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Bei Unfall Anruf

Technik. - Von all den Dingen, die Lastwagen befördern, ist etwa jede zwanzigste Tonne gefährliche Fracht. Ob ein LKW Gefahrgut transportiert, erkennt man an einer orangefarbenen Plakette. Zukünftig soll es einen automatischen Notruf bei Gefahrgutunfällen geben. Auf der Messe "transport + logistik" in München haben Experten in dieser Woche die Details vorgestellt.

Von Hellmuth Nordwig | 12.05.2011
    Autobahn A 19 bei Rostock, 8. April 2011: Wegen eines Sandsturms sind Dutzende Fahrzeuge in einen Massenunfall verwickelt, darunter auch Gefahrguttransporter. Doch was sie genau geladen haben: Die Einsatzkräfte wissen es nicht. Ein automatischer Notruf hätte sie hier unterstützen können, sagt Wolfgang Inninger vom Fraunhofer-Institut für Logistik.

    "Das hätte in der Situation auf jeden Fall geändert, dass die Rettungskräfte ganz kurzfristig vor Ort hätten identifizieren können: Welcher Gefahrguttransporter befindet sich in diesem Massenunfall? Das war dort mit Sicherheit nicht möglich auf Grund der nicht vorhandenen Sichtverhältnisse und der Brände, die dort stattgefunden haben. Das heißt, die Gefahrguttafel war nicht zugänglich."

    Diese orangerote Tafel zeigt an, was ein Gefahrgut-Lkw befördert. Zukünftig soll das die Feuerwehr bereits erfahren, bevor sie am Unfallort eintrifft. Möglich macht das ein graues Kästchen, das hinter der Gefahrguttafel befestigt wird: Es ist so groß wie ein Taschenbuch und voll gepackt mit Elektronik: Da sind einmal Beschleunigungs- und Kippsensoren. Sie registrieren, wenn der Gefahrguttranporter in einen Unfall verwickelt wird. Dazu kommt ein Ortungssystem, das auf wenige Meter genau den Standort des Lkw kennt. Diese Genauigkeit ist wichtig in Tälern wie beim Mittelrhein, wo es auf beiden Seiten Straßen, aber kaum Brücken gibt. So können sich sofort die Feuerwehren auf der richtigen Flussseite auf den Weg machen.Inninger:

    "Standard-GPS ist für Sicherheit und Rettung nicht ganz ausreichend von der Genauigkeit. Es ist nicht sicher, dass man immer eine richtige Position hat. Wenn man die Rohdaten vom GPS bekommt, wird man ganz schnell sehen, dass das Abweichungen von 50, 100 Metern, in schlechten Empfangssituationen sogar von zwei, drei Kilometern haben kann. Das merkt man beim normalen Navigationsgerät nicht, weil dort der Punkt immer auf die Straße gesetzt wird."

    Das graue Kästchen nutzt deshalb nicht nur die Signale der GPS-Satelliten, sondern wertet auch die Daten des russischen Systems Glonass und der zukünftigen europäischen Galileo-Satelliten aus. Der Standort wird bei einem Unfall automatisch an die Rettungsleitstelle übermittelt. Möglich ist das dank einer integrierten Sendeeinheit, die sofort die Nummer 112 wählt. Die ist europaweit einheitlich, und Anrufe haben überall Vorrang. Bei einem solchen automatischen Notruf setzt das Kästchen eine Nachricht in der jeweiligen Landessprache ab – in mehr als einem Dutzend Sprachen sind Alarmmeldungen hinterlegt. Außerdem wird innerhalb von vier Sekunden ein Datensatz übertragen, der der Einsatzzentrale mitteilt, welches Fahrzeug betroffen ist. Für Pkw ist dieser sogenannte "eCall"-Notruf ab 2014 vorgesehen, und später soll dieses System auch auf Gefahrguttransporte ausgedehnt werden, berichtet Harry Evers von der Firma ITS Niedersachsen.

    "Weil beim Pkw jedes Fahrzeug in Europa und auch weltweit eindeutig durch eine Identifizierungsnummer gekennzeichnet wird. Diese Nummer wird bei einem Unfall übertragen. Das geht genauso für Lkw und für die Trailer, die auf den Zugmaschinen hinten dran sitzen. Und über diese Identifizierungsnummer könnte man aus den Datenbanken genau herausnehmen, welche aktuelle Ladeliste ein Gefahrguttransport hat und damit die Einsatzkräfte informieren."

    Ob flüssiger Stickstoff, Ammoniak oder Flugzeugbenzin: Zu jedem Gefahrstoff gibt es ein Unfallmerkblatt, das den Feuerwehrleuten dank des neuen Systems bereits auf dem Weg zum Einsatzort zur Verfügung gestellt wird. So können sie schneller als bisher die richtigen Maßnahmen einleiten. Im Prinzip steht also fest, was in dem grauen Kästchen enthalten sein wird. Nur an einigen Details feilen die Forscher noch. Im Herbst wollen sie einen Prototyp vorstellen.