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Bedrohliche Erinnerung

Wer einen Herzinfarkt erlitten hat und psychisch mit diesem einschneidenden Erlebnis einigermaßen zurecht kommt, der hat gute Chancen noch lange zu leben. Schlechter steht es um die Patienten, die von ihrer Angst vor einem erneuten Infarkt auf Schritt und Tritt verfolgt werden. Ihre Wahrscheinlichkeit zu sterben ist stark erhöht, so eine Studie aus München.

Von Veronika Bräse | 06.01.2009
    Udo Naujocks hat schon vier Herzinfarkte hinter sich. 2005 bekam er einen so genannten Defibrillator implantiert. Dieses kleine Gerät unterstützt sein krankes Herz ähnlich wie ein Herzschrittmacher. Im Notfall kann der Defibrillator aber noch mehr: Er versetzt dem Herzen heftige elektrische Schocks, wenn es ins Stocken gerät. Naujocks ist das vor drei Wochen zuletzt passiert:

    "Ich war mit meinem Enkelsohn im Arm unterwegs in einem Kaufhaus zum Wickeln und (...) spüre plötzlich, dass jetzt da irgendetwas kommt, ich gebe zwei Frauen, die mir entgegen kommen, den Kleinen in die Hand und sage, halten Sie fest, ich habe einen implantierten UAAAA! Und dann sackt man zusammen und man kommt gar nicht mehr dazu irgendwas zu Ende zu sprechen und dann (...) geht die Atmung schnell, der Puls ist auch erhöht und man versucht selber dann, sich zu beruhigen."

    20 solcher Elektroschocks musste der 55-Jährige bisher schon über sich ergehen lassen. Die Angst vor dem nächsten Schock ist groß und führt bei manchen Patienten zu so genannten posttraumatischen Belastungsstörungen. Das bedeutet: Sie denken ständig an ihre Krankheit, sind nervlich sehr angespannt und leiden oft an Schlafstörungen. Außerdem vermeiden sie manche Situationen:

    "Man traut sich dann nicht mehr, allein ins Badezimmer zu gehen. 15:20: Ich habe mich nirgendwo mehr alleine hingetraut."

    Die ständige Angst hat schlimme Folgen: Sie erhöht die Sterblichkeit. Begleitet man 100 traumatisierte Herzpatienten über 10 Jahre lang sterben 80 davon. Dagegen trifft es von den psychisch Stabilen in dieser Zeit nur 55 Patienten. Das zeigt eine Studie in München. Alle 150 Teilnehmer, darunter auch Udo Naujocks, haben schon mindestens einen Herzinfarkt hinter sich und alle sind Träger eines Defibrillators. Zwei Drittel dieser Herzpatienten kommen mit der Krankheit und dem implantierten Gerät einigermaßen zurecht. Ein Drittel aber leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, und ist deshalb besonders gefährdet. Diesen Zusammenhang zwischen PTBS und Sterblichkeit hat der Mediziner und Psychologe Karl-Heinz Ladwig von der Münchner Helmholtz-Gesellschaft ermittelt. Er hat aber auch andere psychische Erkrankungen der Herzpatienten im Visier:

    "Da haben wir zu unserer Überraschung festgestellt, dass die Patienten zwar, die eine PTBS hatten, im erhöhten Maß auch an Depression und Angst gelitten haben, aber dass diese zusätzlichen Symptome keinen Einfluss auf deren Überlebensschicksal gehabt hat."

    Lebensverkürzend wirkt sich in der Psyche der Herzpatienten somit offenbar nur die traumatische Erkrankung aus. Im Körper führt sie zur permanenten Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Kortisol, was auf Dauer schädlich ist:

    "Wir vermuten, dass diese Patienten auch unter erhöhten Zeichen von Entzündungsparametern leiden und dass die in einem permanent erhöhten Spiegel sind von dem wir wissen, dass es einen sehr schlechten Einfluss auf die Organe hat."

    Folglich sollte man alles daran setzen, das Trauma zu lindern. Eine Psychotherapie speziell für Herzpatienten kann helfen. Ladwig wünscht sich von Ärzten, stärker auf die psychische Verfassung ihrer Herzpatienten zu achten und fordert:

    "Eine vernünftige Kooperation zwischen Experten, die sich für seelische Dinge interessieren und Experten, die sich für körperliche Dinge interessieren."

    Beide zusammen könnten den Patienten helfen. Udo Naujocks zeigt eine weitere Möglichkeit auf: Er hat eine Selbsthilfegruppe mit Betroffenen gegründet:

    "Die Angst ist einfach da und erst durch intensive Auseinandersetzung mit dieser ganzen Thematik kommt man dahinter, dass diese Angst ganz tief sitzt und es an und für sich die Angst vor dem Tod ist."

    Die Herzpatienten in der Gruppe machen alle ähnliches durch. Sie können sich gegenseitig unterstützen und lernen gemeinsam, das Trauma in den Griff zu bekommen. Damit verbessern sie ihre Überlebenschancen.



    Service
    Wer sich für eine solche Gruppe interessiert, kann sich an den gemeinnützigen Verein Defibrillator Deutschland wenden.