Michael Köhler: Die Eckdaten des folgenden Werkes sind vielleicht schnell genannt: Japanischer Kultregisseur porträtiert drei Frauen, die ausbrechen aus dem Ehe-, Lebens- oder Beziehungsgefängnis. Die müssen oder wollen sich wohl neu erfinden, das heißt, sie suchen Bestätigung, Aufmerksamkeit, wollen herrischen Verhältnissen entfliehen. Japanisches Kino? da fallen einem vielleicht Vorurteile ein: Überfüllte U-Bahnen, kontrollierte, aber ungewollte Nähe, autoritäre Strukturen, schneller Sex, grelle Bilderwelt aus Reklame und Großstadtleben. - Rüdiger Suchsland, was tun denn die drei Heldinnen in dem Film "Guilty of Romance"?
Rüdiger Suchsland: Ja die drei Heldinnen tun sehr verschiedene Dinge. Vor allem leben sie ein anderes Leben: sie leben ihre Nachtseite aus. Die eigentliche Hauptfigur ist eine wirklich brave, auch im traditionellen Sinn sehr, sehr brave und angepasste Ehefrau, die einfach unzufrieden ist mit ihrer Ehe – man könnte sagen, ein Desperate Housewife -, und die kommt mehr so durch Zufall, weil sie im Supermarkt angesprochen wird von einer Agentin für einen Model-Job (und wir kinoerfahrenen Zuschauer ahnen schon: das Model heißt dann am Ende Prostitution), in ein Edelbordell und trifft dort auch andere Frauen, die eigentlich tagsüber ein ganz normales angepasstes Leben leben und dann aber nachts irgendetwas anderes rauslassen. Und natürlich geht es, wenn man so will, um eine Éducation sentimentale, also eine Erziehung der Gefühle, ein erwachsen werden dieser Hauptfigur Izumi. Die dritte Figur ist eine Polizeidetektivin, von der wir erst nur wissen, dass sie fremd geht und einen Mord aufklären muss, und dann passiert noch so allerlei.
Köhler: Was ist das Generalthema, Liebe und Schmerz?
Suchsland: Ja, Liebe und Schmerz, man könnte vielleicht auch sagen, Exzess und Befreiung und auch Befreiung durch den Exzess, der manchmal ein sexueller ist, der manchmal auch was mit Gewalt zu tun hat. Wir kennen das ja eigentlich aus der europäischen Literatur, und man muss dann schon sagen, dass Sono Shion, der Regisseur dieses Films, der schon eine ganze Menge aufregende Kinowerke gemacht hat, unter anderem eine Rachetrilogie, deren dritter Teil dieser Film "Guilty of Romance" ist, dieser Sono Shion, der kennt sich sehr gut aus in Literatur und auch in, wenn man so will, abendländischer Kultur. Nicht umsonst bezieht sich ja der Titel schon auf die Romantik.
Köhler: Sie behandeln das sehr ernsthaft. Hat das nicht auch komische Seiten, wenn im Rotlichtviertel in Tokio da irgendwie eine Kommissarin ist, die da Sex in der Dusche hat hinter der Glaswand, und plötzlich geht das Telefon und sie rennt hin, weil die Arbeit ruft?
Suchsland: Ja! So ist das ja vielleicht manchmal im Leben. Das ist auch komisch, da haben Sie ganz Recht. Ich denke, dass natürlich auch Catherine Denueve, die bei Bunuel mit Dreck beschmissen wird, komisch sein kann, ich kann da schon lachen. Und warum sollen ernste Dinge nicht komisch sein?
Köhler: Das war doch die Bourgeoisie der französischen Gesellschaft, und das hier sind doch nur grelle Bilder Tokios. Halten Sie mal dagegen!
Suchsland: Ja in Japan ist es vielleicht so, dass da noch einige Tabus zu brechen sind, von denen man in Europa glaubt, dass sie schon gebrochen sind. Ich bin mir nicht so sicher. Mir scheint, dass wir in Europa doch auch in einem sozusagen Backlash leben, also in einer Zeit, in der neue Bürgerlichkeit dann auch in Berlin-Mitte und am Prenzlauer Berg gelebt wird, in der man von Werten, von Religionen redet und in der auch dieser japanische Film extrem provokativ wieder ist. Und wenn die Leute aus Berlin-Mitte mal Bunuel angucken würden oder Godard, "Vivre sa vie", dann würden sie natürlich da auch einige Überraschungen erleben und gar nicht so diesen gepflegten Kunstgenuss, bei dem man glaubt, wenn das alles im Museum (und sei es auch das Filmmuseum) steht, dass es dann nicht mehr provozieren kann.
Köhler: Kolleginnen von Ihnen – nicht allen, einigen – ging das gehörig auf die Nerven, jedenfalls die ersten eineinhalb Stunden. Der Meinung kann man ja sein. Was bleibt unterm Strich, alles gehorcht Zwängen, die Liebe, der Sex?
Suchsland: Ja, das kann man sagen. Die Frage ist natürlich vor allem, wie ein Geschlechterverhältnis eigentlich beschaffen ist. Ich glaube, das ist die Frage – jetzt wird es aber wieder so ernst -, das ist die Frage des Films, und da kann man natürlich dem Regisseur unterstellen, dass er das aus einer Männersicht heraus macht. Ich fände das aber eine zu einfache Lesart. Ich denke, dass es hier schon um bestimmte Formen der Befreiung geht, aber es ist natürlich nicht eine Befreiung, die automatisch etwas mit den klassischen Bildungsprozessen zu tun hat. Also man muss schon fragen, was wird eigentlich im braven normalen Leben unterdrückt.
Köhler: Eins wird sicherlich nicht unterdrückt, nämlich die Farbe.
Suchsland: Rot, die Farbe der Liebe, die ja auch die Farbe der Gewalt, des Blutes ist und der Revolution. Die spielt schon hier die Hauptrolle. Man muss schon sagen – und das ist vielleicht das, was die Japaner den augenblicklichen europäischen Filmregisseuren etwas voraus haben -, dass das auch ein wirklich visuelles Kino ist, ein Kino, was sich nicht versteht als Fortsetzung des Theaters mit anderen Mitteln, wo es nur um die Dialoge geht und das, was da gesagt wird, sondern es geht um die Gesten, um das Wie, um grelle Bilder.
Köhler: …, sagt Rüdiger Suchsland über "Guilty of Romance" von Sono Shion.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rüdiger Suchsland: Ja die drei Heldinnen tun sehr verschiedene Dinge. Vor allem leben sie ein anderes Leben: sie leben ihre Nachtseite aus. Die eigentliche Hauptfigur ist eine wirklich brave, auch im traditionellen Sinn sehr, sehr brave und angepasste Ehefrau, die einfach unzufrieden ist mit ihrer Ehe – man könnte sagen, ein Desperate Housewife -, und die kommt mehr so durch Zufall, weil sie im Supermarkt angesprochen wird von einer Agentin für einen Model-Job (und wir kinoerfahrenen Zuschauer ahnen schon: das Model heißt dann am Ende Prostitution), in ein Edelbordell und trifft dort auch andere Frauen, die eigentlich tagsüber ein ganz normales angepasstes Leben leben und dann aber nachts irgendetwas anderes rauslassen. Und natürlich geht es, wenn man so will, um eine Éducation sentimentale, also eine Erziehung der Gefühle, ein erwachsen werden dieser Hauptfigur Izumi. Die dritte Figur ist eine Polizeidetektivin, von der wir erst nur wissen, dass sie fremd geht und einen Mord aufklären muss, und dann passiert noch so allerlei.
Köhler: Was ist das Generalthema, Liebe und Schmerz?
Suchsland: Ja, Liebe und Schmerz, man könnte vielleicht auch sagen, Exzess und Befreiung und auch Befreiung durch den Exzess, der manchmal ein sexueller ist, der manchmal auch was mit Gewalt zu tun hat. Wir kennen das ja eigentlich aus der europäischen Literatur, und man muss dann schon sagen, dass Sono Shion, der Regisseur dieses Films, der schon eine ganze Menge aufregende Kinowerke gemacht hat, unter anderem eine Rachetrilogie, deren dritter Teil dieser Film "Guilty of Romance" ist, dieser Sono Shion, der kennt sich sehr gut aus in Literatur und auch in, wenn man so will, abendländischer Kultur. Nicht umsonst bezieht sich ja der Titel schon auf die Romantik.
Köhler: Sie behandeln das sehr ernsthaft. Hat das nicht auch komische Seiten, wenn im Rotlichtviertel in Tokio da irgendwie eine Kommissarin ist, die da Sex in der Dusche hat hinter der Glaswand, und plötzlich geht das Telefon und sie rennt hin, weil die Arbeit ruft?
Suchsland: Ja! So ist das ja vielleicht manchmal im Leben. Das ist auch komisch, da haben Sie ganz Recht. Ich denke, dass natürlich auch Catherine Denueve, die bei Bunuel mit Dreck beschmissen wird, komisch sein kann, ich kann da schon lachen. Und warum sollen ernste Dinge nicht komisch sein?
Köhler: Das war doch die Bourgeoisie der französischen Gesellschaft, und das hier sind doch nur grelle Bilder Tokios. Halten Sie mal dagegen!
Suchsland: Ja in Japan ist es vielleicht so, dass da noch einige Tabus zu brechen sind, von denen man in Europa glaubt, dass sie schon gebrochen sind. Ich bin mir nicht so sicher. Mir scheint, dass wir in Europa doch auch in einem sozusagen Backlash leben, also in einer Zeit, in der neue Bürgerlichkeit dann auch in Berlin-Mitte und am Prenzlauer Berg gelebt wird, in der man von Werten, von Religionen redet und in der auch dieser japanische Film extrem provokativ wieder ist. Und wenn die Leute aus Berlin-Mitte mal Bunuel angucken würden oder Godard, "Vivre sa vie", dann würden sie natürlich da auch einige Überraschungen erleben und gar nicht so diesen gepflegten Kunstgenuss, bei dem man glaubt, wenn das alles im Museum (und sei es auch das Filmmuseum) steht, dass es dann nicht mehr provozieren kann.
Köhler: Kolleginnen von Ihnen – nicht allen, einigen – ging das gehörig auf die Nerven, jedenfalls die ersten eineinhalb Stunden. Der Meinung kann man ja sein. Was bleibt unterm Strich, alles gehorcht Zwängen, die Liebe, der Sex?
Suchsland: Ja, das kann man sagen. Die Frage ist natürlich vor allem, wie ein Geschlechterverhältnis eigentlich beschaffen ist. Ich glaube, das ist die Frage – jetzt wird es aber wieder so ernst -, das ist die Frage des Films, und da kann man natürlich dem Regisseur unterstellen, dass er das aus einer Männersicht heraus macht. Ich fände das aber eine zu einfache Lesart. Ich denke, dass es hier schon um bestimmte Formen der Befreiung geht, aber es ist natürlich nicht eine Befreiung, die automatisch etwas mit den klassischen Bildungsprozessen zu tun hat. Also man muss schon fragen, was wird eigentlich im braven normalen Leben unterdrückt.
Köhler: Eins wird sicherlich nicht unterdrückt, nämlich die Farbe.
Suchsland: Rot, die Farbe der Liebe, die ja auch die Farbe der Gewalt, des Blutes ist und der Revolution. Die spielt schon hier die Hauptrolle. Man muss schon sagen – und das ist vielleicht das, was die Japaner den augenblicklichen europäischen Filmregisseuren etwas voraus haben -, dass das auch ein wirklich visuelles Kino ist, ein Kino, was sich nicht versteht als Fortsetzung des Theaters mit anderen Mitteln, wo es nur um die Dialoge geht und das, was da gesagt wird, sondern es geht um die Gesten, um das Wie, um grelle Bilder.
Köhler: …, sagt Rüdiger Suchsland über "Guilty of Romance" von Sono Shion.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.