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Beginn der Finanzkrise vor zehn Jahren
Eine Bankenpleite mit weltweiten Auswirkungen

Am 15. September 2008 meldet die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz an. Es war die größte Firmenpleite der Geschichte - vor allem aber war es der Beginn der schlimmsten weltweiten Finanzkrise seit 1929. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar.

Von Vivien Leue | 15.09.2018
    Geschäftssitz der Bank "Lehman Brothers" im Jahr 2008 - die Insolvenz brachte die weltweiten Finanzmärkte an ihre Grenzen.
    Geschäftssitz der Bank "Lehman Brothers" im Jahr 2008 - die Insolvenz brachte die weltweiten Finanzmärkte an ihre Grenzen. (dpa / picture alliance / Justin Lane)
    Es ist ein Freitagnachmittag in New York, Mitte September. Mittags hat die Sonne die Stadt noch auf 20 Grad erwärmt, jetzt ziehen dunkle Wolken auf. "Ich war im Büro von Merril Lynch, im Zentrum von Manhattan. Es regnete ziemlich stark, als um 5 Uhr nachmittags das Telefon klingelte und man mir sagte: Komm zur Zentralbank, um 6. - Solche Anrufe sind nie gut."
    John Thain erinnert sich in einer BBC-Dokumentation gut an diesen Tag im Jahr 2008. Er ist zu dem Zeitpunkt Chef der US-Investmentbank Merrill Lynch. Seine und viele andere Banken haben in den Monaten zuvor hohe Verluste einräumen müssen. Besonders hart, so hieß es, habe es die traditionsreiche Investmentbank Lehman Brothers getroffen.
    Lehman Brothers in der Klemme
    Die Bank musste allein im ersten halben Jahr des Jahres 2008 Milliardenbeträge abschreiben, ihre Aktien waren zum Teil um 50 Prozent gefallen. Lehman hatte sich mit hochkomplizierten Finanz-Produkten am US-Immobilienmarkt, vor allem Markt mit Hypothekenkrediten, engagiert.
    Protest hinter Richard Fuld (CEO Lehman Brothers Holdings) anlässlich einer Anhörung im Oktober 2008 zur Insolvenz von Lehman Brothers in Washington D.C.
    Protest hinter Richard Fuld (CEO Lehman Brothers Holdings) anlässlich einer Anhörung im Oktober 2008 zur Insolvenz von Lehman Brothers in Washington D.C. (imago/UPI Photo)
    "Collateralized Debt Obligations, Collateralized Mortgage Obligations, die haben schöne Produkte gebastelt aus diesem Rohmaterial der Kredite. Die warfen ganz schön Geld ab", erklärt Thomas Mayer, ehemaliger Chef-Ökonom der Deutschen Bank und heute Leiter des Forschungsinstituts der Privatbank Flossbach von Storch in Köln.
    "Dann sagten die Investmentbanken, naja, ich bin mal nicht so schnell dabei, die jetzt weiterzuverkaufen, ist ja schön, gibt ja fetten Zins. Also ich halte die auf meiner eigenen Bilanz, diese Collateralized Debt Obligations, die verwurstete Hypotheken sind. Da wurde das Fleisch durch den Wolf gedreht, in die Wursthaut eingefüllt und dann habe ich diese Wurst Collateralized Debt Obligations, die halte ich auf meiner Bilanz, haben viele gemacht."
    In Deutschland haben viele Landesbanken diese Produkte in ihrem Portfolio: Die WestLB, Sachsen LB, HSH Nordbank und die Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB. In den USA sind unter anderem Bear Stearns, Merrill Lynch – und eben Lehman Brothers mit dabei.
    "Und dann sah man: Oh, oh, oh, als diese Hypothekenpapiere dann madig wurden, weil die Subprime-Schuldner nicht mehr ihre Schulden zurückzahlen konnten, da sagten die: Mein Gott, da sitzen die ja, die sind ja vollgefressen mit diesen Würsten und ich soll die jetzt finanzieren? Nein, nie im Leben, ich gebe denen jetzt keinen Kredit mehr."
    Das Misstrauen wächst
    Schon seit Mitte 2007 müssen deshalb etliche Banken hohe Verluste abschreiben. In Deutschland werden die IKB und einige Landesbanken mit Notkrediten gestützt oder verkauft, in den USA räumt die Investmentbank Merrill Lynch Ende 2007 Milliarden-Verluste ein – und erntet den Spott der Wallstreet. Wenige Monate später, im März 2008, trifft es allerdings schon den nächsten Kandidaten: Die Investmentbank Bear Stearns wird von JP Morgan übernommen. Bear Stearns stand kurz vor der Pleite. Dass Misstrauen der Banken untereinander wächst: Wen könnte es als nächstes treffen?
    Es sind die halbstaatlichen Immobilien-Finanzierer Fannie Mae und Freddie Mac. Sie müssen Anfang September 2008 von der Regierung gerettet werden.
    Es sei Zeit zu handeln, sagt damals der US-Finanzminister Henry Paulson und macht 800 Milliarden Dollar locker, um die Hypothekenbanken vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Rund die Hälfte aller Hypotheken amerikanischer Immobilienbesitzer läuft zu dem Zeitpunkt über diese beiden Institute. In einem Fernsehinterview erklärt Finanzminister Paulson:
    "Diese Unternehmen sind so groß und so verwoben in unserem Finanzsystem. Wir hatten keine Wahl. Ein Scheitern nur eines dieser Unternehmen würde unserer Wirtschaft stark schaden, das wäre für den durchschnittlichen Amerikaner ein schwerer Schlag."
    Wenige Tage später sieht sich Paulson einer ähnlichen Situation ausgesetzt. Lehman Brothers beschäftigt zu dem Zeitpunkt 25.000 Menschen. Das mehr als 150 Jahre alte Traditionshaus ist die viertgrößte Investmentbank der Wallstreet – und von dieser kaum wegzudenken.
    Druck im Wahlkampf
    Aber die Stimmung hat sich in den letzten Tagen geändert. Es ist die heiße Phase des Wahlkampfs zwischen dem Republikaner John McCain und dem Demokraten Barack Obama. Und die Bevölkerung hat es der republikanischen Regierung übel genommen, dass sie für Fannie Mae und Freddie Mac so viele Milliarden in die Hand genommen hat.
    Es regnet an diesem Freitagabend, dem 12. September. Als sich die wichtigsten Köpfe der Wallstreet in der Zentralbank, der Federal Reserve, versammeln, ist schnell klar: Auf die Regierung können die Banker dieses Mal nicht hoffen, erinnert sich Merrill Lynch-Chef John Thain:
    "Henry Paulson, der Finanzminister und Tim Geithner, der Chef der Zentralbank sagten uns klipp und klar: Lehman muss gerettet werden. Ihr müsst eine Lösung finden, wir, die Regierung, werden Euch nicht helfen."
    US-Präsident George Bush und Finanzminister Henry Paulson äußern sich im November 2008 zu "Rettung des Finanzsystems"
    US-Präsident George Bush und Finanzminister Henry Paulson äußern sich im November 2008 zu "Rettung des Finanzsystems" (dpa/ picture alliance/ Martin H. Simon)
    Das ganze Wochenende über verhandeln die Finanz-Größen mehrere Optionen: Eine Übernahme durch die Bank of America oder die britische Barclays Bank oder Hilfen durch einen – von allen Banken – finanzierten Fonds. Keine dieser Optionen sollte letztlich funktionieren. In den frühen Morgenstunden, am Montag, dem 15. September 2008, meldet die Traditionsbank Lehman Brothers Konkurs an. Es ist die größte Pleite eines Unternehmens, das die Welt je gesehen hat. Die Nachrichten in US-amerikanischen Fernseh-Anstalten überschlagen sich.
    "Auf der ganzen Welt sacken die Börsenkurse ein wegen der Krise an der Wall Street."
    "Was gerade passiert, ist einmalig, das ist die viertgrößte Investment Bank der Welt."
    "Panik an der Wall Street!"
    Und nicht nur in den USA, weltweit sorgen die Ereignisse bei Lehman Brothers für Schlagzeilen. "Es ist die größte Insolvenz an der Wallstreet seit Jahrzehnten. Die viertgrößte US-Investmentbank Lehman Brothers ist pleite." An der New Yorker Wallstreet verlassen sichtlich geschockte Mitarbeiter die Lehman-Zentrale – in den Händen Überbleibsel ihrer Arbeitsplätze: Pflanzen, Fotorahmen, Unterlagen.
    "Es fühlt sich an wie das Ende der Welt, es ist so eine Tragödie, wir sind 25.000 Mitarbeiter"
    "Überall herrscht pure Angst und große Unsicherheit."
    "Der Kollateralschaden ist riesig. Das hier betrifft nicht nur Lehman."
    Anleger in Deutschland verlieren ihr Vermögen
    Der Kollateralschaden zeigt sich schon direkt an diesem Schwarzen Montag, dem Tag der Finanz-Katastrophe: Weltweit sacken die Börsenkurse tief in den Keller ab, in den Chefetagen der Großbanken bricht Panik aus, Regierungen berufen Sondersitzungen ein. Und auf der spanischen Ferieninsel Mallorca klingelt das Handy des Düsseldorfers Manfred Lagarden.
    "Ich habe im Hotel in Palma gewohnt und bin morgens früh angerufen worden von meiner Beraterin, die ich sehr gut kannte, die mir dann gesagt hat: Herr Lagarden, schlechte Nachricht, ich höre gerade, Sie sind im Urlaub, aber ich muss ihnen sagen, wenn Sie jetzt ihren Kontostand ansehen, der steht zurzeit auf null." Der damals 67 Jahre alte Rentner hatte eineinhalb Jahre zuvor Zertifikate von Lehman Brothers gekauft – auf Anraten seiner Bank in Düsseldorf.
    "Ich sagte dann, das ist ja nicht zu glauben. Ja, haben Sie denn nicht heute Morgen mal ins Fernsehen ein bisschen reingeguckt. Nee, ich habe gesagt, bin im Urlaub, wollte das eigentlich ein bisschen vermeiden. Ja, das war’s dann, ne? Da musste ich dann erst mal mit fertig werden." Manfred Lagardens Lehman-Anlage war vor der Insolvenz 20.309 Euro wert. Dieses Geld war für sein Alter gedacht. Der Rentner wollte seine Wohnung renovieren, das Badezimmer rollstuhlgerecht umbauen – für alle Fälle.
    "Ich hatte körperliche Probleme, habe ein neues Kniegelenk bekommen. Da weiß man nie, wie das dann mit 80 vielleicht wird, ob man einen Treppenaufzug oder solche Sachen braucht." Mit der Pleite von Lehman Brothers kamen Existenzängste auf. Wie sollte es weitergehen ohne einen Cent Ersparnis? "Das war ein ganz schlimmes Gefühl, weil 20.300 Euro war für mich eine sehr sehr große Summe, die ich von meinem Gehalt als Sozialarbeiter, nicht gerade total begütert, abgezweigt habe."
    So wie Manfred Lagarden ging es hunderten Anlegern in Deutschland. Auch Volker Wittig hatte über seine Bank Lehman-Zertifikate gekauft – und verloren. Jetzt, zehn Jahre später, sitzt er ebenfalls am Wohnzimmertisch von Manfred Lagarden und erinnert sich: "Mir wurde damals beim Beratungsgespräch gesagt, das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist, dass Sie nach den sechs Jahren ohne Rendite dastehen. Aber das Kapital ist gesichert."
    "Ich habe mich vollkommen auf meine Beraterin verlassen"
    Erst nach der Lehman Pleite habe er das Kleingedruckte entdeckt: "Die Bank hatte mit der Schriftgröße Arial 8 hinten auf der vorletzten Seite stand dann drauf: Das Emittentenrisiko liegt beim Anleger. So, und dieses Prospekt, das hat man natürlich nicht durchgelesen. So ein Gespräch geht eine halbe Stunde, die Leute wollen verkaufen, das geht ratzfatz, da liest man sich das nicht durch und ich habe mich da wirklich vollkommen auf meine Beraterin verlassen."
    Auch in der Finanzwelt hatten offenbar viele ihre eigenen Produktzettel weder gelesen noch verstanden. Denn es gab Anzeichen für einen herannahenden Kollaps, aber nur wenige erkannten die Symptome.
    "Das ist natürlich auch der große Grund, weshalb die Ökonomen die Finanzkrise nicht sehen konnten. Wenn Sie sich die Kreditentwicklung angucken, die war ja exzessiv, das Kreditwachstum. Das heißt, das ist quasi auch empirisch zu sehen gewesen. Das ist genau der Auslöser der Bankenkrise", erklärt Peter Bofinger, damals wie heute Volkswirtschaftlehre-Professor an der Universität Würzburg und einer der fünf Wirtschaftsweisen in Deutschland. Heute, im Nachhinein ist klar: Die Krise hat sich lange angekündigt.
    Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftsweiser).
    Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftsweiser). (imago / IPON)
    Das meint auch der Ökonom Thomas Mayer. Er war zu dem Zeitpunkt bei der Deutschen Bank in London. Es habe, erzählt er, immer mal böse Vorahnungen gegeben, aber eben auch diejenigen, die davon nichts wissen wollten:
    "Und so war das Klima so ein bisschen: Naja, also man ist nicht ganz sicher, was da passiert. Könnte schief gehen, aber es wird schon gut gehen. Und als es dann schief ging, war die Situation vergleichbar der eines Autofahrers, der auf einmal auf der Autobahn auf seiner Instrumententafel alle Warnlichter sieht. Ölmangel, Strom funktioniert nicht mehr, also es blinkt nur noch, es blinkt nur noch. Und er sagt: Also jetzt geht die Karre, im nächsten Moment geht die Karre kaputt. Und so fühlte es sich an, wenn man dort war."
    Die Karre – das ist der weltweite Finanzmarkt. Untereinander so stark vernetzt, dass jetzt, nach dem Zusammenbruch der viertgrößten amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers, kaum ein Institut nicht anfängt, zu wanken.
    "Ich kann mich noch sehr sehr lebhaft daran erinnern, dass da ein höherer Manager der Deutschen Bank, mit dem man so zusammenstand, sagte: Wir waren so ungefähr zwei Stunden vor dem Aus. Das heißt, wenn die Zentralbank dann nicht sozusagen in letzter Minute die Schleusen geöffnet hätte und das System mit Liquidität geflutet hätte, dann hätten wir einen Zusammenbruch unseres Geldsystems erlebt, was sich eigentlich der normale Mensch gar nicht richtig vorstellen kann."
    Notenbanken springen ein
    Aber es kommt nicht so weit. Nachdem die Notenbanken noch am 15. September 2008, dem Tag der Lehman-Pleite, sehen, dass sich die Finanzinstitute untereinander kein Geld mehr leihen und unzählige Banken ebenfalls kurz vor der Pleite stehen, springen sie ein. Als sogenannter "Lender of last resort", als letztmöglicher Heilsbringer, stellen sie Finanzmittel zur Verfügung, die die Märkte vorläufig beruhigen können.
    Dennoch: Die Folgen der Finanzkrise schlagen jetzt mit voller Wucht zu. Noch am Tag der Lehman-Pleite wird bekannt: Die Bank of America kauft die Investmentbank Merrill Lynch – und sichert ihr damit das Überleben. Nur zwei Tage danach wird der zu dem Zeitpunkt weltgrößte Versicherer AIG vom US-Staat gerettet.
    Zwei Wochen später kocht die Bankenkrise in Deutschland wieder hoch: Der Münchner Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate, kurz HRE, steht am Abgrund, seine Aktien stürzen ins Bodenlose. Die gerade erst beruhigten Markt-Teilnehmer und eine zunehmend verunsicherte Bevölkerung blicken mit großer Sorge Richtung München – und nach Berlin. Dort treten am 5. Oktober 2008, einem Sonntag, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück vor die Presse:
    "Die Bundesregierung sagt am heutigen Tag, dass wir nicht zulassen werden, dass die Schieflage eines Finanzinstituts zu einer Schieflage des gesamten Systems wird. Und wir sagen außerdem, dass diejenigen, die unverantwortliche Geschäfte gemacht haben, zur Verantwortung gezogen werden. Dafür wird die Bundesregierung sorgen, das sind wir auch den Steuerzahlern in Deutschland schuldig."
    Und dann kommt der Satz, der für viele Branchenkenner eine Wende darstellt: "Und wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind, auch dafür steht die Bundesregierung ein."
    "Das war komplett gelogen. Aber es war eine Notlüge, die sehr fruchtbar war, weil es verhindert hat, dass die Leute zu den Banken rannten und die Misere durch Panik eigentlich erst hervorgerufen hätten", erklärt Thomas Mayer. Diese Notlüge, wie Mayer es nennt, soll wieder Vertrauen aufbauen. Vertrauen, das seit der Lehman-Pleite auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Vor dem späteren HRE-Untersuchungsausschuss im Bundestag sagt der damals oberste Bankenaufseher Jochen Sanio: "Das deutsche Kreditwesen wäre untergeangen. Es hätte die Insolvenz der Hypo Real Estate am Montagmorgen nicht überlebt."
    Banken müssen heute mehr Eigenkapital halten
    Weltweit wird fieberhaft nach Lösungen gesucht, um weitere Katastrophen zu verhindern. Es gibt staatliche Hilfs-Programme, strengere Regulierungsvorschriften und die Notenbanken starten bis dato einzigartige Rettungsmaßnahmen. Weltweit sinken nach und nach die Leitzinsen, auf ein historisches Tief. Außerdem greifen die Zentralbanker direkt in die Märkte ein und bringen durch großangelegte Anleihekäufe frisches Kapital in Umlauf.
    Haben die Maßnahmen geholfen? Sicherlich stehen Banken heute größtenteils stabiler da. Sie haben riskante Geschäfte zurückgefahren und müssen zum Beispiel mehr Eigenkapital halten als früher.
    Allerdings haben die jahrelangen Rettungsaktionen der Notenbanken neue Risiken geschaffen. Die extreme Niedrigzinsphase birgt die Gefahr, dass durch das billige Geld neue Blasen entstehen. Andererseits könnten die Banken erneut in Zahlungsnot geraten, wenn die Leitzinsen zu schnell wieder steigen.
    Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank
    Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank (dpa/Karlheinz Schindler)
    "Wir haben jetzt zehn Jahre nachdem das passiert ist und keiner, niemand, ist davon nicht betroffen in irgendeiner Art und Weise. Die Entwicklung der letzten zehn Jahre wäre eine andere gewesen ohne dieses Ereignis", sagt Thomas Mayer.
    Anlage-Opfer wurden kaum entschädigt
    Für Manfred Lagarden und Volker Wittig aus dem Rheinland stimmt diese Aussage in jedem Fall.
    "Lehman hat mich verfolgt, definitiv, ich sage mal, vier oder fünf Jahre bestimmt."
    "Ja, ist für mich auch eine Lebenserfahrung gewesen. Weil es ja nicht über ein paar Wochen war oder Monate, es waren drei Jahre, drei Jahre meines Lebens, wo ich mich eingesetzt habe."
    Jahrelang haben die Männer und viele Mitstreiter vor den Banken protestiert und vor Gerichten prozessiert. Mit ein wenig Erfolg: Vielen Anlage-Opfern sind von den Banken Entschädigungen angeboten worden, zwar nicht in voller Höhe, aber doch so, dass sich der Verlust besser ertragen ließ.
    Das Vertrauen in die Banken ist dennoch weg, sagt der heute 77-jährige Manfred Lagarden. "Ich werde keine Wertpapiere mehr kaufen, ich werde mich nicht mehr bei der Bank beraten lassen, ich würde mir wünsche, dass jüngere Menschen das eben nicht so in dieser schlimmen Form erfahren müssen, wie wir es erfahren haben."
    Ist eine neue Banken-Krise ausgeschlossen? Der Fall Lehman-Brothers wird wohl einzigartig bleiben, da sind sich fast alle Experten einig. Denn heute, zehn Jahre nach dieser größten Unternehmenspleite der Welt, glauben viele, dass es ein Fehler war, das Institut nicht zu retten. Die weltweiten Folgen und die Verluste, die durch die Lehman-Pleite erst entstanden sind, waren letztlich zu groß – und unberechenbar.
    Auch heute noch gibt es Institute, die "too big too fail" – also zu groß sind, um sie scheitern zu lassen, sagt Peter Bofinger: "Die Vernetzung zwischen Banken ist immer noch hoch. Und ich bin mir nicht sicher, ob wir jetzt eine Situation haben, wenn jetzt die Deutsche Bank heute Abend insolvent würde, ob dann das Bankensystem noch stabil wäre."
    Wer das Finanzsystem wirklich dauerhaft stabilisieren wolle, müsse daran etwas ändern, sagt er: "Meine Idealvorstellung von einem Bankensystem müsste eigentlich so sein, dass die Banken untereinander die Vernetzung so weit reduzieren, dass selbst, wenn die Deutsche Bank heute abend sagt: Sorry, wir haben da noch ein paar Milliarden Verlust, wir sind insolvent, dass jede einzelne Bank stehen bleibt. Und da bin ich mir nicht sicher, dass in der Bank Vernetzungen soweit zurückgefahren sind."