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Bei Festnahme Gentest

Nirgendwo auf der Welt werden so viele DNS-Profile von Menschen gespeichert wie in Großbritannien. Selbst bei geringfügigen Vergehen wie Betteln bittet der Staat zur Gen-Entnahme.

Von Ruth Rach |
    Ein Mann steht in einer Telefonzelle und erzählt seiner Mutter ein Familiengeheimnis:

    "Weißt du eigentlich, dass du nicht einen, sondern gleich drei Halbbrüder hast?"

    Die Mutter reagiert gelassen. Nun ja, schließlich handelt es sich hier um eine BBC-Serie, in der Prominente ihre Ahnen ausfindig machen. Der britische Alltag ist weniger behutsam choreographiert.

    "Ich hab geweint, und gleichzeitig nicht geweint. Ich war in einer Art Schockstarre"

    , erzählt ein junger Mann, der soeben erfahren hat, dass er nicht der biologische Vater seines Babys ist. Den Vaterschaftstest hat er über eine Internetfirma durchgeführt. Ohne Wissen der Mutter. Und ohne therapeutische Begleitung. Eigentlich gilt in Großbritannien ein freiwilliger Kodex, der die Zustimmung beider Elternteile erfordert. Die meisten Kliniken halten sich daran, nicht aber die wachsende Zahl von Internetfirmen: Bei ihnen ist ein Test schon für umgerechnet 110 Euro zu haben.

    Jedes Jahr werden zwischen 200.000 und 300.000 Vaterschaftstests in Auftrag gegeben. Laut jüngsten Meldungen auch zunehmend von schwangeren Frauen, die sich danach, je nachdem wer der Vater ist, für oder gegen eine Abtreibung entscheiden.
    Ethik, Moral, Gendiagnostik, darüber wird auch in Großbritannien immer wieder diskutiert.

    "Ich glaube, die Wissenschaft kann gute und fürchterliche Folgen haben"

    , so der konservative Abgeordnete Edward Lee während einer erhitzten Unterhausdebatte.

    "Wie weit dürfen wir gehen, wo sind die Grenzen?"

    , fragt auch der Labour Abgeordnete Gerald Kaufman.

    Was britische Versicherungen und Arbeitgeber angeht, so ist der Gebrauch von DNS-Informationen nicht gesetzlich geregelt: vielmehr gelten bis zum Jahr 2014 freiwillige Vereinbarungen. Versicherungen dürfen demzufolge keine Gentests verlangen, ausgenommen für die Huntingdon-Krankheit, und dann auch nur bei einer Versicherungssumme von über einer halben Million Pfund. Und Arbeitgeber sollten ebenfalls auf gendiagnostische Informationen verzichten. Aber Organisationen wie Genewatch Uk sagen, die britische Regierung müsse eine härtere Position beziehen.

    "Diese Tests sollten gesetzlich geregelt, und nur von einem Arzt durchgeführt werden"

    , sagt Helen Wallace von Genewatch UK.

    Sie befürchtet, dass Arbeitgeber ihre Bewerber früher oder später nach Gen-Tests und Ergebnissen befragen, und dass auch Versicherungen DNS-/Erbgut- Informationen missbrauchen könnten.

    Nirgendwo auf der Welt werden so viele Datenprofile gespeichert wie in Großbritannien: jeder, der verhaftet wird, muss DNS Proben und Fingerabdrücke abgeben – auch bei relativ geringfügigen Vergehen wie Betteln. Die Proben bleiben gespeichert, selbst wenn ihre Besitzer von allen Vorwürfen freigesprochen werden. Diese Praxis wurde erst vor kurzem vom Erfinder der DNS-Technologie Sir Alec Jeffreys scharf verurteilt:

    "Bei ihrer Gründung im Jahr 1995 wurden nur die DNS-Profile von Kriminellen in die Datenbank aufgenommen, um rückfällige Verbrecher schneller zu identifizieren. Aber dann hat die Labour-Regierung die Bestimmungen geändert, so dass inzwischen immer mehr DNS-Profile unschuldiger Personen festgehalten werden. Dem Vernehmen nach handelt es sich um mindestens 800.000 völlig unschuldige Menschen."

    Bereits im Dezember 2008 forderte der Europäische Gerichtshof in Strassburg, London müsse rund 1,6 der insgesamt viereinhalb Millionen DNS-Profile löschen. Ein fester Zeitrahmen wurde jedoch nicht abgesteckt. Und bislang hat das britische Innenministerium keine konkreten Schritte eingeleitet, um ungerechtfertigt gespeicherte Daten zu vernichten.