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"Bei plus zwei Grad muss Schluss sein"

In der internationalen Klimaschutzdiskussion kursiert der Begriff der "Klimagerechtigkeit". So hat Angela Merkel vorgeschlagen, langfristig müsse jeder Weltbürger das Recht auf die gleiche Menge CO2-Ausstoß haben. Das setzt aber die drastische Reduzierung der Treibhausgase in den Industriestaaten voraus. Ob die EU dies mit ihren beschlossenen Maßnahmen erreichen kann, bezweifeln einige. Einer davon ist Sivan Kartha, Direktor des Stockholm Environment Institut (SEI).

Von Dieter Nürnberger | 29.08.2008
    Die Grundidee ist, dass sich die EU und auch die anderen Länder des reichen Nordens mehr für den Klimaschutz in den Entwicklungsländern engagieren müssten. Einmal, um das allseits anerkannte Ziel auch zu erreichen, die Erwärmung der Atmosphäre in den kommenden Jahrzehnten auf lediglich zwei Grad Celsius zu begrenzen. Aber ebenso aus der politischen Einsicht heraus, dass die ärmeren Länder des Südens, aufgrund ihrer sozialen Situation, nur einen begrenzten Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten können.

    Man müsste also, so der Klimaexperte Sivan Kartha, zuallererst die jeweiligen Einkommen in den Ländern vergleichen - und wie in der Steuerpolitik auch, dann jene vermehrt zur Kasse bitten, die einen gewissen Wohlstand schon erreicht haben.

    "Das Konzept orientiert sich durchaus an bekannten Steuermodellen, beispielsweise wie in den USA. Hier gibt es eine Art Grundsteuerfreibetrag. Leute, die unterhalb einer gewissen Einkommensgrenze liegen, zahlen keine Steuern - nur, wenn man drüber liegt. Wir legen also dieses Konzept zugrunde und übertragen es weltweit. Entscheidend ist also, was ein Land im Durchschnitt seiner Bewohner verdient. Bis zu einem bestimmten Punkt können die Regierungen oder die Menschen in diesen Ländern bestimmen, wo ihre Prioritäten liegen. Schließlich müssen sie zuerst Grundbedürfnisse befriedigen - eine gute Wasserversorgung für alle beispielsweise. Und nur wenn das Einkommen darüber liegt, würde es dann sozusagen steuerpflichtig."

    Das hieße dann, dass reichere Länder eben mehr für den weltweiten Klimaschutz ausgeben müssten. Denn Berechnungen des Stockholm Environment Institute - Sivan Kartha steht diesem vor - zeigen, dass die Entwicklungsländer sonst viel zu hohe Kosten für den Klimaschutz aufbringen müssten, Ausgaben, die sie in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung massiv einschränken würden.

    Dies sei somit auch eine Gerechtigkeitsfrage, denn bislang war es so, dass die großen Industrieländer auch den Hauptteil der bisherigen Schadstoffemissionen verursacht haben. Diesen Grundgedanken will Sivan Kartha also künftig mehr in den Klimaverhandlungen weltweit verankert sehen. Und es gäbe auch schon viele Einzelprojekte, bei denen dieser Gedanke eine Rolle spiele.

    "Es gibt Beispiele in der Baupolitik, in der Architektur. Es geht hierbei um Gebäude, die weniger Energie verbrauchen, weniger Strom und weniger Heizenergie. Es gibt auch viele Beispiele im Transportbereich. Und natürlich gibt es viele Projekte in der Energieversorgung. Investitionen vor Ort in den armen Ländern, etwa in die Wind- und Solarenergie. Das ging richtig nach oben in den vergangenen Jahren. Und solche Technologien werden auch immer kosteneffektiver."

    Es geht also um Technologietransfer, auch um Wissensaustausch und um die Finanzierung solcher Projekte. Für die Heinrich-Böll-Stiftung, die den renommierten Klimaexperten eingeladen hat, ist dies vor allem ein fairer Ansatz im Umgang mit den Entwicklungsländern.

    40 Prozent weniger Emissionen will Deutschland ja bis 2020 - im Vergleich zu 1990 - einsparen. Diese verstärkten Bemühungen in den armen Ländern, so Jörg Haas von der Böllstiftung, würden diese Quote somit indirekt erhöhen.

    "Das läuft ungefähr darauf hinaus, dass Deutschland eine Klimaschutzverpflichtung hat, die etwa einem Äquivalent von minus 75 Prozent gegenüber 1990 entspricht. Das erscheint sehr viel. Aber es sind letztendlich auch schon Schritte in diese Richtung unternommen worden. Deutschland gibt beispielsweise 120 Millionen Euro aus Auktionserlösen, man gibt auch Geld in einen internationalen Waldschutz-Fonds, das hat die Bundeskanzlerin ja schon angekündigt."

    Die Kosten für die reichen Länder blieben aber dennoch im Rahmen, so die Einschätzung von Sivan Kartha. Maximal zwei Prozent des Bruttosozialproduktes eines reichen Landes müssten für diese Erweiterung der nationalen Klimapolitik-Ansätze aufgewendet werden. Dies sei deutlicher weniger Geld, als man bräuchte, um später mit den negativen Auswirkungen des Klimawandels zurechtzukommen.