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Bedenkliches Bröckeln

Ende letzten Jahres hatten Archäologen in Rom wieder einmal mit einer Entdeckung Schlagzeilen gemacht. Angeblich wurde auf dem Palatin-Hügel die mit Muscheln und Mosaiken geschmückte Höhle von Romulus und Remus gefunden. Nach dem Fund kündigte der italienische Kulturminister Francesco Rutelli sofort umfangreiche Grabungsarbeiten auf dem Palatin an, doch die Arbeiten könnten sich schwierig gestalten.

Von Thomas Migge |
    "Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Palatin, wo ich jede Ecke kenne, das Haus des Tiberius, des Claudius, des Augustus und so weiter, und ich kann Ihnen versichern, dass wenn nicht bald etwas geschieht, es hier zu Zusammenbrüchen kommen wird. Die gesamte Statik bestimmter Bereiche der gigantischen Ruinen sind vom Einsturz bedroht."

    Carlo Giavardini führt uns über den Palatinhügel, der sich mitten in Rom, mitten auf dem größten archäologischen Grabungsfeld der Welt innerhalb eines Stadtzentrums befindet. Er zeigt auf breite Risse im Mauerwerk und auf Baumwurzeln, die die antiken Steine sprengen und so Mauern und Kuppelreste in große Gefahr bringen.

    "In letzter Zeit ist in den Medien von hochinteressanten Entdeckungen auf dem Palatin die Rede gewesen, wie zuletzt der Fund eines Kuppelraums, in dem der Sage nach die römische Wölfin Romulus und Remus gesäugt haben soll. Der Kulturminister beschwört immer wieder die Restaurierungsarbeiten in der Villa des Augustus. Tatsache ist aber, dass der Palatinhügel, jener Ort Roms, der als erstes besiedelt wurde und somit von großer Bedeutung ist, vor sich hin gammelt."

    Giavardini weiß wovon er redet. Der Ingenieur ist ein Spezialist für antike Ruinen und leitet das interdisziplinäre Studienzentrum für altrömische Architektur an der Universität Rom. Ein Institut, das genau überprüft, wie es auch technisch um die alten Ruinen bestellt ist. Der Fachmann beklagt, dass seine Warnungen ungehört verklingen:

    ""Der Palatin ist ein Hügel mit einer großen Ausdehnung. Zwischen dem 8. Jahrhundert vor Christus und dem frühen Mittelalter wurde hier gebaut. Vor allem die antiken Römer errichteten auf Vorgängerbauten riesige Paläste, die nach dem Untergang des Reiches verfielen. Es wäre dringend nötig, die erhalten Ruinen statisch zu sichern. Schauen Sie, rund 60 Prozent des einstmals für Besucher zugänglichen Palatin sind heute wegen Einsturzgefahr geschlossen. Die Situation ist sehr bedenklich"."

    Kunsthistoriker, Altertumsexperten und Architekten warnen: an mindestens 14 Stellen des Palatin bröckelt es bedenklich. Einstürze kann niemand ausschließen. Ob es sich um die riesige Aula des Palastes von Kaiser Domitian handelt oder um die riesigen Reste des Tempels für die Magna Mater oder um Tonnengewölbe aus der Zeit des Severus: sie alle könnten zu Opfern mangelnder Pflege und statischer Interventionen werden, schimpft Adriano La Regine, ehemaliger römischer Superintendent für die antiken Altertümer:

    ""Der Mangel an Pflege ist verheerend für diese Ruinen. Richtig ist, dass sie jahrhundertelang nicht zusammenbrachen. Das geschah aber nur deshalb nicht, weil sie durch Erdreich und andere Gebäudereste zusammengehalten wurden. Die sind von den Archäologen weggeschafft worden. Ohne diesen, sagen wir, Kitt, bedürfen die Ruinen ständiger Pflege und Kontrolle und immer öfter auch gezielter Eingriff, auch mit Zement, um das Schlimmste zu verhindern"."

    Zu Einstürzen kam es bereits anderswo . Zwar noch nicht auf dem Palatin aber an den gewaltigen und kilometerlangen Mauern, mit denen Kaiser Hadrian Rom umgab. La Regine kritisiert seit Jahren deren erbärmlichen Zustand und warnte vor Unfällen. Direkt unterhalb der Mauern verlaufen stark befahrene Straßen. Nur wie durch ein Wunder kam bei den Einstürzen von Mauerwerk in den letzten Monaten niemand zu schaden.

    Während Kulturminister Francesco Rutelli immer neue Grabungen auf dem Palatin ankündigt und dafür neue Finanzmittel bereitstellt, beklagen Archäologen und Ingenieure wie Giorgio Croci von der Uni Rom, ein Fachmann für strukturelle Probleme historischer Bauten, dass für die Instandhaltung der bereits ausgegrabenen Ruinen nur lächerlich geringe Gelder zur Verfügung zur Verfügung stehen:

    ""Wie ist es nur möglich, dass dieser Hügel, ein Meisterwerk der Baugeschichte, so vernachlässigt wird? Wenn das Ministerium Gelder zur Restaurierung der vom Einsturz bedrohten Bauten bereitstellt, handelt es sich um 200, um 300 Tausend Euro. Wir brauchen aber mindestens 10 Millionen Euro, um nur an den 14 kritischsten Punkten des Palatin die Gefahr von Zusammenstürzen zu beseitigen. Ich verstehe wirklich nicht, warum die Behörden sich nicht für diese gravierenden Probleme interessieren"."

    Experten wie Croci fordern, dass das Kulturministerium nicht nur dann und wann Gelder für den Palatin zur Verfügung stellen sollte, sondern eine jährliche Summe, mit dem Ziel, die Ruinen zu bewahren. Adriano La Regina geht sogar soweit, ein Spezialgesetz zum Erhalt des Palatin zu fordern. In jeder anderen Stadt Europas, so der Althistoriker, würde man sich ein Bein ausreißen, um so einen wichtigen archäologischen und touristischen Anziehungspunkt zu besitzen und ihn zu erhalten.