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Beginn einer Ära Mortier?

Zwischen Olivier Messiaens Saint-Francois d’Assise, den wie bei Gérard Mortiers RuhrTriennale neuerlich Sylvain Cambreling dirigiert, und der Übernahme von Christoph Marthalers sechs Jahre alter Katja Kabanowa-Inszenierung von den Salzburger Festspielen nun als Pausenfüller die Klage der Ariadne nebst dem heiter-turbulenten und nostalgisch wienernden Vorspiel im Haushalt des reichsten Manns von Wien.

Von Frieder Reininghaus |
    Der Geldaristokrat, so die Versuchsanordnung Hugo von Hofmannsthals, will sich die knappe Zeit zwischen einem Festessen und einem Brillant-Feuerwerk in seinen Gärten musikdramatisch überbrücken lassen. Da er aber fürchtet, die von ihm bei einem kompositorischen Nachwuchstalent in Auftrag gegebene opera seria über die von Theseus verlassene Prinzessin Ariadne auf der Insel Naxos werde seine Gäste womöglich langweilen, lässt er nicht nur zusätzlich eine italienische Buffo-Truppe verpflichten, sondern kommt auf die zündende Idee, die Tragöden und die Komödianten sollten ihre Darbietungen gleichzeitig auf der gleichen Bühne vom Stapel lassen. Die Engagierten sind entsetzt, empört oder wenigstens konsterniert über diese vom Majordomus übermittelte Anordnung. Der junge Komponist, der in Gestalt der in einen grauen Herren-Anzug gesteckten Sophie Koch aussieht wie ein deutscher Meister der neutonalen Expressivität vor 25 Jahren, will sich gar das Leben nehmen - einfach ein Sensibelchen, das den Zynismus des real existierenden Kunst- und Sponsorenbetriebs erst noch kennen lernen muss.
    Zerbinetta, die Mutter der heiteren Compagnie, das ist in Paris die ansehnlichen, quicklebendig agierende, nur knapp bekleidete junge Russin Lubov Petrova - sie hindert den jungen Hans-Jürgen aus der Kompositionsklasse am Suizid. Überhaupt sorgt ein hochkarätiges Sänger-Team, dessen Eckpfeiler Solveig Kringelborn (als Primadonna und Ariadne) sowie der Tenor/Bacchus Jon Villars sind, in der Nobel-Baustelle von Chantal Thomas für ein sängerisches Niveau, das derzeit keine der "klassischen" Stätten der Richard-Strauss-Pflege zu bieten hat. Die krähwinklige Spar-Politik der deutschen Stadtkleinkrämer und Duodezfürsten-Schatzmeister hat, im Verbund mit einer vernagelten und klein gehaltenen Musik- und Theater-Kritik, hörbare Folgen - der "Attraktivitätsverlust" der deutschen Musiktheaterlandschaft schreitet rapide fort. Paris aber schickt sich in jeder Hinsicht an, auch wieder Opernhauptstadt des frühen 21. Jahrhunderts zu werden.

    Philippe Jordan gelang ein rundweg überzeugendes Paris-Debut. Dieser Kapellmeister wurde von einer konservativen deutschen Zeitung unlängst zum "hoffnungsvollsten Nachwuchsdirigenten" ernannt - mit der Begründung, er sehe "ein bisschen aus wie Robbie Williams. Und ist mindestens so nett wie Patrick Lindner." Wie wäre es, wenn seine präzise Schlagtechnik und sein Eidechsenohr erwähnt würden, mit denen er das kammermusikalische Gespinst der Ariade-Partitur ausbalanciert und ausleuchtet?

    Die Inszenierung von Laurent Pelly wirkt nur dort störend, wo das von Fernsehvorgaben gespeiste Zappeln, Herumhampeln und die Verfolgungsjagden der Komödianten freien Lauf erhalten. Dass der reichste Mann Wiens seine Entertainer in einem Jaguar abholen und im Schneetreiben vor das übertrieben hohe Portal seines Hauptgebäudes kutschieren lässt, mag in voller Auslagenhöhe in Ordnung gehen. Auch die Übersetzung der "wüsten Insel" Ariadnes in eine schlecht gesicherte Baustelle an der Rückseite des herrschaftlichen Anwesens. Gerade an verkommenen Ufern mag die Strauss-Musik noch einmal ihr versöhnliches Schlagobers, ihren wohlfeilen Trost verströmen. Dass sie es so perfekt und gut gestylt tut, gehört zu den Tugenden eines gut funktionierenden Opernmuseums.