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Befreiende Integrationsgeschichte

"Die Fussbroichs", eine Familien-Doku des WDR, für die Regisseurin Ute Diehl 1992 den Grimme-Preis erhielt, zeigte ein Stück deutscher Alltagskultur. Rein fernseh-historisch gesehen stand die Serie damals für die Abkehr von der kritischen Sozial-Doku der 70er Jahre. Seit Sonntag gibt es eine Multikulti-Variante der "Fussbroichs" im WDR-Fernsehen: "Die Özdags".

Von Christoph Schmitz |
    Das Leben der anderen ist anders, als wir dachten. Die Türken in Deutschland und die türkischstämmigen Deutschen unterscheiden sich vom Bild, das sich deutschstämmige Deutsche landläufig von ihnen machen, sehr. Statt ein Bild aus eigener Anschauung zu entwickeln, greifen wir ja lieber auf die vermittelten Bilder zurück. Wir denken und urteilen in Medienkategorien. Doch deren Marktwert und Verbreitungserfolg unterliegen ja in der Regel dem Gesetz des Skandals.

    Nicht dass die Skandalbilder keiner Wirklichkeit entsprächen. Sie bilden skandalöse Wirklichkeit ab, sind aber Monopolisten im Bilderreich und kennen nur das Einerseits, wie die Ehrenmorde, die Zwangsheiraten, die Gettoisierung und Brutalisierung. Das Andererseits bleibt unterbelichtet.

    Nun hat aber die Kölner Dokumentarfilmerin Ute Diehl Scheinwerferlicht in die andere Welt geworfen, was sie aber gar nicht hätte tun müssen. Denn das Leben der Familie Özdag im Kölner Stadtteil Mühlheim strahlt von selbst. Eine vitalere Gemeinschaft aus Großeltern, Eltern und Kindern, Tanten, Onkeln und Eingeheirateten ist kaum vorstellbar. Sie reden, lachen, singen, palavern, diskutieren und streiten mit einer unbändigen Lust, wie man es bislang eher von einem süditalienischen Familienhaufen erwartet hätte. Bodenständig, klug und gewitzt sind diese Leute, die ihren Lebensunterhalt größtenteils mit der eigenen Konditorei verdienen.

    Der Vater des Clans, Hasan Özdag, heute 62 Jahre alt, hatte das Geschäft vor rund 30 Jahren gegründet, als er nur mit einem Koffer in der Hand nach Deutschland kam und bei Null anfing. Er spricht nur gebrochen Deutsch, seine Frau nur Türkisch und Arabisch, ihre sieben Kinder aber sind polyglott. Ihr Hochdeutsch mit kölscher Dialektalfärbung sprudelt ihnen nur so über die Lippen, wenn sie beim Kochen, beim Grillen, beim Fernsehen, beim Backen und beim Fototermin die Arbeit koordinieren, sich necken und bei ihren Diskussionen immer wieder ins Grundsätzliche gehen zum Thema Geschlechterrollen, Gleichberechtigung, Koran, Erziehung der vier Enkelkinder, deutsche und türkische Sprachkompetenz. Die Kamera scheint sie in ihrer Vitalität und ihrer Freude am offenen Wort noch zu stimulieren. Von einem hierarchisierten Diskurs kann nicht die Rede sein, nicht einmal gegenüber dem Familienpatriarchen, der deswegen auch kein uneingeschränkter mehr ist.

    Ute Diehl ist es immer wieder gelungen, ihre realen Figuren in die verbale und emotionale Auseinandersetzung zu locken. In denen die Frauen oft die Oberhand gewinnen. Und nicht der älteste Sohn, nicht einmal einer der anderen Söhne, sondern Tochter Zülya hat die Leitung des Geschäfts übernommen. Den aufgeklärten westlichen Zugriff auf die Welt und ihr eigenes Leben gelingt ihr und ihren Schwestern am besten. Die Männer hinken mitunter ein wenig hinterher. Aber auch das Risiko weiblicher Emanzipation scheint in der Serie auf. Ihre Bildung und ihre Professionalität macht es den Frauen etwa bei der Wahl eines Ehemannes nicht leichter. Nur eine der drei Töchter ist verheiratet - mit einem Amerikaner.

    Ute Diehls Familiendoku "Die Özdags" erzählt eine mit großen Anstrengungen verbundene, jedoch glückliche und befreiende Integrationsgeschichte. Das Leben der anderen ist gar nicht so anders. Und wenn, dann auf eine schöne Weise. Ute Diehls eigene Anschauung hat die Eigengesetzlichkeit der Medien unterlaufen.