Probst: Javier Solana, der EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik hat als erster klar gefordert, die Gefangenen müssten nach den Genfer Konventionen behandelt werden. Würden Sie das auch so sehen?
Frowein: Das sehe ich grundsätzlich auch so. Man muss einen Unterschied machen zwischen den sogenannten Taliban-Kämpfern, die nach allem was wir wissen, zu den Streitkräften der Taliban-Regierung gehörten. Hier ist es völlig klar, dass die dritte Genfer Konvention für die Kriegsgefangenen anwendbar ist. Wenn die El-Kaida-Organisation von diesen Taliban-Streitkräften zu trennen ist, was für den Außenstehenden nicht ganz leicht erkennbar ist, dann wird hier nicht die dritte Konvention insgesamt anwendbar sondern nur die sogenannten gemeinsamen Artikel drei der vier Genfer Rot-Kreuz-Konventionen, die einen Mindeststandard, vor allem der menschlichen Behandlung, auch gerade von Gefangenen festlegen.
Probst: Die Taliban-Kämpfer wären also als reguläre Soldaten zu betrachten. Spielt es in dem Zusammenhang überhaupt eine Rolle, dass die USA ja Afghanistan keinen Krieg offiziell erklärt haben?
Frowein: Das spielt überhaupt keine Rolle. Die Genfer Konventionen, die nach den schwierigen Entwicklungen des Zweiten Weltkrieges 1949 formuliert worden sind, finden auf jeden internationalen Konflikt, bewaffneten Konflikt, ganz egal ob Krieg oder nicht, Anwendung.
Probst: Sie haben eben von einem Mindestmaß, einem Mindestanspruch von Rechten gesprochen. Was fiele darunter?
Frowein: Folterverbot, Behandlung unter Beachtung der menschlichen Würde, Unterbringung unter Beachtung der Menschenwürde; das ist in dem gemeinsamen Artikel drei ausdrücklich - und zwar sehr intensiv - aufgezählt.
Probst: Nun haben wir ja schon einige Bilder am Wochenende gesehen von einigen Gefangenen, die da gefesselt, verbunden, mit Ohrenschützern über den Ohren auf dem Boden kniend zu sehen waren. Wäre das unter dem Aspekt der Verletzung von Menschenrechten zu subsumieren?
Frowein: Meines Erachtens wirft das ganz erhebliche Fragen auf. Wir verwenden den allgemeinen Begriff Menschenrechte und das ist insofern ganz richtig, als hier auch anwendbar sind die Menschenrechtsabkommen. Die Vereinigten Staaten sind an dem internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte gebunden und der enthält auch ein Folterverbot und eine ausdrückliche Regelung, dass Gefangene ihrer Würde entsprechend behandelt werden.
Probst: Nun ist ja inzwischen eine Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz auf Kuba, auf Guantánamo, gewesen. Man hat über die Bewertung nichts gehört. Ist das Usus, dass das dann hinter geschlossenen Türen weitergegeben wird?
Frowein: Das ist die normale Praxis des IKRK, die aus guten Gründen besteht. Aber ich glaube zu wissen, dass das IKRK, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, ebenfalls von der Anwendbarkeit der dritten Genfer Konvention für die Taliban-Kämpfer ausgeht.
Probst: Die Gefangenen befinden sich ja gewissermaßen auf exterritorialem Gebiet. Es ist ein amerikanischer Stützpunkt, er liegt in Kuba, ist nur gepachtete. Die Hoheitsrechte liegen eigentlich noch bei Kuba. Gibt das die Möglichkeit her, die Gefangenen einfach vor ein Militärgericht zu stellen und dort abzuurteilen ohne jede Berufungsmöglichkeit?
Frowein: Keinesfalls. Hier muss man wirklich vor einem großen Irrtum warnen: dieses Gebiet ist in keiner Weise exterritorial. Es unterliegt in vollem Umfang der amerikanischen Jurisdiktion, die aufgrund dieses Pachtvertrages, den sie richtig zitieren, dort ausgeübt werden kann. Aber das bedeutet, dass die Vereinigten Staaten bei der Ausübung ihrer Hoheitsgewalt in vollem Umfang an ihre völkerrechtlichen Bindungen gebunden sind, die auf amerikanischem Territorium oder wo sonst immer für amerikanische Hoheitsträger existieren.
Probst: Sind denn in diesem Fall, wir müssen ja schon einmal differenzieren zwischen den regulären Taliban-Soldaten und diesen mutmaßlichen Terroristen, sind da einfach Sondergerichte, Militärkriegsgerichte angesagt oder greift nicht zuerst die zivile Strafjustiz?
Frowein: So weit es sich um Kriegsgefangene im Sinne der dritten Konvention handelt - und ich gehe mal davon aus, dass das wie gesagt bei den Taliban-Kämpfern der Fall ist - können sie entweder vor normale Gerichte oder vor Militärgerichte derart, wie sie für amerikanische Streitkräfte existieren, sogenannte Court's Marshalls, gestellt werden. Das ist ausdrücklich sehr detailliert in der Konvention vorgesehen. So weit diese Konvention nicht insgesamt Anwendung findet, greifen vor allen Dingen die Bestimmungen über die Strafgerichtsbarkeit in dem internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte. Und diese sogenannten Military Comissions, die durch eine Verordnung des Präsidenten eingerichtet worden sind, dürften, so weit man das im Moment übersehen kann, die Garantien nicht enthalten, die danach gefordert werden.
Probst: Also das heißt in dem einen Falle wäre für die Betroffenen die Berufungsmöglichkeit ausgeschlossen.
Frowein: Richtig.
Probst: Halten Sie es denn unter den rechtspolitischen Aspekten für angebracht, dass eben auch die Politik sich so bedeckt und zurückhält oder sollte man da bei den Amerikanern vorstellig werden?
Frowein: Das ist eine Frage, die ich nicht als Jurist beantworten kann. Ich glaube aber zu wissen, dass sehr wohl über diese Dinge intensiv gesprochen wird und dass der britische Außenminister sich relativ deutlich geäußert hat, ist ja durch die ganze Presse gegangen.
Probst: Was wiederum aber auch nur damit zusammenhing nachdem feststand, dass öffentlicher Druck bestand und eben auch Angehörige mit britischem Pass zu den Betroffenen auf Kuba zählen.
Frowein: Richtig.
Probst: Das war Professor Jochen Frowein, Direktor des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht in Heidelberg. Ich danke Ihnen.