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Bedingungen Internationaler Solidarität

Das Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien wurde vor 25 Jahren von drei jungen Wissenschaftlern gegründet mit dem Ziel, etwas gegen die Abnabelung des intellektuellen Osteuropa vom Westen zu tun. Das IWM bot Stipendien für Wissenschaftler aus Osteuropa und wirkte daneben unermüdlich in die Öffentlichkeit hinein. Mit Erfolg: Nach der Wende fanden sich viele, die am IWM gearbeitet hatten, in der Position von Ministern und Staatssekretären der neuen Ost-Staaten wieder.

Von Beatrix Novy |
    Oksana Zabuzhko, ukrainische Schriftstellerin, wuchs heran in der Welt des Ostblocks, wo "Internationale Solidarität" eine zur Phrase gewordene Traditionsvokabel war. In einer Zeit also, als junge, nach Revolte dürstende Menschen auf die Intellektuellen schauten, die mit ihrer Form von Solidarität das Regime herausforderten:

    "Es gab damals eine starke intellektuelle Gemeinde, denken Sie an den Samisdat, die unter der Hand weitergegebene Literatur: Das waren die Schriften, die mir halfen, meine europäische und nicht eine sowjetische Identität heranzubilden. Ich schulde dieser glorreichen Generation osteuropäischer Intellektueller soviel, den Kundera, Haval, Milosz, mehr als man sich denken kann. Sie sind auch das Beispiel dafür, dass, bevor man Solidarität in den Institutionen verankert, sie in den Köpfen der Menschen verankert werden muss."

    In den Köpfen: Das heißt im guten Willen der vielen einzelnen findet sich heute allerdings jede Menge Solidarität mit den Schwachen dieser Welt; die Frage des Jerusalemer Politikprofessors Shlomo Avineri hingegen hieß: Wie kriegt man sie institutionalisiert? Könnte es eine Einrichtung geben, die als dauerhafte Lobby den wirksamen Druck ausübt, der sonst nur von Macht- und Wirtschaftsinteressen ausgeht; die, realistisch gesprochen, den Völkermord in Darfur zum Handlungsthema macht? Und welche Rolle spielt überhaupt Solidarität in einer Welt, die immer mehr zusammenwächst und dabei neue, spaltende Konflikte hervorbringt?

    Der kanadisch-amerikanische Philosoph Charles Taylor hatte im Vorfeld der Tagung auf das Dilemma der Nation hingewiesen: zur Bildung einer solchen bedarf es der Solidarität der einzelnen, und diese Solidarität bedarf der ordnenden Nation - die aber basiert auf Ausgrenzung anderer. Ein bleibendes Dilemma: um dem Einzelnen Schutz zu gewähren, braucht es funktionierende Staaten, die wiederum ein Hemmnis darstellen in jenem zunehmenden Austausch, der von Fall zu Fall auch "Zusammenprall der Kulturen" genannt wird. Eine These, deren düstere Herkunft Charles Taylor in der schrecklichen Vereinfachung der jeweiligen Gegenseite ortete: Vielfalt und Unterschiede einer Gruppe werden in der Wahrnehmung solange reduziert, bis nur noch eine homogene Masse - von Muslimen zum Beispiel oder verderbten Westlern - übrig bleibe. Es komme also darauf an, die Komplexität im anderen zu suchen, um der Katastrophe des clash of civilizations entgegenzuwirken.
    Charles Taylor konnte einer, auf den viele gespannt waren, nur beipflichten: Tariq Ramadan, von manchen mit Misstrauen beäugter, weil von jungen Muslimen verehrter Oxford-Professor und tatsächlich begnadeter Redner, vertrat die Sache des europäischen Islam:

    "Dieselben Rechte, das heißt: dieselben Rechte. Und wenn muslimische Bürger dieselben Rechte wollen wie andere, dann wollen sie eben keine besondere Behandlung. Mitunter behandeln wir muslimische Bürger, als forderten sie so eine spezifische Behandlung. Nein. Sie sollten wie die anderen behandelt werden. Das Problem ist: wir kulturalisieren sozio-ökonomische Probleme. Diskriminierung am Arbeitsmarkt, Wohnungsprobleme: alles wird zum islamischen Problem. Das ist es nicht. Es ist ein sozio-ökonomisches Problem, das sozialpolitisch gelöst werden muss."
    Kulturelle Vielfalt im Rechtsrahmen strikter staatsbürgerlicher Gleichbehandlung - dieses Konzept hat seine Abstraktionslücken. Darum erinnerte der Ulrich Preuss an den Widerspruch zwischen kultureller Identität und Rechtsnorm: Respekt vor den Werten des Einzelnen kann nicht ohne weiteres übertragen werden auf Gruppen, deren innerhalb des geltenden Rechtsanspruchs zu respektierende Identität auf ganz anderen Rechtstraditionen beruht - Beispiel: die Zwangsehe. Ramadan konterte mit dem allerdings gelungenen Satz: Die Geschichte lehrt uns Bescheidenheit - will sagen: Veränderungen haben schon immer etwas länger gebraucht als zwei Generationen. Diese Herausforderung wird dem Solidaritätsgedanken noch eine Weile erhalten bleiben.

    Solidarität als politische Herausforderung war das Thema des Europäers par excellence Timothy Garton Ash aus Oxford, der sich für die Rehabilitierung des Wortes Liberalismus stark machte: allerdings nicht gleichzeitig die Ordnung hochzuhalten, diese in Jahrhunderten erkämpfte Begrenzung egoistischer Macht- und Gewaltansprüche. Mit beiden Definitionen begab sich Garton Ash in eine Vision:

    "In den letzten 16 Jahren und besonders seit 1989 haben wir wo etwas wie einen strategischen Denkansatz in der internationalen Politik, der sowohl international wie moralisch ist und den Wert der Solidarität einschließt. Dieser Ansatz verbindet liberalen Universalismus mit einem kulturellen, ja sogar einem Wertepluralismus, in der Art, die Isaiah Berlin beschrieben hat: Ein Versuch, Prinzip und Macht, Idealismus und Realismus zu verbinden, für eine liberale internationale Ordnung."