Archiv


„Befremdlicher Vorgang“

Forschungspolitik. – Deutschland ist föderalistisch. Das sieht man auch bei den Akademien der Wissenschaften. Wo sich Länder wie Frankreich, Großbritannien oder die USA eine leisten, hat die Bundesrepublik ganze zehn. Eine, die Leopoldina in Halle, soll jetzt die Nationale Akademie werden, so hat es Bundesforschungsministerin Annette Schavan verkündet. Bei den neun anderen stößt sie damit auf heftige Gegenwehr. Der Präsident der Akademienunion, Professor Gerhard Gottschalk, erklärt die Gründe im Gespräch mit Marieke Degen.

    "Die älteste wissenschaftliche Akademie Europas, die Leopoldina in Halle, wird von mir den Auftrag erhalten, die Rolle einer Deutschen Akademie der Wissenschaften wahrzunehmen. Sie ist die älteste in Europa, sie ist die Akademie, deren Präsident bereits heute den Vorsitz der Akademiepräsidenten in Europa wahrnimmt, sie hat 40 Prozent Mitglieder, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Herren Länder sind, sie ist prädestiniert, diese Aufgabe wahrzunehmen."


    Degen: So Bundesforschungsministerin Annette Schavan heute im Deutschlandradio. Herr Professor Gottschalk, wie haben Sie überhaupt von der Rolle der Leopoldina erfahren?

    Gottschalk: Wir haben darüber aus der Presse erfahren und waren natürlich überrascht und fühlen uns überrumpelt und waren auch ein wenig befremdet über diese Mitteilung, dass die Leopoldina Deutsche Akademie der Wissenschaften werden sollen.

    Degen: Warum kam das denn für Sie so überraschend?

    Gottschalk: Es kam für uns überraschend, weil bis heute nicht absehbar war, dass auf der Sitzung der Bund-Länder-Kommission am Montag über die DAW, also die Deutsche Akademie der Wissenschaften, überhaupt beraten werden soll. Und es kam auch deshalb überraschend für uns, weil seit Monaten ein Papier, und zwar unterzeichnet von den Präsidenten der Leopoldina, dem Präsidenten der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften und mir, auf dem Tisch liegt, in dem ein Modell vorgeschlagen wird für die internationale Vertretung durch die Deutschen Akademie der Wissenschaften.

    Degen: Sie haben gerade gesagt, dass über die Deutsche Akademie der Wissenschaften generell aber erst noch verhandelt werden muss, bei der Bund-Länder-Kommission. Es ist also noch nicht ganz klar, ob die Leopoldina überhaupt nationale Akademie wird?

    Gottschalk: Ich denke, dass darüber am Montag beschlossen werden muss. Denn in der Bund-Länder-Kommission sitzt der nicht nur der Bund, der hat 50 Prozent der Stimmen meines Wissens. Die anderen 50 Prozent teilen sich auf die 16 Bundesländer auf.

    Degen: Die Akademienunion, Sie haben es ja gerade selbst gesagt, hat selbst einen Vorschlag eingereicht für eine nationale Akademie. Sie wollten eine neue Institution gründen, die dann die Nationale Akademie der Wissenschaften werden sollte. Wie erklären Sie sich denn jetzt den Vorstoß von Frau Schavan?

    Gottschalk: Wenn wir da gemeinsam einen Vorschlag einbringen, und jetzt mit einemmal wird über den gar nicht mehr gesprochen und eine Akademie wird sozusagen erhoben, dann ist das schon ein sehr befremdlicher Vorgang.

    Degen: Frau Schavan hat davon gesprochen, dass die Leopoldina prädestiniert sei für den Posten Nationalakademie. Sehen Sie das genauso?

    Gottschalk: Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Die Leopoldina ist eine unter zehn Akademien der Wissenschaften in Deutschland. Sie ist stark international ausgerichtet, man muss aber sehen, dass sie eine Akademie der Naturforscher und Ärzte ist. Also, es fehlen die Geisteswissenschaften. Und das ist, glaube ich, ein großer Vorteil, den die Unionsakademien haben, dass sie Naturwissenschaften, Technikwissenschaften und Geisteswissenschaften miteinander vereinen. Und unsere Akademien betreiben ein umfangreiches Forschungsprogramm, das sind also Arbeitsakademien, und das unterscheidet sie auch von der Leopoldina. Also ich sehe keinen Vorzug, den die Leopoldina hätte als Nationale Akademie.

    Degen: Wie wollen Sie denn jetzt als Akademienunionvorgehen in dem konkreten Fall?

    Gottschalk: Wir haben eine Pressemitteilung herausgegeben, wir schreiben an die Wissenschaftsminister unserer Sitzländer und möchten sie sehr darum bitten, doch eine Abstimmung, einen Beschluss jetzt zu Gunsten der Leopoldina als Deutsche Akademie der Wissenschaften am Montag zu verhindern.