In solchen Fällen, so lautet Wiglaf Drostes Diagnose, ist anstelle des Herzens das Hirn an der Biegung des Flusses begraben worden. Ein Publikum, das fest daran glaubt, an seiner Güte könnten nur Zyniker zweifeln, hat ihm Befunde dieser Art übelgenommen. Nun sucht es, die Methode ist seit Jahrhunderten bewährt, in Drostes Texten nach "Stellen". "Gegen so eine Erwartungshaltung kann man gar nichts machen", so Droste. "Wer jetzt etwas finden will und sagt: Ich suche jetzt etwas zynisch menschenverachtend Geschmackloses, in diesem Kanon, dann findet man etwas, wenn man das unbedingt will. Dann findet man es noch im harmlosesten kleinen Gedicht. Es sind ja auch Texte von fast gleitender Harmlosigkeit dabei, was die Leute fast düpiert. Ich habe wirklich keine Lust, den Hard-Core-Fritzen vom Dienst zu geben. Ich bin das auch gar nicht."
Harmlose kleine Gedichte, denen eine gewisse Heinz Erhardt-Nähe nicht abzusprechen ist, finden sich auch in diesem Band, in dem die unterschiedlichsten Textsorten friedlich nebeneinanderstellen: Liebesgeschichte und Dramolett, Auftragsarbeiten für Zeitungen, Erlebnisse in der Bundesbahn und immer wieder Alltagsbeobachtungen. Droste ist ein fleißiger Sammler der vielen Zumutungen, die dem Großstadtbewohner das Leben vergällen können. Dagegen wehrt er sich mit allen Mitteln. Die Teilnehmer der Love-Parade z.B. werden nicht nur als Mitglieder der Bewegung "Jugend trainiert für Karneval" enttarnt, ihrem besinnungslosen Konformismus wird auch die Friedfertigkeit nur vorübergehend geglaubt, und schon entsichert der Verfasser seine imaginäre Maschinenpistole. Da ist er endlich, der menschenverachtende Satz, der die Bedürfnisse befriedigt. "Das schreib ich jetzt mal hin, und mal gucken, wie sich das anfühlt. Wenn man dann sagt: Schade, daß ich nicht in China bin, dann könnte ich die Leute alle erschießen lassen. Das ist natürlich ein völlig sinnloser Satz. Denn man kann nicht in China einfach Leute erschießen lassen. Nur ganz wenige Leute haben da die Macht, Todesurteile zu unterschreiben und dann vollstrecken zu lassen, was finster genug ist. Es spielt ja auch mit dem Klischee. Ah ja, in China, da kann man Leute umbringen lassen! Es ist Unsinn, dieser Satz. Er wird aber sofort ernst genommen: Ah, er will also Leute umbringen lassen! Ich könnte ja niemals Leute erschießen lassen und würde es auch nicht tun. Aber trotzdem klappt das mit den Reflexen. Man kann sie abrufen. Und das ist in gewisser Weise auch wieder komisch."
Bei den sehr gut besuchten Lesungen Drostes, die selten in Buchhandlungen stattfinden und ein überwiegend junges Publikum erreichen, sind es solche Sätze, die mit den lautesten Lachern belohnt werden ohne daß die Mordlust in den Augen der Zuhörer blitzte. Es ist die Lust an der provokativ zugespitzten Formulierung, die von Droste erwartet und auch bedient wird, auch in dieser Hinsicht klappen die Reflexe. Der gezielte Tritt gegen das Schienbein ist erwünscht, besonders wenn er die Generation trifft, die das linke Politikverständnis geprägt hat. Wiglaf Droste hat die Möglichkeit, ihn an Orten auszufahren, an denen er auch bemerkt wird: "Gerade diesen Text habe ich mit voller Absicht in der TAZ veröffentlicht, wo es darum geht, daß die Gründung der Grünen eines der größten politischen und ästhetischen Verbrechen der Nachkriegsgeschichte ist. Und das ist ja nun mal die grüne Parteizeitung, die TAZ. Es gibt keinen besseren Ort es zu veröffentlichen. In der F.A.Z. wäre es verschenkt gewesen, weil da jeder CDU-wählende Zahnarzt sagt: Genau, Grüne schlecht!"
Wiglaf Droste kehrt mit Vehemenz vor der eigenen Haustür. Besonders in Mitleidenschaft gezogen werden dabei diejenigen unter den engagierten Zeitgenossen, die ihren Sauertopf auch noch bis zum Rand mit Kitsch gefüllt haben, denen die Flugblätter zu Flugis und die Transparente zu Transpas werden. Ihre öffentliche Präsenz ist zwar in letzter Zeit stark rückläufig, aber ausgestorben sind sie noch nicht. "Diese Geschichte mit den Inis und Transpas kommt ja absichtlich in einer Liebesgeschichte vor, wo man dann sagt: Tja Leute, so lange ihr mit eurem komischen Politmuff, Politsimulationsmuff und Selbstbeschäftigungskrempel unter dem Arm herumlauft, so lange sind euch auch die Geheimnisse des Schönen zurecht verschlossen. Das ging schon gegen einen Typus, der in einem Kollegen wie Oliver Tollmein kulminiert, der Politstreber, der dann auch damit gestraft ist, daß er von den schönen Dingen des Lebens nichts abkriegt und nichts versteht."
Eines hat man Wiglaf Droste noch nie vorwerfen können: daß er nicht Ross und Reiter nenne. Satiriker sind keine Diplomaten. Der Vorwurf, bei den heutigen ginge es ziemlich unfein zu und früher seien die Mittel doch filigraner gewesen, verkennt, daß auch die Harthörigkeit auf Seiten der Angegriffenen beständig zunimmt, bei den großen und bei den weniger großen Tieren. Davon abgesehen: Wer seinen Tucholsky an der richtigen Stelle aufschlägt, wird unschwer bemerken, daß er zuweilen saugrob, unsachlich und beleidigend werden konnte und gerade dann besonders komisch war. "Man sollte vielleicht auch mal was schreiben über die Florettlüge", so Droste. "Früher, Tucholsky, das Florett! Dieses unglaubliche Gekäse, es stimmt ja gar nicht. Es ist doch so, man geht doch nicht zu einer Schießerei und steckt sich eine Kuchengabel ein. Wenn man zu ‘ner Schießerei geht, steckt man sich ‘ne Knarre ein, ist doch klar. Und wenn man sich mit Manfred Kanther schlägt, nimmt man nicht das Florett. Dann nimmt man alles, was man kriegen kann, um eine Chance zu haben, gegen ihn anzutreten."
Manfred Kanther kommt übrigens im Buch nicht vor, wohl aber Kardinal Ratzinger. Beide miteinander vergleichen zu wollen, ist ebenso müßig wie der Vergleich zwischen Kurt Tucholsky und Wiglaf Droste. Ob dieses Buch hohe Kunst sei, wird seine potentiellen Leser nicht interessieren. Wenn es in die falschen Hände gerät, bei Satire ist das leider ziemlich ausgeschlossen, könnte es sogar ein paar Hirne vor dem Begräbnis an der Biegung des Flusses bewahren. Das Gedicht über Kardinal Ratzinger aber, das im Satirebereich des WDR-Fernsehens zu einer plötzlichen Tonstörung führte, kann im Buch nachgelesen werden. Und Wiglaf Drostes Version der Ereignisse, die diesem Zwischenfall vorausgingen, wollen wir Ihnen auch nicht vorenthalten: "Ich hatte mich bereits selbst dazu überredet, diesen Text nicht zu lesen. Dann kommt diese Redakteurin angesprungen, die an der Disukssion gar nicht beteiligt war und sagt diesen hysterischen Satz: ‘Ich habe eine Festanstellung, meine Kinder schreien nach Brot!’ Dann hatte ich auch keine Lust mehr zu diskutieren. Dann habe ich gesagt, jetzt mache ich was ich will."
Harmlose kleine Gedichte, denen eine gewisse Heinz Erhardt-Nähe nicht abzusprechen ist, finden sich auch in diesem Band, in dem die unterschiedlichsten Textsorten friedlich nebeneinanderstellen: Liebesgeschichte und Dramolett, Auftragsarbeiten für Zeitungen, Erlebnisse in der Bundesbahn und immer wieder Alltagsbeobachtungen. Droste ist ein fleißiger Sammler der vielen Zumutungen, die dem Großstadtbewohner das Leben vergällen können. Dagegen wehrt er sich mit allen Mitteln. Die Teilnehmer der Love-Parade z.B. werden nicht nur als Mitglieder der Bewegung "Jugend trainiert für Karneval" enttarnt, ihrem besinnungslosen Konformismus wird auch die Friedfertigkeit nur vorübergehend geglaubt, und schon entsichert der Verfasser seine imaginäre Maschinenpistole. Da ist er endlich, der menschenverachtende Satz, der die Bedürfnisse befriedigt. "Das schreib ich jetzt mal hin, und mal gucken, wie sich das anfühlt. Wenn man dann sagt: Schade, daß ich nicht in China bin, dann könnte ich die Leute alle erschießen lassen. Das ist natürlich ein völlig sinnloser Satz. Denn man kann nicht in China einfach Leute erschießen lassen. Nur ganz wenige Leute haben da die Macht, Todesurteile zu unterschreiben und dann vollstrecken zu lassen, was finster genug ist. Es spielt ja auch mit dem Klischee. Ah ja, in China, da kann man Leute umbringen lassen! Es ist Unsinn, dieser Satz. Er wird aber sofort ernst genommen: Ah, er will also Leute umbringen lassen! Ich könnte ja niemals Leute erschießen lassen und würde es auch nicht tun. Aber trotzdem klappt das mit den Reflexen. Man kann sie abrufen. Und das ist in gewisser Weise auch wieder komisch."
Bei den sehr gut besuchten Lesungen Drostes, die selten in Buchhandlungen stattfinden und ein überwiegend junges Publikum erreichen, sind es solche Sätze, die mit den lautesten Lachern belohnt werden ohne daß die Mordlust in den Augen der Zuhörer blitzte. Es ist die Lust an der provokativ zugespitzten Formulierung, die von Droste erwartet und auch bedient wird, auch in dieser Hinsicht klappen die Reflexe. Der gezielte Tritt gegen das Schienbein ist erwünscht, besonders wenn er die Generation trifft, die das linke Politikverständnis geprägt hat. Wiglaf Droste hat die Möglichkeit, ihn an Orten auszufahren, an denen er auch bemerkt wird: "Gerade diesen Text habe ich mit voller Absicht in der TAZ veröffentlicht, wo es darum geht, daß die Gründung der Grünen eines der größten politischen und ästhetischen Verbrechen der Nachkriegsgeschichte ist. Und das ist ja nun mal die grüne Parteizeitung, die TAZ. Es gibt keinen besseren Ort es zu veröffentlichen. In der F.A.Z. wäre es verschenkt gewesen, weil da jeder CDU-wählende Zahnarzt sagt: Genau, Grüne schlecht!"
Wiglaf Droste kehrt mit Vehemenz vor der eigenen Haustür. Besonders in Mitleidenschaft gezogen werden dabei diejenigen unter den engagierten Zeitgenossen, die ihren Sauertopf auch noch bis zum Rand mit Kitsch gefüllt haben, denen die Flugblätter zu Flugis und die Transparente zu Transpas werden. Ihre öffentliche Präsenz ist zwar in letzter Zeit stark rückläufig, aber ausgestorben sind sie noch nicht. "Diese Geschichte mit den Inis und Transpas kommt ja absichtlich in einer Liebesgeschichte vor, wo man dann sagt: Tja Leute, so lange ihr mit eurem komischen Politmuff, Politsimulationsmuff und Selbstbeschäftigungskrempel unter dem Arm herumlauft, so lange sind euch auch die Geheimnisse des Schönen zurecht verschlossen. Das ging schon gegen einen Typus, der in einem Kollegen wie Oliver Tollmein kulminiert, der Politstreber, der dann auch damit gestraft ist, daß er von den schönen Dingen des Lebens nichts abkriegt und nichts versteht."
Eines hat man Wiglaf Droste noch nie vorwerfen können: daß er nicht Ross und Reiter nenne. Satiriker sind keine Diplomaten. Der Vorwurf, bei den heutigen ginge es ziemlich unfein zu und früher seien die Mittel doch filigraner gewesen, verkennt, daß auch die Harthörigkeit auf Seiten der Angegriffenen beständig zunimmt, bei den großen und bei den weniger großen Tieren. Davon abgesehen: Wer seinen Tucholsky an der richtigen Stelle aufschlägt, wird unschwer bemerken, daß er zuweilen saugrob, unsachlich und beleidigend werden konnte und gerade dann besonders komisch war. "Man sollte vielleicht auch mal was schreiben über die Florettlüge", so Droste. "Früher, Tucholsky, das Florett! Dieses unglaubliche Gekäse, es stimmt ja gar nicht. Es ist doch so, man geht doch nicht zu einer Schießerei und steckt sich eine Kuchengabel ein. Wenn man zu ‘ner Schießerei geht, steckt man sich ‘ne Knarre ein, ist doch klar. Und wenn man sich mit Manfred Kanther schlägt, nimmt man nicht das Florett. Dann nimmt man alles, was man kriegen kann, um eine Chance zu haben, gegen ihn anzutreten."
Manfred Kanther kommt übrigens im Buch nicht vor, wohl aber Kardinal Ratzinger. Beide miteinander vergleichen zu wollen, ist ebenso müßig wie der Vergleich zwischen Kurt Tucholsky und Wiglaf Droste. Ob dieses Buch hohe Kunst sei, wird seine potentiellen Leser nicht interessieren. Wenn es in die falschen Hände gerät, bei Satire ist das leider ziemlich ausgeschlossen, könnte es sogar ein paar Hirne vor dem Begräbnis an der Biegung des Flusses bewahren. Das Gedicht über Kardinal Ratzinger aber, das im Satirebereich des WDR-Fernsehens zu einer plötzlichen Tonstörung führte, kann im Buch nachgelesen werden. Und Wiglaf Drostes Version der Ereignisse, die diesem Zwischenfall vorausgingen, wollen wir Ihnen auch nicht vorenthalten: "Ich hatte mich bereits selbst dazu überredet, diesen Text nicht zu lesen. Dann kommt diese Redakteurin angesprungen, die an der Disukssion gar nicht beteiligt war und sagt diesen hysterischen Satz: ‘Ich habe eine Festanstellung, meine Kinder schreien nach Brot!’ Dann hatte ich auch keine Lust mehr zu diskutieren. Dann habe ich gesagt, jetzt mache ich was ich will."