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Beethovens Streichquartett in der Hauptrolle

Im Zentrum des Films "Saiten des Lebens" stehen Mitglieder eines fiktiven berühmten Streichquartetts und Beethovens Opus 131, das er kurz vor seinem Tod komponierte. Für den Regisseur stellt dieses Werk Beethovens eine perfekte Metapher dar - für langjährige Beziehungen, private wie künstlerische.

Von Hartwig Tegeler | 01.05.2013
    Zweierlei steht im Mittelpunkt von "Saiten des Lebens", zwei wunderbare, in hohem Maße intensive Präsentationen von Kunst. Das eine wäre der schauspielerische Ausdruck von Christopher Walten, Philip Seymour Hoffman und Catherine Keener, im Film Mitglieder eines weltberühmten Streichquartetts, grandios, großartig spielen sie, aber, was soll´s, die Worte können die Intensität nur, wenn überhaupt nur berühren. Gleiches gilt für Beethovens Lieblingsstreichquartett Nr. 14, Opus 131 in cis-Moll. Kurz vor dessen Tod geschrieben.

    Beethoven bestimmte, dass die Komposition ´attaca´, ohne Pausen zwischen den sieben Sätzen, gespielt werden soll. 40 Minuten ohne Unterbrechung. Die Instrumente verstimmen sich zwangsläufig, jedes auf seine Art, die beiden Violinen, die Bratsche, das Cello. Was sollen die Musiker machen? Stoppen, neu stimmen, jeder einzeln oder als Gruppe. Für Yaron Zilberman, Regisseur von "Saiten des Lebens", eine perfekte Metapher, wie er sagt, für langjährige Beziehungen, private wie künstlerische.

    Auch wir müssen unsere Beziehungen ständig stimmen, abstimmen. Meint Regisseur Yaron Zilberman, für den in Beethovens Streichquartett die perfekte Metapher liegt. Alles ständig neu justieren. Das gilt auch für die erste und die zweite Geige, die Bratsche und das Cello, in persona Daniel, Robert, Juliette und Peter. Letzterer hält seit 25 Jahren das inzwischen weltberühmte Quartett zusammenhält. Peter, der vor gerade seine Frau verlor:

    "Aber die Musik, das Quartett, wir vier zusammen, das hat mir darüber hinweg geholfen."

    Peter, der Älteste der vier, erhält …

    "Sagen sie mir, was Sie vermuten."

    … eine weitere schreckliche Nachricht.

    "Aufgrund der Untersuchung, die wir gerade gemacht haben, und Ihrer Beschwerden, die Sie mir beschreiben, komme ich zu der Vermutung, dass Sie wahrscheinlich frühe Symptome von Parkinson zeigen. - Mein Gott!"

    Und nun, als Peter Daniel, Robert und Juliette von dieser Diagnose erzählt und das Ende seiner Karriere verkündet und den Ausstieg aus dem Quartett, beginnen für die Musiker in "Saiten des Lebens" die Verstimmungen, um in Yaron Zilbermanns Bild zu bleiben. Das in Jahren Gedeckelte bricht hervor. Robert, mit Juliette verheiratet, spielt seit Jahren sprichwörtlich die zweite Geige. Aber, warum nicht im Wechsel - fragt er Juliette - auch mal die Erste, die seit Jahren nur Daniel spielt. Juliettes Antwort ist wenig diplomatisch und enthält den größten anzunehmenden Beziehungssprengstoff:

    "Daniel, er ist der Meinung, dass du einfach kein guter erster Geiger sein könntest. Und ich denke, dass du eindeutig der beste zweite Geiger bist, den es geben kann."

    Es ist kaum überraschend, dass - um in Musikbegriffen zu sprechen - in den folgenden Sätzen von Yaron Zilbermans Film "Saiten des Lebens" alles explodiert. Die Ehe zwischen Robert und Juliette beispielsweise, oder die Freundschaft, die wahrscheinlich nie eine war, zwischen Robert und Daniel. Proben vor Konzerten sind weniger musikalisch als psychodynamisch:

    "Könntest du dich mal beherrschen, Robert. Wäre das möglich. - Du solltest dich mal beherrschen, Daniel. Konntest du nicht einfach mit der Tochter von irgendjemand anderem schlafen? - Was hast du getan?"

    Peters Parkinson-Diagnose hat eine Kettenreaktion in viele Richtungen ausgelöst. Mit großer Komplexität legen Christopher Walken als der alte, würdevolle Kranke und Philip Seymour Hoffman sowie Catherine Keener als in die Jahre gekommenes Ehepaar ihre Rollen an. Es ist ein Genuss, ihnen dabei zuzusehen, wie sie ehrwürdige Künstler und gleichzeitig durchgeknallte Hahnenkämpfer spielen. Denn diese Menschen, die wie in einer Wolke nur für ihre Kunst leben, sind am Ende des Tages wie wir. Ego überwinden? Oh Gott, wie soll das gehen?

    "Saiten des Lebens" ist so ein wunderbarer Film, weil er die Begegnung zwischen der filmischen Erzählung und der Musik, hier Beethovens Streichquartett Opus 131, magisch inszeniert. Film und Musik durchdringen sich, werden zu gegenseitigen Spiegeln. Es geht um Gefühle, die das Kino ebenso wie die Musik direkt auslösen. Wenn der alte Cellist bei seinem Abschlusskonzert abbricht, die anderen drei des Quartetts, sozusagen zerzaust vom Leben, vom Lieben, von ihrem Emotionen, nun mit ihrem alten Weggefährten Beethoven abbrechen, der Alte steht auf und macht seiner Nachfolgerin, der Cellistin, Platz. Emotion pur. Wie gesagt: wunderbar! Wie gesagt: Was für ein Bild für das Leben! Wie gesagt: Was für ein Bild für das Altwerden! Wie gesagt: Was für ein Bild für das Loslassen. Wie gesagt: wunderbar.

    "Meine Damen und Herren! Ich muss aufhören. Meine Freunde spielen viel zu schnell. Da kann ich nicht mehr mithalten. Und das ist Beethovens Schuld. Er hat darauf bestanden, dass man das Opus 131 ´attaca´ zu spielen hat. Ohne Pause."

    Und den möchte ich sehen, der nach dem Film die Beethoven CD aus dem Schranken ziehen oder sie im nächsten Store - real oder virtuell - kaufen wollen.