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Bei Glockenspielern und Mondlöschern

Mechelen ist bis heute berühmt für seine feine Spitze, für Goldleder, vor allem aber für sein Glockenspiel. Hier befindet sich die Königliche Glockenspielschule, in der Studenten aus der ganzen Welt sich in dieser Art Musik unterrichten lassen. Bei einem Rundgang können Touristen außerdem das Mechelener Bier probieren und erfahren, warum die Mecheler Mecheler heißen - als Mondlöscher.

Von Nicole de Bock |
    "Wir haben 1687 im Winter, ich glaube im Februar, haben wir den Mond gelöscht. Wir sind ganz stolz darauf."

    Marcel Cocken, rasechter Mecheler, erzählt wo die Mecheler ihren Namen "Mondlöscher" her haben. Natürlich hängt die Geschichte zusammen mit dem riesengroßen Sankt-Romboutsturm, der hoch über die Stadt ragt.

    "Was war passiert? Es war abends spät, Februar, es war kalt und neblig und viel Wolken. Da kommen zwei Männer aus dem Lokal am Marktplatz. Sie hatten ein bisschen Bier getrunken, vielleicht ein bisschen zu viel. Und die kommen nach draußen, sehen den Turm und der ist ganz neblig und rot, eine rote Glut, ganz rot gefärbt. Und die fangen an zu rufen: Hilfe, Hilfe, der Turm steht in Feuer!"

    Von überall strömen Helfer mit Eimern, Wasser und Leitern hinzu, um den Brand in dem schönen Mecheler Turm zu löschen. Dann zieht auf einmal der Nebel weg und kommt der Mond wieder richtig zum Vorschein. Problem gelöst, Namen gefunden: seitdem heißen die Mecheler "Mondlöscher"!

    Hoch oben in dem Sankt-Romboutsturm, der Teil, der gotischen Kathedralen ausmacht, ist ein Glockenspiel installiert, das herrliche Klänge hervorbringt...

    "Ja ich höre regelmäßig zu, von zu Hause. Im Sommer, wenn die Fenster geöffnet sind, hören wir es am Besten. Ich finde das Klasse!"

    "Ich komme nicht aus Mechelen, aber wenn ich in Mechelen bin, genieße ich es."

    Glockenspiel wird in Mechelen groß geschrieben: Ist hier doch die Königliche Glockenspielschule untergebracht, in der Studenten aus der ganzen Welt sich in dieser Art Musik unterrichten lassen. Jo Haazen, Direktor der Mecheler Glockenspielschule:

    "Es ist eine originale Erfindung von hier, das heißt eben original wie die Balaleika in Russland oder die Kastagnetten in Spanien. Wir haben in Flandern das Flämische Glockenspiel. Es ist ein großes und sehr sauberes Instrument. Es ist natürlich eine große Kunst, damit auch sauber zu spielen, denn die Glocken klingeln gewöhnlich sehr chaotisch. Man kann die Töne nicht abdämpfen und darum arbeiten wir mit Akzenten, halten einige andere Noten zurück. Es ist eine ganz spezielle Technik, man soll sehr gut zuhören, das ist sehr wichtig."

    Die Häuser auf dem Marktplatz um die Sankt-Romboutskathedrale herum stammen überwiegend aus dem 18. Jahrhundert. Einige wenige Monumente aber sind aus dem 15. und 16. Jahrhundert, aus der Zeit der burgundischen Herrschaft, in der Mechelen eine große Blüte erlebte. Die Stadtführerin Marie-Louise Le Jeune über die Mecheler Geschichte:

    "Nach dem Tod von Maria von Burgund wird Philips der Schöne hier am Hof seiner Großmutter Margaretha von York seine Bildung bekommen. Und weil Philips hier ist, kommt auch der Adel nach Mechelen, kommt auch Reichtum und Industrie hierher. Auch Karl der V. hat hier seine Bildung bekommen, am Hof seiner Tante Margaretha."

    Von dem offiziellen Palast von Margareta von York ist nur noch ein Saal bewahrt geblieben, in dem heute das Stadttheater untergebracht ist. Der zweite Mecheler Palast aber, in dem die Tante Kaiser Karls, Margaretha von Österreich, ihre private Gemächer besaß, sieht noch aus wie damals.

    Es ist ein großer Gebäudekomplex, teils aus rotem Backstein, teils in Sandstein. Dieser Palast mit attraktiv begrüntem Innenhof, ist seit dem 17. Jahrhundert Sitz des Hohen Gerichtshofes, der damals noch der "Große Rat" hieß.

    "Der Große Rat war das Hauptgericht der Niederlande. Hier hat man sehr viele Mitglieder des Großen Rates, die hier wohnten. Das ist noch spürbar in einer der historischen Kirchen Mechelens, in der Johannes Kirche. Hier hängt über dem Altar ein echter Rubens, eine Schenkung der Mitglieder des Großen Rates. Also: Sie haben alle Gemälde und Kunstwerke hier an diese Kirche gegeben. Dort gibt es zum Beispiel nicht nur der Rubens, die Anbetung der Drei Könige, von Rubens selbst gemalt, sondern auch viele andere Gemälde von anderen bekannten Malern aus dem 17. und 18. Jahrhundert, Flämische Meister."

    Das prominenteste Mitglied des Großen Rates war Hieronymus von Busleyden.

    "Wir sind hier im Palais von Hieronymus von Busleyden. Er war Mitglied des Großen Rates und auch Lehrer von Kaiser Karl und wohnte hier in Mechelen, weil er in der Nähe von seinem Schüler sein wollte."

    Im Turm des gotischen Palastes ist auch ein Glockenspiel installiert, an dem die Studenten der Mecheler Glockenspielschule sich in Musikübungen austoben. Der Palast selbst dient als Museum, in dem vor allem die hochwertige Produkte der Zünfte gezeigt werden, für die Mechelen einst weltberühmt war, unter anderem Spitze und Goldleder.

    "Goldleder ist Kalbsleder, das man mit Silber bedeckt und dann wird darüber Firnis gesetzt und das Silber wird dann mit dem Firnis aussehen wie Gold. Dann wird man darein mit einer Presse die Motive setzen. Goldleder wird für die Ankleidung von Zimmern benutzt, auch für Altarvorsätze, für Bücher und für Dekoration."
    Im Museum kann man ganze Wandvorhänge aus Goldleder bewundern, im Stil Ludwig des 14. oder 15. - es gibt prächtige Druckmuster mit Papageien oder Hornbläser. Heutzutage in den geheizten Wohnungen ist solch aufwendiges Wanddekor nicht mehr vonnöten. Das Handwerk ist ausgestorben. Auch die feine geklöppelte Mecheler Spitze wird nicht mehr hergestellt, höchstens noch als Hobby.

    Im Museum bestechen hauchdünne Spitzeteile aus Seide und Baumwolle, die in erster Linie für die Gewandte der Reichen gedacht waren. So hat Marie- Antoinette, die Königin von Frankreich, in Mecheler Spitze geheiratet!

    Im Palast von Hieronymus von Busleyden ist auch eine historische Puppe mit Filzpantoffeln, roter Samthose und einem geschnitztem Holzkopf zu sehen. Der Mechelen-Kenner und Historiker, Marcel Cocken:

    "Opsinjoorke ist eine Puppe, die ist etwa einen Meter zehn groß ist. Und die Puppe wird während Umzügen oder selbst Prozessionen hochgeworfen und in einem Netz aufgefangen. Es ist eine Scherzfigur. Durch die Puppe - Opsinjoorke ist ein Mann - konnten die Mecheler Rache nehmen an einem Mann, einem untreuen Gemahl oder einem Ehemann, der seine Frau Prügel gab und so Dinge."

    Weil die Puppe je mal neben dem Tuch gelandet ist und auf ein Antwerpener Bürger, ein "Sinjoor", niedergekommen ist, heißt sie jetzt "op-Sinjoorke". Auch heute noch wird eine Kopie vom Original-Opsinjoorke während der jährlichen Hanswijk Prozession hochgeworfen:

    "Die Prozession hat zwei Teile eigentlich: An erster Stelle die Maria Verehrung - und da ist auch ein Teil Geschichte dabei, wo man ein Prahlwagen zeigt, wo der Große Rat zu sehen ist oder Erasmus der in Mechelen den jungen Karl V. besucht. Wir sollen nicht vergessen, dass Mechelen die damalige Hauptstadt der Niederlande war!"

    Nicht nur die Traditionen und die zahllosen Monumente zeugen von Mechelens gloriereicher Vergangenheit.

    In eine typisch Mecheler Kneipe "Het ankertje" bestellt Marcel Kocken ein Bier, das in Mechelen gebraut wird.

    "Een blussertje das gibt es nur in Mechelen. Blussen, blusser - das ist eine Erinnerung an die Mondlöscher. Blussertje ist ein Feuerwehrmann, eigentlich. Weil wir den Mond gelöscht haben, haben wir auch so ein Bier."

    Andere typische Biere sind nach Kaiser Karl "Goldenen Carolus" genannt oder heißen "Magriet" nach Margaretha von Österreich. Es sind starke Biere mit bis zu acht Prozent Alkohol. Der Wirt Jack Depree:

    ""Dann haben wir die Cuvee von dem Kaiser. Das wird einmal im Jahr gemacht, am 24. Februar, das ist der Geburtstag von Kaiser Karl. Da sind zwei verschiedene drin: ein helles und ein dunkles."

    Der Cuvee vom Kaiser hat sogar elf Prozent Alkohol und wird auch eher bei besonderen Anlässe genossen.

    Das Mondlöscher-Bier erinnert im Geschmack an das deutsche Weißbier. Schon bald gerät Marcel Cocken so richtig in Erzählfahrt. Er erzählt über die Zeit, in der er für einen belgischen Radiosender regelmäßig den "Bericht aus Mechelen" präsentierte. Jede Sendung beendete er mit einem Gruß in Mecheler Dialekt:

    "Tot de nuste kie senne! Falls Sie es nicht verstehen 'Tot de nuste kie': Bis zum nächsten mal!"