfolgreich ist meine Arbeit.

    Im Moment habe ich hohe Umfragewerte, aber es sind sehr viel Vorschusslorbeeren dabei. Ob ich dieser Verantwortung gerecht werde, müssen die Menschen sehen. Ich selber, das sage ich ganz offen, traue mir das zu. Ich merke, dass ich in den ersten Wochen schon eine Menge an Umstellungen geschafft habe. Diese Apparate Staatskanzlei mit hervorragenden Leuten sozusagen auch auf die eigene Arbeitsweise einzustellen, ist wichtig.

    Die Themen aufzuarbeiten, aber dann auch in den nächsten Wochen und Monaten mit der Fraktion, mit den Ministerrat Schwerpunkte zu setzen - noch stärker, als ich das in den ersten Wochen konnte. Ich bin überzeugt, das wird gelingen. Und dann wird man sehen, wann auch die Aufgabe gegeben ist, auf einen Nachfolger das Amt zu übergeben. Aber das ist nicht die Aufgabe der nächsten Monate und der nächsten ein, zwei, drei Jahre.

    Jepsen-Föge: Vielen Dank, Herr Ministerpräsident.