Archiv


Begeisterung, Fehler machen, Denken

Unter dem Titel "Begeisterung, Fehler machen, Denken" haben sich zum 100. Mal begeisterte Denker zum Philosophischen Café im Hamburger Literaturhaus getroffen. Vor elf Jahren hatte der Hamburger Journalist, Autor und Regisseur Reinhard Kahl das Café als neue Form der Salonkultur ins Leben gerufen.

Von Elske Brault |
    "Die Voraussetzung für ein gutes Gespräch ist, einen Kontext zu schaffen, in dem vielleicht andere Facetten oder neue Facetten an Worten, an Gedanken sichtbar werden. Das Schlimmste ist, wenn Gesprächspartner sich nicht zum Gespräch verleiten lassen, sondern stur von der Festplatte runterladen."

    Reinhard Kahl, Anfang 60, mit wild abstehendem grauen Haar und weichen Gesichtszügen, hat einst Philosophie studiert, beschäftigt sich jedoch sonst vor allem mit dem Thema Bildung. Er sieht da einen Zusammenhang:

    "Weil das, was an der Bildung eigentlich doch letztlich das Thema hinter dem Thema immer ist, ist auch die Frage: Wie wollen wir leben? Woher kommt unsere Kultur? Was wollen wir eigentlich? Wo stehen wir jetzt?"

    Das Besondere im Philosophischen Café: Hier dozieren die Denker nicht von einem Podium hinab, sondern sitzen mitten im Raum, umringt von 150 Besuchern. Und die dürfen in der zweiten Hälfte der Veranstaltung auch Fragen stellen oder Meinungen äußern, was so einen Caféaufenthalt auch mal auf vier Stunden ausdehnen kann. Doch die Fans haben Geduld. Und sie lieben "ihren" Reinhard Kahl:

    "Als regelmäßige Besucherin will ich doch mal auf die Begeisterung des Publikums zu sprechen kommen. Einmal ist es für philosophisch Interessierte relativ einfach, verschiedene Themen lebendig mitgeteilt zu bekommen, in der Diskussion. Ohne, und das sage ich als Ökonom auch zeitökonomisch, ohne immer das Original gleich ganz lesen zu müssen und dann hinterher gar nicht so schlau zu sein."

    "Begeisterung" war das Thema gestern. "Zeit"-Redakteurin Elisabeth von Tadden und Hirnforscher Gerald Huether befragten dazu Reinhard Kahl. Der aber gar nicht so viel zu sagen wusste. Ob es zum Beispiel eine Entwicklung gegeben habe über die vergangenen elf Jahre, im Laufe von 100 Gesprächsrunden, das wusste er nicht recht oder vermochte es nicht auf Anhieb zu formulieren. Und umgekehrt fehlte seinen Gesprächspartnern jenes Talent beharrlich zu fragen, sanft nachzubohren, das sonst Kahls Moderation auszeichnet. Er bestimmt auch, wer zum Philosophischen Café kommt. Manchmal ist das recht einfach, weil der Gesprächspartner gerade ein neues Buch herausgebracht hat und darüber reden möchte.

    "Ansonsten versuche ich eigentlich dieses Privileg für mich zu verwirklichen, Leute einzuladen, mit denen ich mal gerne reden würde."

    Am häufigsten war das Peter Sloterdijk - insgesamt vier Mal. Außerdem kamen Rüdiger Safranski, Jean Baudrillard, Navid Kermani, Heinz Bude, Richard David Precht. Dessen Thema "Liebe" im vergangenen Jahr passte zu dem des gestrigen Abends, Begeisterung. Geht es doch bei beidem um die Wechselwirkung der Hormone Serotonin und Dopamin.

    "Über Phenyläthylamin binden wir beide Stoffe zusammen. Und schaffen es, den Serotoninspiegel und den Dopaminspiegel unverhältnismäßig hoch zu halten. Das Problem ist, wenn wir das ewig machen würden, würden wir verblöden. Langfristiges Glück, sei es als Verliebtheit oder sonst, führt zur Verblödung."

    So unterhaltsam bekommt man ewige Wahrheiten nur selten serviert. Und anders als im Fernsehen ist das Publikum unmittelbar dabei und kann Einfluss nehmen. So füllt das Philosophische Café für die Hamburger eine Lücke zwischen Philosophischem Fernsehquartett und trockener Wissensvermittlung an der Hochschule.

    Besucher: "Warum unterscheidet sich das so sehr? Ich habe sehr gern Philosophie studiert, aber so interessant war das meistens nicht."

    Kahl: "Also in der Tat ist es so, dass da lieber vergilbte Texte nachkoloriert werden, als an neuen zu arbeiten. Aber man muss ja nur mal reingehen in Hamburger Universität. Es gibt nirgendwo in der Stadt so versiffte Toiletten wie da. Das ist, finde ich, die Radikalevaluation."