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Bedrohtes Weltwunder

Im weltberühmten afrikanischen Nationalpark Masai Mara sterben die Tiere weg. Eine Studie kenianischer Wissenschaftler belegt, dass zwei Drittel des einzigartigen Wildbestands weggestorben sind.

Von Dagmar Wittek |
    Es ist ein Getobe, Geschnaufe und Gegrunze – wenn jedes Jahr über 1,3 Millionen Gnus, gefolgt von Zebras und anderen Huftieren über den Mara-Fluss von Tansania nach Kenia ziehen, um zu besseren Weidegründen zu gelangen. Die weltweit größte Massenwanderung von Säugetieren ist ein einzigartiges Spektakel – für viele der Inbegriff von afrikanischer Wildnis.
    "Leider gehört es wohl bald der Vergangenheit an", seufzt der Zoologe Dr. Mohammed Said vom Institut für Nutztierwissenschaften in Nairobi.

    Eine Studie, die Said und andere kenianischer Wissenschaftler soeben vorgelegt haben, belegt, dass zwei Drittel des einzigartigen Wildbestands in der Masai Mara weggestorben sind. Die Zahl der Gnus im Park hat um 97 Prozent abgenommen. "Das heißt, wenn Sie in den Park reisen, werden sie kaum noch ein Gnu zu sehen bekommen", so Said. Aber auch die anderen großen Hornträger sind drastisch weniger geworden. Die Zahl der Kuhantilopen, der Kongoni, der Topi, der Elands hat sich in den letzten 33 Jahren, so die Studie, um 70 Prozent reduziert.

    Auch der Giraffenbestand hat um 95 Prozent abgenommen und statt einst 30.000 Büffeln, gibt es heute nur noch 3000. Die Wissenschaftler befürchten noch weitere Verluste. Rappenantilopen und Wildhunde sind in der Mara schon gänzlich verschwunden. Der Grund für den dramatischen Wildbestand-Rückgang sei, so die Wissenschaftler, eine Kombination aus mehreren Faktoren. Die Landnutzung rund um den Park sei ungünstig für die Millionen migrierenden Tiere. Es sei viel zu viel eingezäunt und zudem werde auf zu vielen Flächen Weizen angebaut. Keine Zäune und Viehhaltung wären für die Gnuherden verträglicher.

    "Die Weizenfelder liegen genau da, wo traditionell die Weideflächen der Gnus wären", klagt Said. Hinzu käme noch, dass im Park "überall unkontrolliert neue Hotels" entstünden. "Da gibt es keinerlei Plan, dass man Zonen absteckt und frei hält, die wirklich überlebenswichtig sind für bestimmte Tierarten", wettert Said.

    Er und seine Kollegen üben scharfe Kritik an der Regierung. Laut Said gibt es "bis heute keinen richtigen Managementplan für die Mara Region". Die Besucherzahlen seien auch viel zu hoch. Man müsste Zonen abstecken, die alternierend zugänglich sind. Damit könnte man den Tieren im und außerhalb des Parks mehr Überlebens- und Entwicklungsfreiraum einräumen.

    Seit Jahren klagen die Wissenschaftler vom International Institute for Lifestock Research in Nairobi Missstände an, unter anderem auch die schlechte Kontrolle durch Wildhüter im Park. Wilderei spiele bei den jetzt veröffentlichten alarmierenden Zahlen auch eine Rolle. In den letzten zehn Jahren wurden im Park 17.000 Fallen gefunden. Die tansanischen Behörden melden, dass jedes Jahr allein 40.000 Gnus Wilderern zum Opfer fallen.

    "Wir sind wirklich sehr frustriert", klagt Said. Mehr konzertierte Bemühungen wären nötig, um das sogenannte siebte Weltwunder zu retten. Fassungslos schüttelt der Forscher den Kopf, wenn er daran denkt, dass es sich um eine von Kenias Haupttouristenattraktionen handelt. "Aber die Regierung nimmt nur, statt auch zum Erhalt und Schutz wieder etwas rein zu geben", urteilt der gelernte Zoologe.

    Rund 1,2 Millionen Touristen kommen jedes Jahr nach Kenia, die Einkünfte aus der Tourismusbranche steuern elf Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. Es würde sich lohnen auf den Rat der Wissenschaftler um Mohammed Said zu hören. Das Forscherteam empfiehlt dringend, dass alle – die Regierung, die Hotelbetreiber als auch die umliegenden Gemeinden - sich zusammensetzen und einen Rettungsplan entwickeln. "Wenn es jetzt keine drastischen Maßnahmen gibt, dann befürchten wir, dass wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren ein noch heftigeres Aussterben an Tierarten haben werden", prognostiziert Said.

    Sollte es keinen Masai Mara Aktionsplan geben, wird es eines der größten Naturschauspiele der Welt – in der Millionen Gnus in endlosen Karawanen von Hunger getrieben durch die Masai Mara ziehen – bald vernichtet sein.