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Bedrohung aus der Nachbarschaft

Vier Monate ist es inzwischen her, dass in Mali drei spanische Entwicklungshelfer entführt worden sind - einer wurde bisher freigelassen, von den anderen beiden fehlt bis heute jede Spur. In Spanien wird daher die Frage diskutiert, welche Bedingungen man erfüllen darf und vor allem, welches Bedrohungspotenzial von El Kaida in einer Region ausgeht.

Von Hans-Günter Kellner | 07.04.2010
    Carlos Echevarría ist kein Hellseher. Der Madrider Professor für internationale Beziehungen sammelt Daten über die Aktivitäten islamistischer Fanatiker, liest ihre Kommuniqués und zieht daraus seine Schlussfolgerungen. Für ihn waren die Anschläge von Madrid und London absehbar, und auch die jüngsten Entführungen von Europäern in der Sahel-Zone haben ihn nicht überrascht:

    "Ich bin Realist. In der Sahel-Zone ist die Entführung zur Methode geworden. El Kaida kontrolliert dort sogar den Drogenhandel über Afrika nach Europa. Die ursprünglich algerische 'Salafisten-Gruppe für Predigt und Kampf' hatte sich 2006 mit Osama Bin Laden verbündet, nennt sich jetzt 'El Kaida des Islamischen Maghreb'. Länder wie Mauretanien, Niger, Burkina Faso, der Senegal hatten früher keine Probleme mit dem Terrorismus. Jetzt haben sie sie."

    Die Bedrohung für Europäer steigt damit nicht nur, wenn sie auf Reisen sind, sondern auch zu Hause. Von "Al Andalus", wie Spanien zu Zeiten seiner islamischen Epoche hieß, sei El Kaida geradezu besessen, sagt der spanische Journalist José María Irujo. Er hat in den Kreisen radikaler Islamisten recherchiert, kennt sich durch seine Reisen für die Tageszeitung "El País" in der Sahel-Zone gut aus und verfügt über gute Geheimdienstkontakte.

    "Bin Laden erwähnte Al Andalus schon in den 80er-Jahren in Afghanistan, wenn er von der 'Rückeroberung der verlorenen Gebiete' sprach. So wurden auch die Anschläge von Madrid von 2004 gerechtfertigt. Sogar die Videos und Kommuniqués der Islamisten veröffentlicht jetzt eine angebliche Agentur, die sich Al Andalus nennt. Besonders oft erwähnt werden dabei auch die spanischen Städte Ceuta und Melilla. El Kaida fordert ihre Rückeroberung und Konversion zum Islam."

    Nach den Anschlägen von Madrid vom 11. März 2004 sind in Spanien mehrere Anschlagsversuche gescheitert. Rund 70 radikale Islamisten sind dort derzeit inhaftiert. Aber auch Frankreich sei im Visier der Terroristen, sagt Irujo. In beiden Staaten treibe El Kaida besonders intensiv Geld ein - wobei den Spendern in Moscheen und Metzgereien oft selbst gar nicht klar sei, wofür ihr Geld verwendet wird:

    "Man darf die muslimische Bevölkerung jetzt nicht kriminalisieren. Der Islam und radikaler Islamismus sind zwei verschiedene Dinge. Oft sind Muslime die ersten Opfer dieses Terrorismus. Wir müssen den Islam integrieren. Die Islamfeindlichkeit ist ein Nährboden für die Radikalen."

    Zwar nähmen Polizei und Geheimdienste die Terrorgefahren heute deutlich ernster als noch vor zehn Jahren. Doch dorthin, wo der Terror seine Zelte aufschlage und wo er zuerst zuschlage, nämlich in die Sahel-Zone, blicke Europa viel zu selten. Europa habe bisher nach jeder Geiselbefreiung aufgeatmet, statt den betroffenen Ländern zu helfen, kritisiert der Journalist:

    "Mali, Mauretanien oder Niger benötigen militärische Unterstützung. El Kaida hat dort nur ein paar Hundert Aktivisten, die aber sehr gut ausgebildet sind. Sie fahren nachts ohne Licht und können aus der Luft nicht ausgemacht werden. Ihre Ausbildungscamps bauen sie in kurzer Zeit auf und wieder ab. Sie vergraben Vorratslager mit Waffen und Lebensmitteln im Wüstensand. Europa muss die betroffenen Länder beim Kampf gegen diesen Gegner unterstützen, wenn es seine Sicherheit gewährleisten will."

    Noch immer hält El Kaida des Islamischen Maghreb zwei spanische Geiseln gefangen. Für deren Freilassung fordert die Organisation wie schon bei den Entführungsfällen in der Vergangenheit hohe Geldsummen und die Freilassung in Mauretanien inhaftierter Terroristen - eine Forderung, der sich in Spanien kaum jemand widersetzen will. Politologe Carlos Echevarria warnt jedoch:

    "Man soll aus Prinzip nicht vor Geiselnehmern kapitulieren, weder bezahlen noch Inhaftierte freilassen. Großbritannien ist diesen Weg gegangen, dafür hat eine Geisel mit ihrem Leben bezahlt. Wenn man aber schon zahlt, dann sollte man wenigstens dafür sorgen, dass die Terroristen nicht wieder Tausende von Kilometern mit den Entführten durch die Wüste fahren können, wie es in vergangenen Fällen passiert ist, ohne dass irgendeines dieser Länder in der Lage wäre, die Geiseln zu befreien."

    Selbst wenn die Geiseln also freikommen: Von einem "glücklichen Ende" mag der Professor nicht sprechen, wenn El Kaida dafür mehrere Millionen Euro bekommt.