Wird der Wechsel das Land verändern? Beobachter rechnen nicht mit einem gravierenden Wandel.
Ein Festungstor wird klirrend aufgeschlossen, Wächter spricht arabisch. Ein Begleiter sagt: "This is the original gate of the Masmak-Fort, without any changes. It's about 106 years old."
Die Masmak-Festung - Anfang des Jahrhunderts das größte Gebäude in der Oase Riad, liegt heute mitten in der Fußgängerzone. Zwischen Parkplätzen und Burger-Restaurants könnte man sie für eine Kreation des Disney-Konzerns halten - wenn die Speerspitze im morschen Holztor nicht wäre und der alte Torwächter, der ihre Geschichte erzählt:
"Im Alter von zehn Jahren wurde unser Staatsgründer König Abdel Aziz - Gottes Segen über ihn - mit seinem Vater und der ganzen Familie vom Clan der Al Raschid aus Riad vertrieben. Seit seiner Kindheit war Abdel Aziz entschlossen, die Raschid wieder aus der Stadt zu werfen. Am Ende wurde die Festung wieder erobert. Die al Saud waren Herren über Riad."
Das liegt nun gute 100 Jahre zurück. Seit dem Tod des ersten Königs regieren die leiblichen Söhne des Staatsgründers das Land. Nach dem heutigen Tod des schwerkranken König Fahd wird mit dem langjährigen Regenten, Kronprinz Abdallah, wohl ein weiterer der 45 männlichen Nachkommen Abdel Aziz’ die Stafette weitertragen.
Die Tradition der 60 Gefolgsleute Abdel Aziz' setzt die saudische Nationalgarde fort, eine Beduinentruppe, anders als die Armee nicht einem Abstraktum wie "dem Staat" verpflichtet, sondern der Familie Saud, verkörpert durch den Kronprinzen.
"”Der Chef der Nationalgarde ist Kronprinz Abdallah lbn Abdel Aziz. Sehen Sie sein Bild? Das ist der Prinz, der uns am meisten Motivation gibt. Ja, ihn lieben wir am meisten.""
Für Oberstleutnant Mohammed Bannounah, den Kommandeur der Musikabteilung der Nationalgarde, sind es vor allem drei Dinge, die Saudi Arabien unter der Führung der al Saud so erfolgreich gemacht haben: Frömmigkeit, persönlicher Mut der Herrscher - und: ein offenes Ohr für jedermann in der Bevölkerung.
"”Ich sehe ihn häufig, bei vielen Gelegenheiten. Jeder von uns kann jederzeit in Prinz Abdallahs Büro oder seinen Palast kommen. Er öffnet seine Türen für alle, die ihn sprechen wollen. Nicht nur für uns Soldaten, sondern für jeden Bürger.""
Weniger gern reden die Offiziellen über andere Helfer, ohne die Saudi-Arabien wohl kaum entstanden wäre. Den Interessen von britischen Kolonialbeamten und US-amerikanischen Geschäftsleuten ist es nicht minder zu verdanken, dass aus dem armen Wüstennest Riad das Königreich Saudi-Arabien wurde. Einer dieser "Geburtshelfer", Harry St. James Philby, britischer Geograph und Kolonialoffizier, kam nicht lange nach der Eroberung Riads in die Stadt und avancierte zum Berater Abdel Aziz'.
Berater Philby fädelte den Kontakt ein mit der Ölgesellschaft des US-Multimillionärs Rockefeller. Die Folgen sind bekannt. In den 30'er Jahren wurden die ersten Verträge mit der US-Ölindustrie geschlossen. Mit dem Ölboom in der Mitte des Jahrhunderts verwandelte sich das Wüstenkönigreich in eins der reichsten Länder der Welt.
In klimatisierten US-Limousinen fahren die Saudis zwischen eisgekühlten Glasbauten hin und her, als schwebten sie im Weltraum-Shuttle von einer Raumstation zur nächsten. Am Rand der Highways wächst bereits die dritte Generation von Wolkenkratzern empor. Diverse Hochhäuser der 70er und 80er Jahre sind wieder abgerissen worden - sie waren neuen Bauprojekten im Wege. Die Bauten der 90er Jahre sind eine Mischung aus traditionellen arabischen Elementen und Futurismus.
Das Innenministerium sieht aus wie eine fliegende Untertasse, über der der überdimensionale Deckel einer Kaffeekanne schwebt. Nicht weit davon ist der Glas- und Betonturm des Faisallia-Building emporgewachsen, mit 266 Metern nur vier Meter niedriger als der Eiffelturm.
Der Faisallia-Turm ist laut Kathy Cuddihy, der Pressesprecherin der internationalen Investoren, das größte Gebäude Saudi-Arabiens. Ein Teil der Mieten und der Gewinne von Firmen und Restaurants kommt auch sozialen Zwecken zugute. Denn federführend für das Projekt Faisallia ist die philanthropische König-Faisal-Stiftung, benannt nach dem 1975 ermordeten zweitältesten Sohn des Staatsgründers.
Mit seiner hoch aufragenden Silhouette ist der Faisallia-Tower nicht nur Erfolgssymbol der hundertjährigen Familienherrschaft der al Saud. Er steht auch für die eine der zwei Säulen, auf denen das System bisher beruht: die erste ist der "nationale Konsens", eine Art ungeschriebene Vereinbarung zwischen den al Saud und den Stämmen.
Die Stämme, so lautet die Vereinbarung, treten alle Gewalt im Staat der al Saud-Familie ab. Dafür verpflichten die al Saud sich, das Volk zu beschenken, großzügig, unbürokratisch und mit dem Besten vom Besten. Und die zweite Säule des Systems? Informationsminister Prinz Turki Bin Sultan Bin Abdelaziz, einer der Enkel des Staatsgründers:
"In Saudi Arabien richten wir uns ohne Kompromisse nach unserer islamischen Religion, wir rücken nicht ein Jota von ihren Prinzipien ab. Wir kennen keine leichtfertigen Diskussionen über dieses Thema. Und genau darauf sind wir stolz: Dass Saudi Arabien zu den wenigen Ländern gehört, die diese Grenzen einhalten. Von Zeit zu Zeit hören wir, dass Leute von Dingen wie Religionsfreiheit reden. Aber das ist uns egal. Viele Aspekte des Islam haben bei der Entwicklung unseres Landes eine Rolle gespielt. Der Islam hat unsere Nation zu dem gemacht, was sie heute ist. Und deshalb haben wir vor unserer Religion den tiefsten Respekt."
Frömmigkeit und Freigiebigkeit, die beiden Säulen der saudischen Herrschaft, haben in Saudi Arabien eine Gesellschaft entstehen lassen, in der zwei Elemente nebeneinander stehen, die einander eigentlich ausschließen: Konsumgesellschaft und asketischer Scharia-Islam. Wer freitagmittags auf dem Platz vor der großen Freitagsmoschee Riads spazieren geht und sich an den Fontänen freut, kann sich eine Cola-Dose aus einem der zahlreichen Automaten ziehen. Er kann sich auf eine der Bänke setzten. Und, wenn es der Zufall will, dann kann er, die Coladose in der Hand, eine der öffentlichen Hinrichtungen beobachten, die hier an manchen Freitagen unangekündigt nach dem Gebet vollstreckt werden.
Wie oft die Todesstrafe vollstreckt wird, ist schwer zu sagen. Statistiken sind Mangelware. In den letzten Jahren wurde laut amnesty international ein Großteil der Hinrichtungen an Ausländern vollzogen.
Überall im Alltag begegnen sich High-Tech und eine erzkonservative Islam-Auslegung. Selbst in einem hochtechnisierten Bereich wie dem King-Saud-Universitätskrankenhaus von Riad werden die Vorschriften der Korangelehrten bis ins Detail befolgt. Zu diesem Zweck, erläutert ein Professor, gibt es eigens eine Zusammenarbeit mit Gunther von Hagens, dem Erfinder der Plastination und Schöpfer der Ausstellung ‚Körperwelten’.
"Jedes Jahr schickt uns Dr. Gunther aus Heidelberg vierzig Leichen. Denn für uns in Saudi Arabien sind Leichen schwer zu bekommen. Unsere Religion verbietet einfach das Sezieren. Es ist haram - unrein und sündhaft. Sie kriegen einfach keine Leichen. Es ist undenkbar, jemanden zu fragen: Entschuldigen Sie, wir brauchen Ihren Körper, wenn Sie gestorben sind, es ist für unsere Studenten... Nichts zu machen. Sie können sich auf den Kopf stellen - Leichen kriegen Sie nicht. Die Deutschen haben einfach mehr als sie begraben können, hat mir Dr. Gunther erklärt, weil das Land in Deutschland sehr teuer ist."
Auch Frauen gehören zu den Studierenden der König-Saud-Universität von Riad. Sie dürfen freilich männlichen Professoren und Studenten nicht begegnen. Aber das ist kein Problem, meint der Sprecher der King-Saud-Universität. Man muss nur in die Technik investieren.
"Wir sind hier im Hauptkontrollstudio der Hochschule für Pädagogik. In der gesamten Fakultät haben wir fünfzehn Studios, jedes davon liegt direkt neben einem Klassenraum, der ausgestattet ist mit Kamera und Telefonset. Diese Technik vernetzt die männliche Fakultät mit der weiblichen, die zwanzig Kilometer entfernt liegt. Auf dem Bildschirm vor uns sehen wir zum Beispiel gerade eine Mathematik-Vorlesung. Vom Kontrollraum aus können wir jetzt den Professor heranzoomen oder das, was er an die Tafel geschrieben hat. Sehen Sie? Hier sitzen die männlichen Studenten, die mitschreiben, was ihr Professor ihnen sagt. In einer Ecke des Seminarraums ist die Kamera installiert, die die Vorlesung in die zwanzig Kilometer entfernte Frauenfakultät überträgt. Vor dem Professor sehen Sie ein rotes Telefon. Wenn eine Studentin eine Frage hat, kann sie von ihrem Platz in der Frauen-Uni den Professor anrufen, und der Professor antwortet per Telefon, ohne die betreffende Studentin zu Gesicht zu bekommen."
Reformen dank modernster Technik zu umgehen - das schien bislang die ewige Patentlösung für Saudi Arabien zu sein. Aber die Folgen der rasanten Entwicklung holen Saudi-Arabien allmählich ein. Der Personalchef der medizinischen Fakultät der König-Saud-Universität von Riad:
"Wir sind eine Gesellschaft mit starkem Bevölkerungswachstum. Vor zehn Jahren hatten wir noch acht Millionen Einwohner - heute haben wir 16 Millionen. Hinzu kommen noch die vier oder fünf Millionen Gastarbeiter. Das ist ein gewaltiger Sprung nach oben. Und unsere gesamte junge Generation drängt auf die Universitäten, auch, wenn das den Bedarf weit übersteigt. Natürlich brauchen wir eine bestimmte Anzahl Akademiker. Aber was ist mit der anderen, Bereichen, mit der so genannten mittleren Ebene: Paramedizinische Berufe, Sekretäre, Fernmeldetechniker - all diese Berufe werden von unseren jungen Leuten einfach nicht angenommen."
Der Personalchef der medizinischen Fakultät von Riad weist auf ein Problem hin, das für den gesellschaftlichen Frieden immer gefährlicher wird. Als Folge des Reichtums der letzten Jahrzehnte hat die Bevölkerung sich mehr als verdoppelt, das Bevölkerungswachstum liegt bei 3,6 Prozent. Die Universitäten quellen über. Doch viele der zahlreichen Jungakademiker sind, wie ‚Arabies’, das Pariser Arabien-Magazin es formuliert, schlichtweg "nicht einstellbar".
Die jungen Saudis der zweiten Wohlstandsgeneration gelten selbst vielen saudischen Unternehmern als träge, unmotiviert und nicht belastbar. Auch saudische Firmen stellen oft, wenn sie die Wahl haben, lieber ausländische Fachkräfte ein. Wut staut sich auf. Der langjährige "nationale Konsens" - Geld und Versorgung gegen kritiklose Gefolgschaft - ist zunehmend in Gefahr. Vor allem unausgelastete Akademiker murren und stellen das saudische System in Frage.
Noch immer wird das saudische Bildungssystem von der erzkonservativen religiösen Doktrin des Wahabismus dominiert. Statt sich zu schließen, weitet sich die Lücke zwischen technischer Moderne und beduinisch geprägter Frömmigkeit von Jahr zu Jahr. Eine hochbrisante Mischung – wie brisant, das führten schockartig die Anschläge des 11. September 2001 in New York und Washington vor Augen, die hauptsächlich von jungen Saudis ausgeführt wurden und die sich gegen die angestammte Schutzmacht USA richteten. Weitere Attentate auf US-Soldaten und ausländische Fachkräfte ereigneten sich in Saudi Arabien selbst.
Inzwischen hat die saudische Regierung das Problem erkannt und steuert dem Extremismus entgegen, bis jetzt vor allem mit polizeilichen Mitteln. Doch ohne den Willen, im Bildungssystem eine moderne Vision vom Islam zu verankern, dürften die Maßnahmen nur wenig Wirkung zeigen.
Die Erosion des "nationalen Konsens" begann bereits 1991, als einige Akademikerinnen offen gegen das Autofahrverbot für Frauen verstießen. Im Limousinenkorso rollten sie durch die Innenstadt, hupten aufreizend und forderten das Recht Auto zu fahren. Scheich Dschubeir, der Präsident des königlichen Konsultativrates, wiegt noch in der Erinnerung sorgenvoll das Haupt.
"An der Aktion gegen das Frauenfahrverbot haben sich nur wenige Frauen beteiligt, kaum ein Dutzend. Es war eine völlig isolierte Aktion, die man in keiner Weise als repräsentativ bezeichnen kann für die Haltung der Saudi-Araberinnen insgesamt. Die Frauen wurden unverzüglich daran gehindert, weiter Unruhe zu verbreiten. Es ist zwar richtig, dass sich aus dem heiligen Koran nicht unmittelbar ein Frauenfahrverbot ableiten lässt. Aber unsere Gesetze in Saudi Arabien verbieten das, und zwar aus gutem Grund. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir eine sehr, sehr konservative Gesellschaft haben. Was wäre zum Beispiel, wenn eine Frau einen Unfall verursachen würde, sich vor Gericht verantworten müsste - ins Gefängnis käme! Unsere Gesellschaft würde das nicht akzeptieren. Frauen vor Gericht oder im Gefängnis? Unvorstellbar. Aus unserer Sicht ist die Frau ein Wesen, das unter allen Umständen geschützt werden muss. Und diesen Schutz zu gewährleisten, beabsichtigt das Gesetz."
Heißt das, in saudischen Gefängnissen sitzen keine Frauen? Mangels Quellen kann darüber nur spekuliert werden. Bekannt wurden nur Fälle von Filipinas und Frauen aus Pakistan - über verurteilte Bürgerinnen Saudi-Arabiens gibt es keine Informationen. Prozesse finden grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Dass Scheich Dschubeir, ein Rechtsgelehrter, heute als Präsident des königlichen Konsulatativrats in einem Marmorpalast residiert, verdankt er ironischerweise der Frauendemo. Um weiteren Aktionen ungebärdiger Akademiker vorzubeugen, um ihnen zu zeigen, dass man ihre Wichtigkeit in der Gesellschaft erkennt, hat König Fahd diese Institution aus der Gründerzeit des Königreichs wiederbelebt: 1991, im Jahr der Frauendemo, wurden einige Dutzend Akademiker zu Mitgliedern der Ratsversammlung ernannt.
Sie sollen wichtige gesellschaftliche Fragen diskutieren und anschließend ein Gutachten abgeben. Offene und kontroverse Diskussion - ein Novum für die konsensfixierte saudische Gesellschaft. Präsident Dschubeir möchte bereitwillig auf die Vorwürfe von amnesty intemational eingehen, in Saudi Arabien werde routinemäßig gefoltert. Unter seinen Sekretären macht sich hingegen leichte Unruhe breit.
Folter, so versichern die beiden Sekretäre, gebe es nicht in Saudi- Arabien, weder in politischen noch in anderen Fällen. Zudem seien, anders als amnesty international das behaupte, in Saudi-Arabien Verteidiger stets zu Prozessen zugelassen. Jeder Angeklagte dürfe jederzeit einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Und dann schaltet Scheich Dschubeir sich wieder ein:
"Ich war vierzig Jahre lang Richter. Ich war Justizminister. Ich war Präsident der Obersten Beschwerdekammer. Ich war Vorsitzender des Obersten Rates der Richter. Aus dieser Erfahrung versichere ich Ihnen: Alle diese Vorwürfe entbehren jeder Grundlage."
Zur vom König eingesetzten Ratsversammlung sind seit der Lokalwahl vom Frühjahr 2005, der ersten Wahl in der Geschichte Saudi Arabiens, diverse Stadt- und Gemeinderäte gekommen. Parteien waren allerdings nicht zugelassen. Die frisch gewählten unabhängigen Kandidaten dürfen nur Vorschläge über Infrastruktur und Budgetfragen vorlegen.
Wird der Tod von König Fahd das Land verändern? - Wahrscheinlich nicht gravierend. Auch der 80-jährige Halbbruder des regierenden Königs Fahd ist noch ein Sohn des Staatsgründers Abdel Aziz. Anders als die einflussreichen Sudairis, die Söhne Abdel Aziz' mit einer Frau aus dem Sudairi-Stamm, verfügt er in der Familie zwar über keine Hausmacht. Aber gerade deshalb halten ihn viele für integer. Galt der verstorbene König Fahd – dank seiner legendären Luxusausflüge nach Marbella – vielen als dem leichten Leben zugeneigt, sagt man dem langjährigen Regenten Abdallah, nach, streng religiös, zugleich aber pragmatisch zu sein.
Gerade durch diese Mischung könnte es ihm gelingen, Reformen durchzusetzen, ohne die Konservativen und die Religionsgelehrten zu verprellen. Anders, als Fahd, der sich stets mit der Hypothek auseinandersetzen musste, die US-Truppen ins Land gerufen zu haben, kann man Abdallah dergleichen schwerlich unterstellen. Schließlich haben sich die militärischen Beziehungen nach dem 11. September 2001 ohnehin so abgekühlt, dass die einst riesige US-Basis in Saudi Arabien in das benachbarte Emirat Katar verlegt wurde.
Jeder Berichterstatter, der das King-Fahd-Sportstadion besucht, wird während des Interviews von Kameraleuten gefilmt und auf die gigantische Anzeigenwand projiziert. Technische Spielereien wie diese sind für den Pressesprecher der Beweis dafür, welch eine Entwicklung sich innerhalb von fünfzig Jahren in Saudi Arabien vollzogen hat. Und alles, das betont er immer wieder, ist ein Geschenk der Herrscherfamilie an die Bevölkerung. Doch auch, wenn hochmoderne Monumente wie das King-Fahd-Stadion beeindrucken - Zukunftssymbole sind sie längst nicht mehr. Sie versinnbildlichen eher die Konzepte von gestern.
Das Wochenende - in Saudi Arabien Donnerstag und Freitag - beginnt in Riad schon am Mittwochnachmittag. In der Wüste rings um die Stadt werden Zelte aufgebaut. Auf die Parkplätze davor rollen Jeeps und Luxuslimousinen. Gestresste Geschäftsleute kommen geradewegs aus ihren Büros und lassen sich in langen Reihen entlang der Zeltwand nieder. Auch Oberstleutnant Mohammed Bannounah von der saudischen Nationalgarde ist mit von der Partie:
"”Wir befinden uns jetzt nordöstlich von Riad. In diese Gegend fahren viele Leute am Wochenende, um mit ihren Freunden und Familien zu campen. Nur für ein Wochenende, dann geht es wieder zurück ins Alltagsleben. Wir können uns von der Wüste nicht lange trennen. Viele Saudis haben ihre Villen in der Stadt, sie wohnen in Hochhäusern, sie haben gute Jobs, sie spielen an Computern, sie sprechen Englisch. Aber sie könnten es nicht ertragen, der Wüste lange fernzubleiben. In der Wüste verstellt dir nichts den Blick. Du kannst atmen, gute, klare Luft. Du siehst in dich selbst hinein... du erfährst etwas über dich.""
Ein Festungstor wird klirrend aufgeschlossen, Wächter spricht arabisch. Ein Begleiter sagt: "This is the original gate of the Masmak-Fort, without any changes. It's about 106 years old."
Die Masmak-Festung - Anfang des Jahrhunderts das größte Gebäude in der Oase Riad, liegt heute mitten in der Fußgängerzone. Zwischen Parkplätzen und Burger-Restaurants könnte man sie für eine Kreation des Disney-Konzerns halten - wenn die Speerspitze im morschen Holztor nicht wäre und der alte Torwächter, der ihre Geschichte erzählt:
"Im Alter von zehn Jahren wurde unser Staatsgründer König Abdel Aziz - Gottes Segen über ihn - mit seinem Vater und der ganzen Familie vom Clan der Al Raschid aus Riad vertrieben. Seit seiner Kindheit war Abdel Aziz entschlossen, die Raschid wieder aus der Stadt zu werfen. Am Ende wurde die Festung wieder erobert. Die al Saud waren Herren über Riad."
Das liegt nun gute 100 Jahre zurück. Seit dem Tod des ersten Königs regieren die leiblichen Söhne des Staatsgründers das Land. Nach dem heutigen Tod des schwerkranken König Fahd wird mit dem langjährigen Regenten, Kronprinz Abdallah, wohl ein weiterer der 45 männlichen Nachkommen Abdel Aziz’ die Stafette weitertragen.
Die Tradition der 60 Gefolgsleute Abdel Aziz' setzt die saudische Nationalgarde fort, eine Beduinentruppe, anders als die Armee nicht einem Abstraktum wie "dem Staat" verpflichtet, sondern der Familie Saud, verkörpert durch den Kronprinzen.
"”Der Chef der Nationalgarde ist Kronprinz Abdallah lbn Abdel Aziz. Sehen Sie sein Bild? Das ist der Prinz, der uns am meisten Motivation gibt. Ja, ihn lieben wir am meisten.""
Für Oberstleutnant Mohammed Bannounah, den Kommandeur der Musikabteilung der Nationalgarde, sind es vor allem drei Dinge, die Saudi Arabien unter der Führung der al Saud so erfolgreich gemacht haben: Frömmigkeit, persönlicher Mut der Herrscher - und: ein offenes Ohr für jedermann in der Bevölkerung.
"”Ich sehe ihn häufig, bei vielen Gelegenheiten. Jeder von uns kann jederzeit in Prinz Abdallahs Büro oder seinen Palast kommen. Er öffnet seine Türen für alle, die ihn sprechen wollen. Nicht nur für uns Soldaten, sondern für jeden Bürger.""
Weniger gern reden die Offiziellen über andere Helfer, ohne die Saudi-Arabien wohl kaum entstanden wäre. Den Interessen von britischen Kolonialbeamten und US-amerikanischen Geschäftsleuten ist es nicht minder zu verdanken, dass aus dem armen Wüstennest Riad das Königreich Saudi-Arabien wurde. Einer dieser "Geburtshelfer", Harry St. James Philby, britischer Geograph und Kolonialoffizier, kam nicht lange nach der Eroberung Riads in die Stadt und avancierte zum Berater Abdel Aziz'.
Berater Philby fädelte den Kontakt ein mit der Ölgesellschaft des US-Multimillionärs Rockefeller. Die Folgen sind bekannt. In den 30'er Jahren wurden die ersten Verträge mit der US-Ölindustrie geschlossen. Mit dem Ölboom in der Mitte des Jahrhunderts verwandelte sich das Wüstenkönigreich in eins der reichsten Länder der Welt.
In klimatisierten US-Limousinen fahren die Saudis zwischen eisgekühlten Glasbauten hin und her, als schwebten sie im Weltraum-Shuttle von einer Raumstation zur nächsten. Am Rand der Highways wächst bereits die dritte Generation von Wolkenkratzern empor. Diverse Hochhäuser der 70er und 80er Jahre sind wieder abgerissen worden - sie waren neuen Bauprojekten im Wege. Die Bauten der 90er Jahre sind eine Mischung aus traditionellen arabischen Elementen und Futurismus.
Das Innenministerium sieht aus wie eine fliegende Untertasse, über der der überdimensionale Deckel einer Kaffeekanne schwebt. Nicht weit davon ist der Glas- und Betonturm des Faisallia-Building emporgewachsen, mit 266 Metern nur vier Meter niedriger als der Eiffelturm.
Der Faisallia-Turm ist laut Kathy Cuddihy, der Pressesprecherin der internationalen Investoren, das größte Gebäude Saudi-Arabiens. Ein Teil der Mieten und der Gewinne von Firmen und Restaurants kommt auch sozialen Zwecken zugute. Denn federführend für das Projekt Faisallia ist die philanthropische König-Faisal-Stiftung, benannt nach dem 1975 ermordeten zweitältesten Sohn des Staatsgründers.
Mit seiner hoch aufragenden Silhouette ist der Faisallia-Tower nicht nur Erfolgssymbol der hundertjährigen Familienherrschaft der al Saud. Er steht auch für die eine der zwei Säulen, auf denen das System bisher beruht: die erste ist der "nationale Konsens", eine Art ungeschriebene Vereinbarung zwischen den al Saud und den Stämmen.
Die Stämme, so lautet die Vereinbarung, treten alle Gewalt im Staat der al Saud-Familie ab. Dafür verpflichten die al Saud sich, das Volk zu beschenken, großzügig, unbürokratisch und mit dem Besten vom Besten. Und die zweite Säule des Systems? Informationsminister Prinz Turki Bin Sultan Bin Abdelaziz, einer der Enkel des Staatsgründers:
"In Saudi Arabien richten wir uns ohne Kompromisse nach unserer islamischen Religion, wir rücken nicht ein Jota von ihren Prinzipien ab. Wir kennen keine leichtfertigen Diskussionen über dieses Thema. Und genau darauf sind wir stolz: Dass Saudi Arabien zu den wenigen Ländern gehört, die diese Grenzen einhalten. Von Zeit zu Zeit hören wir, dass Leute von Dingen wie Religionsfreiheit reden. Aber das ist uns egal. Viele Aspekte des Islam haben bei der Entwicklung unseres Landes eine Rolle gespielt. Der Islam hat unsere Nation zu dem gemacht, was sie heute ist. Und deshalb haben wir vor unserer Religion den tiefsten Respekt."
Frömmigkeit und Freigiebigkeit, die beiden Säulen der saudischen Herrschaft, haben in Saudi Arabien eine Gesellschaft entstehen lassen, in der zwei Elemente nebeneinander stehen, die einander eigentlich ausschließen: Konsumgesellschaft und asketischer Scharia-Islam. Wer freitagmittags auf dem Platz vor der großen Freitagsmoschee Riads spazieren geht und sich an den Fontänen freut, kann sich eine Cola-Dose aus einem der zahlreichen Automaten ziehen. Er kann sich auf eine der Bänke setzten. Und, wenn es der Zufall will, dann kann er, die Coladose in der Hand, eine der öffentlichen Hinrichtungen beobachten, die hier an manchen Freitagen unangekündigt nach dem Gebet vollstreckt werden.
Wie oft die Todesstrafe vollstreckt wird, ist schwer zu sagen. Statistiken sind Mangelware. In den letzten Jahren wurde laut amnesty international ein Großteil der Hinrichtungen an Ausländern vollzogen.
Überall im Alltag begegnen sich High-Tech und eine erzkonservative Islam-Auslegung. Selbst in einem hochtechnisierten Bereich wie dem King-Saud-Universitätskrankenhaus von Riad werden die Vorschriften der Korangelehrten bis ins Detail befolgt. Zu diesem Zweck, erläutert ein Professor, gibt es eigens eine Zusammenarbeit mit Gunther von Hagens, dem Erfinder der Plastination und Schöpfer der Ausstellung ‚Körperwelten’.
"Jedes Jahr schickt uns Dr. Gunther aus Heidelberg vierzig Leichen. Denn für uns in Saudi Arabien sind Leichen schwer zu bekommen. Unsere Religion verbietet einfach das Sezieren. Es ist haram - unrein und sündhaft. Sie kriegen einfach keine Leichen. Es ist undenkbar, jemanden zu fragen: Entschuldigen Sie, wir brauchen Ihren Körper, wenn Sie gestorben sind, es ist für unsere Studenten... Nichts zu machen. Sie können sich auf den Kopf stellen - Leichen kriegen Sie nicht. Die Deutschen haben einfach mehr als sie begraben können, hat mir Dr. Gunther erklärt, weil das Land in Deutschland sehr teuer ist."
Auch Frauen gehören zu den Studierenden der König-Saud-Universität von Riad. Sie dürfen freilich männlichen Professoren und Studenten nicht begegnen. Aber das ist kein Problem, meint der Sprecher der King-Saud-Universität. Man muss nur in die Technik investieren.
"Wir sind hier im Hauptkontrollstudio der Hochschule für Pädagogik. In der gesamten Fakultät haben wir fünfzehn Studios, jedes davon liegt direkt neben einem Klassenraum, der ausgestattet ist mit Kamera und Telefonset. Diese Technik vernetzt die männliche Fakultät mit der weiblichen, die zwanzig Kilometer entfernt liegt. Auf dem Bildschirm vor uns sehen wir zum Beispiel gerade eine Mathematik-Vorlesung. Vom Kontrollraum aus können wir jetzt den Professor heranzoomen oder das, was er an die Tafel geschrieben hat. Sehen Sie? Hier sitzen die männlichen Studenten, die mitschreiben, was ihr Professor ihnen sagt. In einer Ecke des Seminarraums ist die Kamera installiert, die die Vorlesung in die zwanzig Kilometer entfernte Frauenfakultät überträgt. Vor dem Professor sehen Sie ein rotes Telefon. Wenn eine Studentin eine Frage hat, kann sie von ihrem Platz in der Frauen-Uni den Professor anrufen, und der Professor antwortet per Telefon, ohne die betreffende Studentin zu Gesicht zu bekommen."
Reformen dank modernster Technik zu umgehen - das schien bislang die ewige Patentlösung für Saudi Arabien zu sein. Aber die Folgen der rasanten Entwicklung holen Saudi-Arabien allmählich ein. Der Personalchef der medizinischen Fakultät der König-Saud-Universität von Riad:
"Wir sind eine Gesellschaft mit starkem Bevölkerungswachstum. Vor zehn Jahren hatten wir noch acht Millionen Einwohner - heute haben wir 16 Millionen. Hinzu kommen noch die vier oder fünf Millionen Gastarbeiter. Das ist ein gewaltiger Sprung nach oben. Und unsere gesamte junge Generation drängt auf die Universitäten, auch, wenn das den Bedarf weit übersteigt. Natürlich brauchen wir eine bestimmte Anzahl Akademiker. Aber was ist mit der anderen, Bereichen, mit der so genannten mittleren Ebene: Paramedizinische Berufe, Sekretäre, Fernmeldetechniker - all diese Berufe werden von unseren jungen Leuten einfach nicht angenommen."
Der Personalchef der medizinischen Fakultät von Riad weist auf ein Problem hin, das für den gesellschaftlichen Frieden immer gefährlicher wird. Als Folge des Reichtums der letzten Jahrzehnte hat die Bevölkerung sich mehr als verdoppelt, das Bevölkerungswachstum liegt bei 3,6 Prozent. Die Universitäten quellen über. Doch viele der zahlreichen Jungakademiker sind, wie ‚Arabies’, das Pariser Arabien-Magazin es formuliert, schlichtweg "nicht einstellbar".
Die jungen Saudis der zweiten Wohlstandsgeneration gelten selbst vielen saudischen Unternehmern als träge, unmotiviert und nicht belastbar. Auch saudische Firmen stellen oft, wenn sie die Wahl haben, lieber ausländische Fachkräfte ein. Wut staut sich auf. Der langjährige "nationale Konsens" - Geld und Versorgung gegen kritiklose Gefolgschaft - ist zunehmend in Gefahr. Vor allem unausgelastete Akademiker murren und stellen das saudische System in Frage.
Noch immer wird das saudische Bildungssystem von der erzkonservativen religiösen Doktrin des Wahabismus dominiert. Statt sich zu schließen, weitet sich die Lücke zwischen technischer Moderne und beduinisch geprägter Frömmigkeit von Jahr zu Jahr. Eine hochbrisante Mischung – wie brisant, das führten schockartig die Anschläge des 11. September 2001 in New York und Washington vor Augen, die hauptsächlich von jungen Saudis ausgeführt wurden und die sich gegen die angestammte Schutzmacht USA richteten. Weitere Attentate auf US-Soldaten und ausländische Fachkräfte ereigneten sich in Saudi Arabien selbst.
Inzwischen hat die saudische Regierung das Problem erkannt und steuert dem Extremismus entgegen, bis jetzt vor allem mit polizeilichen Mitteln. Doch ohne den Willen, im Bildungssystem eine moderne Vision vom Islam zu verankern, dürften die Maßnahmen nur wenig Wirkung zeigen.
Die Erosion des "nationalen Konsens" begann bereits 1991, als einige Akademikerinnen offen gegen das Autofahrverbot für Frauen verstießen. Im Limousinenkorso rollten sie durch die Innenstadt, hupten aufreizend und forderten das Recht Auto zu fahren. Scheich Dschubeir, der Präsident des königlichen Konsultativrates, wiegt noch in der Erinnerung sorgenvoll das Haupt.
"An der Aktion gegen das Frauenfahrverbot haben sich nur wenige Frauen beteiligt, kaum ein Dutzend. Es war eine völlig isolierte Aktion, die man in keiner Weise als repräsentativ bezeichnen kann für die Haltung der Saudi-Araberinnen insgesamt. Die Frauen wurden unverzüglich daran gehindert, weiter Unruhe zu verbreiten. Es ist zwar richtig, dass sich aus dem heiligen Koran nicht unmittelbar ein Frauenfahrverbot ableiten lässt. Aber unsere Gesetze in Saudi Arabien verbieten das, und zwar aus gutem Grund. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir eine sehr, sehr konservative Gesellschaft haben. Was wäre zum Beispiel, wenn eine Frau einen Unfall verursachen würde, sich vor Gericht verantworten müsste - ins Gefängnis käme! Unsere Gesellschaft würde das nicht akzeptieren. Frauen vor Gericht oder im Gefängnis? Unvorstellbar. Aus unserer Sicht ist die Frau ein Wesen, das unter allen Umständen geschützt werden muss. Und diesen Schutz zu gewährleisten, beabsichtigt das Gesetz."
Heißt das, in saudischen Gefängnissen sitzen keine Frauen? Mangels Quellen kann darüber nur spekuliert werden. Bekannt wurden nur Fälle von Filipinas und Frauen aus Pakistan - über verurteilte Bürgerinnen Saudi-Arabiens gibt es keine Informationen. Prozesse finden grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Dass Scheich Dschubeir, ein Rechtsgelehrter, heute als Präsident des königlichen Konsulatativrats in einem Marmorpalast residiert, verdankt er ironischerweise der Frauendemo. Um weiteren Aktionen ungebärdiger Akademiker vorzubeugen, um ihnen zu zeigen, dass man ihre Wichtigkeit in der Gesellschaft erkennt, hat König Fahd diese Institution aus der Gründerzeit des Königreichs wiederbelebt: 1991, im Jahr der Frauendemo, wurden einige Dutzend Akademiker zu Mitgliedern der Ratsversammlung ernannt.
Sie sollen wichtige gesellschaftliche Fragen diskutieren und anschließend ein Gutachten abgeben. Offene und kontroverse Diskussion - ein Novum für die konsensfixierte saudische Gesellschaft. Präsident Dschubeir möchte bereitwillig auf die Vorwürfe von amnesty intemational eingehen, in Saudi Arabien werde routinemäßig gefoltert. Unter seinen Sekretären macht sich hingegen leichte Unruhe breit.
Folter, so versichern die beiden Sekretäre, gebe es nicht in Saudi- Arabien, weder in politischen noch in anderen Fällen. Zudem seien, anders als amnesty international das behaupte, in Saudi-Arabien Verteidiger stets zu Prozessen zugelassen. Jeder Angeklagte dürfe jederzeit einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Und dann schaltet Scheich Dschubeir sich wieder ein:
"Ich war vierzig Jahre lang Richter. Ich war Justizminister. Ich war Präsident der Obersten Beschwerdekammer. Ich war Vorsitzender des Obersten Rates der Richter. Aus dieser Erfahrung versichere ich Ihnen: Alle diese Vorwürfe entbehren jeder Grundlage."
Zur vom König eingesetzten Ratsversammlung sind seit der Lokalwahl vom Frühjahr 2005, der ersten Wahl in der Geschichte Saudi Arabiens, diverse Stadt- und Gemeinderäte gekommen. Parteien waren allerdings nicht zugelassen. Die frisch gewählten unabhängigen Kandidaten dürfen nur Vorschläge über Infrastruktur und Budgetfragen vorlegen.
Wird der Tod von König Fahd das Land verändern? - Wahrscheinlich nicht gravierend. Auch der 80-jährige Halbbruder des regierenden Königs Fahd ist noch ein Sohn des Staatsgründers Abdel Aziz. Anders als die einflussreichen Sudairis, die Söhne Abdel Aziz' mit einer Frau aus dem Sudairi-Stamm, verfügt er in der Familie zwar über keine Hausmacht. Aber gerade deshalb halten ihn viele für integer. Galt der verstorbene König Fahd – dank seiner legendären Luxusausflüge nach Marbella – vielen als dem leichten Leben zugeneigt, sagt man dem langjährigen Regenten Abdallah, nach, streng religiös, zugleich aber pragmatisch zu sein.
Gerade durch diese Mischung könnte es ihm gelingen, Reformen durchzusetzen, ohne die Konservativen und die Religionsgelehrten zu verprellen. Anders, als Fahd, der sich stets mit der Hypothek auseinandersetzen musste, die US-Truppen ins Land gerufen zu haben, kann man Abdallah dergleichen schwerlich unterstellen. Schließlich haben sich die militärischen Beziehungen nach dem 11. September 2001 ohnehin so abgekühlt, dass die einst riesige US-Basis in Saudi Arabien in das benachbarte Emirat Katar verlegt wurde.
Jeder Berichterstatter, der das King-Fahd-Sportstadion besucht, wird während des Interviews von Kameraleuten gefilmt und auf die gigantische Anzeigenwand projiziert. Technische Spielereien wie diese sind für den Pressesprecher der Beweis dafür, welch eine Entwicklung sich innerhalb von fünfzig Jahren in Saudi Arabien vollzogen hat. Und alles, das betont er immer wieder, ist ein Geschenk der Herrscherfamilie an die Bevölkerung. Doch auch, wenn hochmoderne Monumente wie das King-Fahd-Stadion beeindrucken - Zukunftssymbole sind sie längst nicht mehr. Sie versinnbildlichen eher die Konzepte von gestern.
Das Wochenende - in Saudi Arabien Donnerstag und Freitag - beginnt in Riad schon am Mittwochnachmittag. In der Wüste rings um die Stadt werden Zelte aufgebaut. Auf die Parkplätze davor rollen Jeeps und Luxuslimousinen. Gestresste Geschäftsleute kommen geradewegs aus ihren Büros und lassen sich in langen Reihen entlang der Zeltwand nieder. Auch Oberstleutnant Mohammed Bannounah von der saudischen Nationalgarde ist mit von der Partie:
"”Wir befinden uns jetzt nordöstlich von Riad. In diese Gegend fahren viele Leute am Wochenende, um mit ihren Freunden und Familien zu campen. Nur für ein Wochenende, dann geht es wieder zurück ins Alltagsleben. Wir können uns von der Wüste nicht lange trennen. Viele Saudis haben ihre Villen in der Stadt, sie wohnen in Hochhäusern, sie haben gute Jobs, sie spielen an Computern, sie sprechen Englisch. Aber sie könnten es nicht ertragen, der Wüste lange fernzubleiben. In der Wüste verstellt dir nichts den Blick. Du kannst atmen, gute, klare Luft. Du siehst in dich selbst hinein... du erfährst etwas über dich.""