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Beeindruckende Reibeisenstimme und energetische Songs

Melissmell, so heißt eine Sängerin, die gerade Frankreichs Musikszene aufmischt. Mit einer Stimme, die an Janis Joplin erinnert, singt die 30-Jährige von ihrer krisenhaften Jugend, von ihrer Familie, die sie verlassen hat, von der Allmacht des Geldes und von der Unmöglichkeit, überhaupt noch zu rebellieren.

Von Cornelius Wüllenkemper |
    "Dieses Album folgt einer bestimmten Idee. Ich wollte die Verbindung zwischen Chanson und Rockmusik herstellen. Ich habe mich an Noir Désir orientiert, aber bin dann mehr in Richtung Chanson gegangen. Für mich ist das eines der schwierigsten musikalischen Ziele: französische Poesie mit anglo-amerikanischer Rockmusik zu verbinden."

    Sagt Melissmell über ihr Debütalbum "Ecoute s'il pleut - Hör, ob es regnet", mit dem sie derzeit höchst erfolgreich durch Frankreich tourt. Jeans, T-Shirt und Holzfäller-Hemd gehören zu ihren Standard-Outfits, sie gibt sich ehrlich, unprätentiös und ungeniert. Mélanie, so ihr eigentlicher Name, ist in Südfrankreich auf dem Lande aufgewachsen, in der France profonde, weitab vom Pariser Elitarismus. Mit 18 Jahren begann sie Gitarre zu spielen, verließ kurze Zeit später ihr Elternhaus, schlug sich durch, lebte zeitweise auf der Straße und landete schließlich mit einigen Kumpanen in Nordfrankreich.

    "Wir sind erst nach Lille und dann nach Paris gezogen. In Lille hatte ich keine Musiker gefunden, und auch in Paris nicht, jedenfalls keine, die mir gepasst hätten. In Paris bin ich dann eineinhalb-zwei Jahre geblieben, habe Songs geschrieben und hier und da in kleinen Bars gesungen. Und schließlich bin ich in Strasbourg gelandet, wo ich dann auch meine Musiker gefunden habe."

    Ihre Musiker, das sind Stefano Bonacci an der Gitarre und Thomas Nicol am Cello, die schon in der akustischen Standardbesetzung einen enormen Druck erzeugen. Auf der Bühne stoßen Schlagzeug, Piano, Bass und E-Gitarre dazu.

    Melissmell, so kann man es sagen, kommt von ganz unten. Bis sie 25 Jahre alt war, so erzählt sie, konnte sie weder richtig lesen noch schreiben. Erst als es darum ging, Texte zu ihren Songs zu schreiben, überwand sie mühevoll ihr Handicap, las Rimbaud und Baudelaire, um endlich zu lernen, ihren Schmerz auszudrücken.

    ""Man muss die Dinge deutlich ausdrücken, sodass jeder sie versteht. Aber gleichzeitig ist mir auch die Poesie sehr wichtig und macht mich stolz auf meine Arbeit. Manchmal fällt es mir noch schwer, das in die richtigen Bahnen zu lenken. Ich denke aber, schreien alleine hilft nicht. Seit zehn Jahren arbeite ich daran, etwas ruhiger zu werden. Denn meinen Schrei hört doch eh niemand!""

    Das Universum ihrer Songs erstreckt sich von den kritischen französischen Chansonniers der 60er-Jahre, Serge Gainsbourg und Jacques Brel, über die Rebellen-Rocker der 70er-Jahre, allen voran Janis Joplin, bis hin zur Grunge-Musik der 90er-Jahre: In Melissmell, so erklärt sie, steckt nicht nur ihr Vorname Mélanie, sondern auch der Nirvana-Kultsong "Smells like ten-spirit". Als Rebellin will sie sich nicht bezeichnen lassen, denn dafür sei sie selbst mittlerweile zu sehr im Gesellschafts- und Wirtschaftssystem verankert.

    "Ich weiß nicht, ob es darum geht, die Missstände der Gesellschaft aufzuzeigen. Ich sage einfach meine Meinung: "Jetzt könnt Ihr wütend gegen die Regierung demonstrieren, die Ihr selbst gewählt habt. Den Mist, den Ihr verursacht habt, badet Ihr jetzt selbst aus!" Es geht mir vor allem darum, dass die Menschen sich selbst infrage stelle müssen. Für mich steht das Menschliche im Mittelpunkt, und nicht die Kritik an der Gesellschaft oder dem System."

    Die Autodidaktin Melissmell singt mit einer beeindruckenden Reibeisenstimme energiegeladene Songs gegen Konformismus und die Allmacht des Geldes und für den Glauben an den eigenen Traum. Wer genau hinhört, entdeckt auf ihrem Debütalbum einige direkte Anleihen bei den Songs von Noir Désir, La mano negra und anderen. Das liegt nicht zuletzt am Produzenten Laurent Jais, der Melissmells ungezügelte Energie hier und da etwas zu sehr in sein Schema presste, das man bereits von Manu Chao kennt. Das ändert aber nichts daran: Eine so unverfälschte, echte und zukunftsträchtige Rocksängerin hat man aus Frankreich schon sehr lange nicht gehört.