"Tell me, have you ever fallen in love on the telephone?- On the telephone? No. - Je näher man dem kommt, desto größer ist die Armut Now I give you a knew password, your new password is Acha! The enemy of my enemy is my friend. "
Stimmen aus 15 000 Kilometer Entfernung, auf Dienstleistung und Informationsgewinn trainierte Stimmen. Aber irgendwas hier stimmt nicht so ganz.
"Ist es in Ordnung, wenn ich Ihnen ...super – das ist super, ja, das kannst Du auch mit mir machen, ok?"
Mein erster ganz persönlicher, indischer Stadtführer.
"Schwer zu ändern, aber es geht ja."
Manzik in Kalkutta also hat mich über das Handy, über diesen Knopf im Ohr ganz in seiner Hand. Ich hasse übrigens Telefondienstleistungen, dieses blinde Frage- und Antwortspiel, diese Pseudo-Intimität, das Ausgeliefertsein.
"Natascha, dann sag ich Dir Natascha, ok. - bevor es losgeht, muss ich Dir ein paar Regeln sagen, ok? - Immer wenn Du zu einem Ziel kommst, dann brauch ich Dein Passwort und das ist "Ich kaufe" im ersten Akt, ok? Ich kaufe."
"Ich kaufe". Manzik führt mich zum nächsten Bürohaus und die Türen öffnen sich wie ein Theatervorhang. Dahinter lächelt der Pförtner stumm in seinem Glaskasten. Die sonnige Samstagnachmittag-Ruhe ist plötzlich unheimlich. Ich bin allein mit Manziks Telefonstimme. Alles andere ist Bühne, Installation, frei interpretierbar.
"Natascha, kannst Du vielleicht die Wurzeln unter der Erde der Bäume vorstellen? - Weißt Du was, diese Bäume sind unterirdisch verbunden und genau so wir sind auch verbunden, im Untergrund, unter dem Meer, über Satellit, über Antennen..."
Manzik führt mich an Orte, an denen ich nie gewesen bin in Berlin. Kreuzberg West: Tote Verwaltungsklötzer, dann sozialer Wohnungsbau, Hinterhöfe mit überwucherten alten Klärgruben, Trampelpfade, kaputte Zäune. Ich sehe was, was du nicht siehst. Denn mein Mobilfunk-Stadtführer war noch nie in Berlin. Dennoch weist er mir den Weg von Hausecke zu Hausecke, Straße zu Straße:
"Bitte überqueren, ja, aufpassen Auto ja: Beep, beep"
Kaum habe ich mich auf dieses Spiel eingelassen, in dem ich von einem unsichtbaren Regisseur durch den Stadtraum gelotst werde, kaum sind wir Komplizen in dieser Inszenierung geworden, eine neue Irritation:
"Bis jetzt hast Du alles sehr gut gemacht, Natascha und da kann ich dir jetzt auch meinen richtigen Namen sagen, ja. - Ich kann dir jetzt vertrauen und kann dir meinen richtigen Namen sagen, ja, ich heiße Islam."
Ab jetzt weiß ich nicht mehr, was hier Fakten und was Flunkereien sind. Das neue Password lautet: "Ich bin dabei". Aber ich bin es nur halbherzig. Islam führt mich zu einem rotten Mülleimer, unter dem ein Foto klebt. Gandhi, daneben ein mir Unbekannter, Islam erklärt: Subhas Chandra Bose, genannt Netaji, der von Berlin aus mit Hilfe Hitlers eine Indische Exilregierung aufzubauen versuchte. Eine Baumgruppe hinter dem Tempodrom.
"Siehst du die Bäume haben traurige Augen. Wie Alligatorenaugen... Also weißt Du Natascha von hier aus fuhren die Züge früher, diese Augen warten immer noch auf einen Zug... dann kannst Du die Reste von Gleis 1 sehen. - Auf der anderen Seite liegt Gleis 8, ein Zwischengleis nach Auschwitz. Du stehst an Gleis 4, weißt Du hier kam Netaji 1941 in Berlin an, und er war über Nacht aus Kalkutta geflohen, hier hat er seine Legion Freies Indien gegründet, und meine Opa, also ... war einer seiner 5000 Soldaten in Deutschland."
Irgendwann zwischen Anhalter Bahnhof und Potsdamer Platz wird Islam mich fragen, ob ich manchmal lüge. Ich bin natürlich ehrlich und sage ja. Islam dagegen meint, er lüge nie. Und ist überrascht, ehrlich überrascht, scheint mir, dass ich ihm nicht glaube. Und weiter geht es über Treppen...
" Sag mir, siehst du vielleicht die Reste einer Schallplatte oder ein CD zwischen den Gleisen? Da sind Netajis Reden drauf, weißt Du. Mit denen hat er Radio Freies Indien bis nach Asien gesendet, von Berlin...."
zur neuen, in der Nachmittagssonne stolz glänzenden Berliner Mitte:
"Ich sing ein kleines Lied jetzt für dich, ein kleines Liebeslied ja..."
Dieses Lied hab ich noch im Ohr, als wir uns in der Arkaden-Ladengalerie verabschieden: Wir winken uns zu. Er, ein lässiger junger Mann vor seinem Computer auf einem Monitor im Schaufenster eines Mobilfunkladens, ich schicke ihm per Handy ein Foto von mir. Sind wir uns näher gekommen, haben wir die 15000 Kilometer und die Call-Center-Anonymität wirklich überwunden? Das Spiel zwischen Fakt und Fiktion, Vertrautheit und Fremde jedenfalls war überraschend, unterhaltend und irritierend. Manche Ecken in Berlin sehe ich jetzt mit den Augen Islams, auch wenn er diese Ecken nie gesehen hat.
"Natascha Freundel, es war sehr schön, mit dir zu telefonieren, wir werden bestimmt voneinander hören.Ciao mach's gut, ja, Ciao.
Ihre Tour ist nun zu Ende, hier spricht ihr Servicesystem. Sie stehen vor dem Schaufenster und sehen nach Kalkutta. Die Telefonisten... Um zum Ausgangspunkt zum Hebbel am Ufer zurückzukehren, gehen Sie bitte nach links die Ladengalerie entlang zu den zwei Drehtüren aus Glas.
In der Nähe des Infinity Towers wird gerade ein neues Hochhaus fertigestellt... sie sind angewiesen, nicht zu verraten, von wo aus sie anrufen."
Stimmen aus 15 000 Kilometer Entfernung, auf Dienstleistung und Informationsgewinn trainierte Stimmen. Aber irgendwas hier stimmt nicht so ganz.
"Ist es in Ordnung, wenn ich Ihnen ...super – das ist super, ja, das kannst Du auch mit mir machen, ok?"
Mein erster ganz persönlicher, indischer Stadtführer.
"Schwer zu ändern, aber es geht ja."
Manzik in Kalkutta also hat mich über das Handy, über diesen Knopf im Ohr ganz in seiner Hand. Ich hasse übrigens Telefondienstleistungen, dieses blinde Frage- und Antwortspiel, diese Pseudo-Intimität, das Ausgeliefertsein.
"Natascha, dann sag ich Dir Natascha, ok. - bevor es losgeht, muss ich Dir ein paar Regeln sagen, ok? - Immer wenn Du zu einem Ziel kommst, dann brauch ich Dein Passwort und das ist "Ich kaufe" im ersten Akt, ok? Ich kaufe."
"Ich kaufe". Manzik führt mich zum nächsten Bürohaus und die Türen öffnen sich wie ein Theatervorhang. Dahinter lächelt der Pförtner stumm in seinem Glaskasten. Die sonnige Samstagnachmittag-Ruhe ist plötzlich unheimlich. Ich bin allein mit Manziks Telefonstimme. Alles andere ist Bühne, Installation, frei interpretierbar.
"Natascha, kannst Du vielleicht die Wurzeln unter der Erde der Bäume vorstellen? - Weißt Du was, diese Bäume sind unterirdisch verbunden und genau so wir sind auch verbunden, im Untergrund, unter dem Meer, über Satellit, über Antennen..."
Manzik führt mich an Orte, an denen ich nie gewesen bin in Berlin. Kreuzberg West: Tote Verwaltungsklötzer, dann sozialer Wohnungsbau, Hinterhöfe mit überwucherten alten Klärgruben, Trampelpfade, kaputte Zäune. Ich sehe was, was du nicht siehst. Denn mein Mobilfunk-Stadtführer war noch nie in Berlin. Dennoch weist er mir den Weg von Hausecke zu Hausecke, Straße zu Straße:
"Bitte überqueren, ja, aufpassen Auto ja: Beep, beep"
Kaum habe ich mich auf dieses Spiel eingelassen, in dem ich von einem unsichtbaren Regisseur durch den Stadtraum gelotst werde, kaum sind wir Komplizen in dieser Inszenierung geworden, eine neue Irritation:
"Bis jetzt hast Du alles sehr gut gemacht, Natascha und da kann ich dir jetzt auch meinen richtigen Namen sagen, ja. - Ich kann dir jetzt vertrauen und kann dir meinen richtigen Namen sagen, ja, ich heiße Islam."
Ab jetzt weiß ich nicht mehr, was hier Fakten und was Flunkereien sind. Das neue Password lautet: "Ich bin dabei". Aber ich bin es nur halbherzig. Islam führt mich zu einem rotten Mülleimer, unter dem ein Foto klebt. Gandhi, daneben ein mir Unbekannter, Islam erklärt: Subhas Chandra Bose, genannt Netaji, der von Berlin aus mit Hilfe Hitlers eine Indische Exilregierung aufzubauen versuchte. Eine Baumgruppe hinter dem Tempodrom.
"Siehst du die Bäume haben traurige Augen. Wie Alligatorenaugen... Also weißt Du Natascha von hier aus fuhren die Züge früher, diese Augen warten immer noch auf einen Zug... dann kannst Du die Reste von Gleis 1 sehen. - Auf der anderen Seite liegt Gleis 8, ein Zwischengleis nach Auschwitz. Du stehst an Gleis 4, weißt Du hier kam Netaji 1941 in Berlin an, und er war über Nacht aus Kalkutta geflohen, hier hat er seine Legion Freies Indien gegründet, und meine Opa, also ... war einer seiner 5000 Soldaten in Deutschland."
Irgendwann zwischen Anhalter Bahnhof und Potsdamer Platz wird Islam mich fragen, ob ich manchmal lüge. Ich bin natürlich ehrlich und sage ja. Islam dagegen meint, er lüge nie. Und ist überrascht, ehrlich überrascht, scheint mir, dass ich ihm nicht glaube. Und weiter geht es über Treppen...
" Sag mir, siehst du vielleicht die Reste einer Schallplatte oder ein CD zwischen den Gleisen? Da sind Netajis Reden drauf, weißt Du. Mit denen hat er Radio Freies Indien bis nach Asien gesendet, von Berlin...."
zur neuen, in der Nachmittagssonne stolz glänzenden Berliner Mitte:
"Ich sing ein kleines Lied jetzt für dich, ein kleines Liebeslied ja..."
Dieses Lied hab ich noch im Ohr, als wir uns in der Arkaden-Ladengalerie verabschieden: Wir winken uns zu. Er, ein lässiger junger Mann vor seinem Computer auf einem Monitor im Schaufenster eines Mobilfunkladens, ich schicke ihm per Handy ein Foto von mir. Sind wir uns näher gekommen, haben wir die 15000 Kilometer und die Call-Center-Anonymität wirklich überwunden? Das Spiel zwischen Fakt und Fiktion, Vertrautheit und Fremde jedenfalls war überraschend, unterhaltend und irritierend. Manche Ecken in Berlin sehe ich jetzt mit den Augen Islams, auch wenn er diese Ecken nie gesehen hat.
"Natascha Freundel, es war sehr schön, mit dir zu telefonieren, wir werden bestimmt voneinander hören.Ciao mach's gut, ja, Ciao.
Ihre Tour ist nun zu Ende, hier spricht ihr Servicesystem. Sie stehen vor dem Schaufenster und sehen nach Kalkutta. Die Telefonisten... Um zum Ausgangspunkt zum Hebbel am Ufer zurückzukehren, gehen Sie bitte nach links die Ladengalerie entlang zu den zwei Drehtüren aus Glas.
In der Nähe des Infinity Towers wird gerade ein neues Hochhaus fertigestellt... sie sind angewiesen, nicht zu verraten, von wo aus sie anrufen."