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"Bei uns ist keiner Kohleromantiker"

Nach dem Ausstieg aus der Atomkraft könne man nicht von heute auf morgen zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umstellen, sagt Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Um die Grundlast der Energieversorgung sicherzustellen, benötige es auch Gas und Kohle.

Hannelore Kraft im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 05.06.2011
    Barbara Schmidt-Mattern: Frau Ministerpräsidentin, noch vor zwei Wochen haben Sie vor einer Deindustrialisierung gewarnt, die drohen könnte im Zuge eines Atomausstiegs. Jetzt sind Sie ganz im Einklang mit der Kanzlerin der Meinung, ein schneller Atomausstieg hilft nur allen, hat nur Vorteile, sehen die Gefahr einer Deindustrialisierung nicht mehr. Haben Sie da vor zwei Wochen nur die Pferde scheu gemacht?

    Hannelore Kraft: Nein, es war richtig, diese Position rechtzeitig anzubringen. Und die Bundesregierung hat eingesehen, dass wir die energieintensiven Unternehmen massiv unterstützen müssen, damit sie nicht Wettbewerbsnachteile erlangen gegenüber ihren Konkurrenten in anderen europäischen Ländern. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass hier die Förderung jetzt auf Tausende energieintensiver Unternehmen ausgedehnt werden wird, ganz wichtiger Erfolg auch für Nordrhein-Westfalen.

    Schmidt-Mattern: Trägt die SPD den Konsens, der erreicht werden soll, der morgen im Kabinett beschlossen werden soll, trägt die SPD diesen Konsens ohne Wenn und Aber mit?

    Kraft: Die SPD-Länder sind zu einem echten und dauerhaften Konsens bereit und es besteht die Möglichkeit zu einem breiten parteipolitischen Konsens für das, was Rot-Grün schon einmal vereinbart hatte. Aber es muss auch gesagt werden, wir haben auch hier wichtige Veränderungen erreicht. Ganz wichtig war, dass dieser Ausstieg unumkehrbar gemacht wird. Es bleibt nicht dabei, was die Bundesregierung vorgeschlagen hatte, nämlich dass zunächst sieben plus ein AKW vom Netz gehen oder vom Netz bleiben, besser gesagt, und dann erst wieder 2021/2022 die nächsten. Das heißt, zehn Jahre wäre nichts passiert. Uns war wichtig auf der Länderseite, dass wir hier einen Fahrplan haben, der in Stufen genau sagt, wann wird welches AKW abgeschaltet. Es muss eine Entwicklung geben, eine Kontinuität geben und das hat die Bundesregierung jetzt zugesagt. Und damit ist der Ausstieg dann am Ende, wäre er unumkehrbar. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt für uns, dafür haben wir nun jahrzehntelang gekämpft.

    Schmidt-Mattern: Das heißt, die Zeit aufmüpfiger Regionalfürsten, wie es sie ja einmal gab, zu Zeiten von Roland Koch in Hessen, auch zu Zeiten Ihres Amtsvorgängers Jürgen Rüttgers, diese Zeit sogenannter aufmüpfiger Regionalfürsten, die ist jetzt vorbei?

    Kraft: Na ja, es gibt immer noch einige Punkte, wo wir in den nächsten Wochen hart mit der Bundesregierung werden ringen müssen, aber es ist noch nicht alles Konsens. Es geht beispielsweise darum, wie schaffen wir eigentlich Planungssicherheit für die Betreiber von fossilen Kraftwerken und denjenigen, die Anlagen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien haben. Es gibt noch einen Unterschied in der Auffassung, was den Netzausbau angeht. Hier möchte gerne die Bundesregierung alle Kompetenzen der Planung auf die Netzagentur übertragen. Dort müssten neue Planungsstäbe aufgebaut werden, neue Kompetenz aufgebaut werden. Es muss jetzt darum gehen, die Beschleunigung wirklich hinzukriegen. Die Frage ist, wie schaffen wir das? Wie können wir Planungsprozesse so verändern, dass die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern vielleicht sogar besser gelingt und trotzdem die Zeit, die wir brauchen für den ganzen Planungsprozess, kürzer wird? Und dafür wollen wir gemeinsam eine Arbeitsgruppe einsetzen, darauf haben wir uns geeinigt, die daran arbeiten wird.

    Schmidt-Mattern: Sie haben am Freitag mit der Kanzlerin über all diese Punkte gesprochen. Nun soll aber das Gesetzespaket morgen im Kabinett schon beschlossen werden, dann in den Bundestag. Sie sprechen von Arbeitsgruppen, die zu verschiedenen offenen Streitthemen noch gegründet werden sollen. Aber fest steht ja bislang auch, dass der Bundesrat kein Einspruchsrecht mehr haben wird, sondern mehr oder weniger dieses Gesetzespaket der Bundesregierung am Ende abnicken muss.

    Kraft: Ja, das haben wir Länder auch deutlich heute noch einmal angemahnt, dass es hier nicht nur eine formale Beteiligung geben darf, sondern dass es darum gehen muss, einen echten Konsens hin zu bekommen. Und ich habe den Eindruck, dass die Kanzlerin das auch möchte. Das heißt, wir werden noch einige wichtige Punkte miteinander diskutieren können, nicht nur die, die ich gerade genannt habe. Ganz wichtig für uns ist auch der Punkt, wir brauchen mehr Förderung für den Bereich Gebäudeeffizienz. Wenn wir wirklich erreichen wollen, dass die Mieterinnen und Mieter am Ende davon profitieren können, dass die Nebenkosten nicht noch weiter steigen, dann müssen wir hier dringend investieren und aufpassen, dass das nicht zu Mietsteigerungen oder Nebenkostensteigerungen führt. Das geht nicht nur über Förderung der Erneuerbaren, sondern wir müssen in der Effizienz vorankommen. Ich glaube, das macht auch Sinn, dass wir uns hier zusammentun, weil wir das Gleiche wollen und uns über den Weg nicht einig sind.

    Aber es gibt Punkte, die wir hart noch mal, auch im Bundesrat, verhandeln werden. Dazu gehört auch die Frage, dieser Energie- und Klimafonds, aus dem das alles bezahlt werden soll, der speist sich ja aus den Erlösen aus dem Handel mit den Emissionszertifikaten. Also alles das, was oben aus dem Schornstein herauskommt, muss ein Unternehmen bezahlen, dafür muss es Zertifikate kaufen. Da gibt es Milliardenerlöse. Und daraus sollen die ganzen Investitionen getätigt werden. Für uns als Land Nordrhein-Westfalen ist dabei ganz wichtig, unsere Unternehmen tragen, weil sie viel Co2-Ausstoß haben, 48 Prozent rund zu diesen Erlösen bei. Und wir brauchen auch den Rücklauf der Förderprogramme, damit wir die notwendigen Veränderungen und Umstrukturierung auch vornehmen können. Das heißt, hier müssen die Länder mit eingebunden werden. Es kann nicht so sein, dass der Bund alleine über die Struktur von Förderprogrammen entscheidet, sondern hier muss auch berücksichtigt werden, dass die Länder entsprechend mitwirken können.

    Schmidt-Mattern: Wie konkret wollen Sie das denn erreichen? Sie sprechen im Passiv, die Länder müssen eingebunden werden. Was sagen Sie denn von sich aus aktiv? Wie können Sie erreichen – Sie sind ja auch Präsidentin des Bundesrates in diesem Jahr – wie können Sie erreichen, dass Sie wirklich aktiv mehr von Ihren Forderungen durchsetzen können?

    Kraft: Nun, man wird sehen, ob die einzelnen Gesetze und welche Gesetze dann ins Vermittlungsverfahren gehen. Auch dafür können wir Mehrheiten herstellen. Ich habe den Eindruck allerdings, dass die Bundesregierung sehr genau weiß, sie braucht einen Konsens, der wirklich in der Breite abgesichert ist. Insofern hoffe ich darauf, dass es hier die notwendigen Veränderungen noch geben wird.

    Schmidt-Mattern: Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die SPD in neuer Harmonie mit der schwarz-gelben Bundesregierung jetzt den Atomausstieg plant, und die einzig wahre Oppositionspartei, das sind im Moment eher die Grünen, nicht so sehr die SPD.

    Kraft: Nein, Herr Kretschmann hat den Punkten der Länder auch in allen Punkten zugestimmt, da gab es überhaupt keinen Dissens. Und in all den bisher genannten Punkten von mir sind wir uns einig, dass wir gemeinsam einen Konsens erreichen können, aber dass es noch vieler Detailgespräche bedarf, denn das sind insgesamt acht Gesetzte, die auf dem Tisch liegen. Und da muss man sehr auf die Einzelheiten achten.

    Schmidt-Mattern: Nun sagen die Grünen aber im Einklang mit vielen Umweltverbänden und auch dem Umweltbundesamt, ein Ausstieg bis 2017 sei schon möglich. Das sei alles durchgerechnet. Warum schließen Sie sich nicht dieser Ansicht an? Sie bilden ja schließlich auch eine Koalition mit den Grünen in Nordrhein-Westfalen.

    Kraft: Ja, wir wollen einen schnellstmöglichen Ausstieg. Es ist überhaupt nicht sozusagen festgeschrieben, dass das wirklich bis 2022 dauert. Das wird man dann im Laufe der Zeit sehen. Ich glaube, dass es vielleicht schon viel eher zu einem grundsätzlichen Ausstieg kommt. Aber wichtig ist für uns, dass dieser Ausstieg unumkehrbar ist und dass klar ist, wann welches AKW spätestens abgeschaltet wird. Und das ist das, was die Bundesregierung zugesagt hat jetzt, was sie mit uns vereinbaren wollen. Und das bedeutet dann, dass wir dann wirklich auch einen breiten Konsens hätten in der Gesellschaft und parteiübergreifend dafür, was Rot-Grün schon einmal alles ausverhandelt hatte.

    Schmidt-Mattern: Rot-Grün hat schon einmal den Atomausstieg beschlossen im Jahre 2000 und jetzt ist es eine schwarz-gelbe Bundesregierung, die letzten Endes die Ernte einfährt. Tut das weh?

    Kraft: Die fährt nicht die Ernte ein. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger haben sehr genau erkannt, dass hier eine massive Änderung hat stattfinden müssen. Man musste sie bekehren. Da war Fukushima sozusagen eine wichtige Grundvoraussetzung dafür. Wir haben immer gewusst, dass das eine Technologie ist, deren Sicherheitsstandard nicht ausreichend ist. Und wir waren da von vorneherein klar positioniert. Und jetzt ist eben Schwarz-Gelb auf die Linie von Rot-Grün eingeschwenkt. Wir freuen uns darüber, wenn es am Ende wirklich gelingt, einen unumkehrbaren Ausstieg hinzubekommen.

    Schmidt-Mattern: Aber genau in dem Punkt ist mir Ihre Linie, Frau Ministerpräsidentin, noch immer nicht so ganz klar. Sie haben im März, kurz nach der Katastrophe in Fukushima, in Köln gegen die Atomkraft demonstriert, zusammen mit mehreren Tausend Menschen. Sie haben dann vor wenigen Wochen wiederum gewarnt vor einem zu schnellen Atomausstieg, haben auch gesagt, auf ein Jahr, ein halbes Jahr mehr oder weniger käme es nicht an, wann man nun aussteigt oder nicht. Deswegen noch einmal die Frage: Warum legen Sie sich nicht eindeutig fest auf ein deutliches Ausstiegsdatum? Warum nennen Sie keine Jahreszahl, anders als die Grünen?

    Kraft: Ich glaube, dass das nicht erforderlich ist, sondern wenn wir jetzt die richtigen Weichenstellungen auf den Weg bringen, dann wird sozusagen der Markt die Entscheidung treffen. Und dann wird es auch zu früheren Abschaltungen von AKWs kommen. Das kann nicht der Punkt sein, an dem wir einen solchen möglichen Konsens behindern. Es ist viel wichtiger, dass wir jetzt diese gemeinsame Befriedung der Situation hinbekommen, die möglich erscheint. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Ich bin davon überzeugt, dass der Umstieg früher gelingen kann. Ich habe nur gesagt, der Prozess dahin, der muss sicher sein. Ich muss als Ministerpräsidentin ein Auge darauf haben, dass es dabei nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, sodass energieintensive Unternehmen den Standort Nordrhein-Westfalen verlassen.

    Schmidt-Mattern: Sie sagen, dass jetzt im Zuge des Atomausstiegs keine Nachteile für die energieintensiven Unternehmen entstehen dürfen. Haben Sie denn Verständnis für die Klage von EON gegen die Brennelementesteuer?

    Kraft: Na ja, man wird sehen, ob das im weiteren Verfahren bei der Klage bleibt. Es ist wichtig, dass die Unternehmen eine Zukunftsperspektive haben, die klar ist. Das Wichtigste, was wir Unternehmen gewähren müssen, ist Planungssicherheit. Und dann muss man sicherlich sehen, wie es am Ende ausgehen wird, ob es bei der Klage bleibt. Die Richtung ist jedenfalls allen klar. Es gibt dafür einen großen gesellschaftlichen und parteipolitischen Konsens offensichtlich.

    Schmidt-Mattern: Es liegt eine neue Studie vor, demnach den Unternehmen, namentlich den AKW-Betreibern, Vermögensschäden in Höhe von 22 Milliarden Euro drohen. Deswegen noch mal die Frage: Können Sie als Anwältin der nordrhein-westfälischen Industrie – so haben Sie sich ja vor zwei Wochen präsentiert – können Sie nachvollziehen, wenn jetzt EON die Klage einreichen will und auch RWE damit droht? Beide Unternehmen haben ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen.

    Kraft: Das müssen die Unternehmen selbst beurteilen, ob sie das tun. Sollte es zu Entschädigungsverpflichtungen kommen, dann ist für uns Länder klar, dass der Bund diese Entschädigung zu leisten hätte.

    Schmidt-Mattern: Die Konzerne drohen ja bereits mit höheren Strompreisen und mit der Abwanderung ins Ausland. Sind diese Drohungen denn berechtigt?

    Kraft: Ich glaube, wir werden sehen, wie die Preisentwicklung sein wird. Das hängt sehr damit zusammen, wie schnell wir den Umstieg hinbekommen, wie sicher wir ihn auch gestalten. Da geht es sehr in die Details hinein. Das kann heute noch niemand vorhersagen. Ich kenne Studien, die sagen, die Strompreise werden explodieren, ich kenne Studien, die sagen, das wird ein bisschen ansteigen, aber nicht allzu viel. Für mich ist ganz wichtig, dass wir dabei die Bürgerinnen und Bürger im Blick haben, die Verbraucherinnen und Verbraucher und die energieintensiven Unternehmen. Und an beiden Stellen habe ich heute wahrgenommen, dass da auch die Bundesregierung inzwischen sensibel ist.

    Schmidt-Mattern: Aber liegt nicht da genau der Hase im Pfeffer, wenn Sie sowohl die Unternehmen als auch die Bürger in den Blick nehmen wollen, denn im Moment sind die Interessen da ja etwas gegensätzlich. Denken wir jetzt entweder an die Entwicklung der Strompreise oder aber auch an den Ausbau von Windrädern im eigenen Bundesland. Sie sagen, wir wollen die lieber im eigenen Bundesland haben anstatt draußen an den Küsten, sogenannte Offshore-Parks. Aber wenn Sie Windräder im eigenen Bundesland befürworten, müssen Sie doch mit massiven Protesten von Bürgern rechnen.

    Kraft: Also erst mal geht es nicht gegeneinander. Wir brauchen die Offshore-Windparks. Ohne die werden wir den hundertprozentigen Umstieg in diesen Zeiträumen nicht hinbekommen. Aber wir müssen auch zusehen, dass es noch Mittel und Wege gibt, Onshore zu unterstützen. Das heißt bei uns in Nordrhein-Westfalen insbesondere das Repowering, das sogenannte Verstärken der jetzigen Windkraftanlagen. Wir brauchen gar nicht viele neu dazu zu bauen, sondern wir wollen hier ein Repowering hinbekommen. Und dazu ist wichtig, dass da auch die Signale richtig stehen.

    Schmidt-Mattern: Es gibt bereits Proteste, oder hat es lange schon gegeben, gegen Windkraftanlagen in Nordrhein-Westfalen. In anderen Bundesländern gibt es ähnliche Proteste. Es wird auch mit Widerstand gerechnet, wenn mehr und mehr Stromtrassen ausgebaut werden müssen, um den Strom zum Bürger letzten Endes zu bringen. Wie wollen oder können Sie denn die Bürger da beteiligen? Wie wollen Sie ihnen entgegenkommen?

    Kraft: Also, erst mal sind die Bürger heute beteiligt in den entsprechenden Planungsverfahren. Deshalb dauern die zum Teil auch sehr lange. Hier müssen wir schauen, dass wir die Bürgerbeteiligung vielleicht sogar qualitativ noch verbessern können, beispielsweise indem wir stärker auch Medien nutzen wie das Internet, aber auf der anderen Seite sicherstellen, dass die Verfahren schneller sind. Und ich glaube, dass es da noch eine Menge Möglichkeiten gibt. Wichtig ist aber, dass wir insgesamt alle in der Gesellschaft dafür sorgen, dass es eine Akzeptanz gibt für diese notwendigen Investitionen. Wer einen Umstieg auf Erneuerbare will – und das ist ein Großteil der Bevölkerung –, muss auch sicherstellen, dass wir die Netze dafür bauen können, dass wir die Speicherkapazitäten schaffen und dass wir auch notwendige Ersatzinvestitionen in Kraftwerke tätigen. Auch das ist ganz wichtig, dass wir da die Schultern breit machen und deutlich machen, das muss passieren. Und wenn ich nach Nordrhein-Westfalen schaue, welche massiven Eingriffe wir beispielsweise in den Gebieten Braunkohletagebau haben vornehmen müssen in den vergangenen Jahrzehnten, wie viele Eingriffe wir im Ruhrgebiet haben vornehmen müssen, wo wir um viele Meter abgesackt sind wegen des Bergbaus, dann glaube ich, muss man auch noch mal die Relation sehen bei den Windkraftanlagen. Niemand will die Landschaft zupflastern in Nordrhein-Westfalen, aber die Anlagen, die wir haben, die können wir ertüchtigen und verbessern und dann liefern sie uns noch mehr Strom. Und das hilft uns, den Umstieg zu erleichtern.

    Schmidt-Mattern: Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen im Deutschlandfunk im Interview der Woche. Sie haben eben in einem Halbsatz schon das Stichwort Kohle angeschnitten. Über ein Drittel der deutschen Co2-Emissionen werden heutzutage in Nordrhein-Westfalen ausgestoßen. Sie sagen jetzt, im Zuge des Atomausstiegs werden wir wieder verstärkt auf die Kohle setzen müssen. Wir brauchen fossile Energieträger noch für einige Jahrzehnte. Frau Ministerpräsidentin, warum provozieren Sie Ihren grünen Koalitionspartner dermaßen?

    Kraft: Das steht sogar bei uns im Koalitionsvertrag. Wir brauchen fossile Energieträger. Dazu gehört sowohl die Kohle als auch Gas. Und wir werden sehen, wie sich das auf der betriebswirtschaftlichen Seite weiter entwickelt, welche Anträge überhaupt noch auf Genehmigungen gestellt werden. Aber wir sind uns einig, wir können nicht aus Atom aussteigen und sozusagen von heute auf morgen 100 Prozent Erneuerbare nicht bereitstellen. Wir müssen Energieversorgungssicherheit auch garantieren, und dafür brauchen wir diese fossilen Energieträger. Und da gibt es große Einigkeit, auch Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen.

    Schmidt-Mattern: Ich habe das in den vergangenen Tagen ganz anders wahrgenommen. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen haben vor wenigen Tagen ihren Landesparteitag abgehalten, haben über die Kohleromantik der Genossen gespottet, auch wiederholt festgehalten, Kohle sei von gestern. Das sagt die Landesvorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen, Monika Düker. Nach Einigkeit klingt das eigentlich nicht.

    Kraft: Kohle ist nicht von gestern. Die Grünen wissen das auch. Wir müssen die Grundlast sicherstellen. Wenn es mal keinen Wind gibt und keine Sonne scheint, wie schaffen wir es eigentlich, dann noch die erforderliche Energie zur Verfügung zu stellen? Das nennt man technisch die Grundlast. Und in diesem Bereich brauchen wir die fossilen Kraftwerke, und dazu gehören eben Gas und Kohle. Die werden wir auch weiterhin brauchen. Und wichtig ist, dass wir die alten Schätzchen endlich abschalten, die viel zu viel Co2 in die Landschaft pusten und dass wir die notwendigen Ersatzinvestitionen hier auch vornehmen. Und am Ende im Koalitionsvertrag steht drin, dass wir keinen Neubau behindern werden und dass wir wissen, dass es diese Brücke geben muss.

    Schmidt-Mattern: Dient denn Ihr Vorstoß für die Kohle nicht auch viel mehr dem Sinn, dass Sie sich ein wenig profilieren möchten gegenüber dem grünen Koalitionspartner, der im Moment mit seinen Themen viel mehr Konjunktur hat und die SPD im Moment nicht so recht zum Zuge kommt?

    Kraft: Nein. Es ist ganz wichtig, zu sehen: Wir wollen alle den Umstieg auf Erneuerbare Energien, zu hundert Prozent. Meine Aufgabe als Ministerpräsidentin ist es, dafür zu sorgen, dass dieser Weg dahin sicher ist. Das heißt eben, dass wir auf die Preise achten, das heißt aber auch, dass wir Energieversorgungssicherheit in den Mittelpunkt stellen. Und da sind wir uns im Kabinett auch einig, dass wir das gerade in Nordrhein-Westfalen als dem Industrieland, als dem Energieland in Deutschland, dass wir das mit einem besonderen Gewicht versehen müssen. Und bei uns ist keiner Kohleromantiker, ich auch nicht. Ich bin nur Ökonomin, das heißt, ich verstehe ein bisschen was von Wirtschaft und ich weiß, wer ...

    Schmidt-Mattern: Die Grünen verstehen nichts von Wirtschaft?

    Kraft: Doch, natürlich. Wir haben ja deshalb auch eine gemeinsame Position gefunden im Koalitionsvertrag. Der trägt auch gar keine grüne Handschrift, sondern das ist ein rot-grüner Koalitionsvertrag. Das kann man gerade an diesem Punkt ablesen, dass wir uns darüber im Klaren sind, wir brauchen einen Weg hin zu 100 Prozent Erneuerbaren, und den werden wir gemeinsam auch gestalten.

    Schmidt-Mattern: Frau Ministerpräsidentin, warum aber tut sich die SPD, sei es im Land oder im Bund, so schwer, insgesamt mit ihren Botschaften durchzudringen? Wir sehen die Grünen auf einem nun schon monatelangen Höhenflug. Wir denken an die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz. Jetzt nach der neuesten Sonntagsumfrage, wenn an diesem Sonntag Bundestagwahlen wären, dann lägen die Grünen vor der SPD, das heißt, wir hätten nach heutigem Stand der Meinungsumfragen eine grün-rote Regierung im Bund. Was macht die SPD falsch, dass sie mit ihren Botschaften nicht mehr so richtig durchdringt?

    Kraft: Also zunächst lassen wir die Kirche mal im Dorf. Es gibt nur ein Umfrageinstitut, das das so sieht. Alle anderen sehen deutlich die SPD vor den Grünen. Das gehörte zur gesamten Wahrheit dann auch dazu. Die Grünen haben Konjunktur gehabt mit ihren Themen. Die SPD kämpft seit 25 Jahren für den Atomausstieg. Volker Hauff war jetzt am Beginn der Woche bei uns noch im Präsidium der Partei und er hatte fast Tränen in den Augen, dass es jetzt offensichtlich einen Weg dahin geben kann.

    Schmidt-Mattern: Unter einer schwarz-gelben Bundesregierung.

    Kraft: Ja, aber ich meine, die haben das ja nun auch erst mal zurückgedreht. Also, dass wir die jetzt haben überzeugen können, das lag ja nicht zuletzt an Fukushima. Dass jetzt das bei den Grünen einzahlt, damit müssen wir leben. Es wird nicht so wahrgenommen, dass wir da sehr lange schon dafür kämpfen. Aber es ist so. Und am Ende wird es wieder andere Themen geben in Deutschland. Ich nenne nur die Bereiche prekäre Beschäftigung, diese ganzen Zeitjobs, dass Menschen keine Sicherheit mehr haben in ihrer beruflichen Zukunft. Das sind Themen, wo die SPD gefordert sein wird, wo wir uns auch jetzt klar positioniert haben, auch im Bereich Leih- und Zeitarbeit beispielsweise. Wir werden mit einem Steuerkonzept kommen. Wir haben ein sehr gutes Bildungskonzept. Und die anderen Themen werden wieder kommen und dann werden sich die Umfragen auch wieder verändern. Umfragen sind keine Wahlergebnisse.

    Schmidt-Mattern: Sie sprechen in der Zukunft. Wir haben jetzt schon einen massiven Aufschwung in der Wirtschaft. Wo bleibt die Stimme der SPD, die sich dafür einsetzt, dass auch die Arbeitnehmer von diesem Aufschwung profitieren? Was wir von der SPD hören ist, dass sie in den letzten zwei Jahrzehnten die Hälfte ihrer Mitglieder verloren hat und erstmals seit circa 100 Jahren unter 500.000 Mitglieder in Deutschland hat.

    Kraft: Ja, dieses Schicksal teilt auch die CDU. Das hat einfach damit zu tun, dass wir diejenigen, die sozusagen oben wegsterben, unten nicht neu ersetzen können. Das hat auch mit der Demografie zu tun. Ich will das nicht beschönigen. Wir müssen besser werden, wir müssen uns mehr zu bewegen, wir müssen unsere Partei öffnen. Das sind ja alles Diskussionen, die wir führen. Aber natürlich sind wir diejenigen, die sich klar positionieren. Wir sagen, beim Aufschwung müssen jetzt endlich auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer partizipieren. Wir sind diejenigen, die sagen, es darf nicht so bleiben, dass wir keine Finanzmarkttransaktionssteuer bekommen. Es müssen endlich die auch mit bezahlen, die die Krise verursacht haben. Das sind Positionen, wo die SPD quasi alleine steht gegen eine CDU-FDP-Regierung, die hier einfach ihre Pfründe verteidigt.

    Schmidt-Mattern: Und keiner hört die SPD.

    Kraft: Ja, das ist nun mal bei der Überlagerung mit Fukushima und dem Thema Energie im Moment so. Aber ich glaube, dass wir zu diesen Debatten rasant wieder zurückkommen werden. Auch die ganze Euro-Diskussion ist ja ein Stück weit wieder zurückgedrängt worden. Die wird wieder kommen. Wenn wir jetzt den Konsens unter Dach und Fach haben, werden wir uns den anderen Themen wieder zuwidmen. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dort mit der SPD auch sehr positiv positioniert sind.

    Schmidt-Mattern: Frau Ministerpräsidentin, befürworten Sie die Urwahl, wenn es darum geht, dass die SPD ihren Kanzlerkandidaten aufstellt? Sollten Nichtmitglieder mitwählen dürfen?

    Kraft: Das ist ein Punkt, den wir in der SPD diskutieren, aber wir sagen auch klar, es geht um Ermöglichung. Es geht nicht um Zwang, gerade insbesondere, was auch Wahlen auf der Länderebene angeht oder darunter. Ich halte das für ganz entscheidend, dass wir hier eine intensive Diskussion führen.

    Schmidt-Mattern: Wie ist denn Ihre Meinung?

    Kraft: Ich persönlich glaube, dass wir aufpassen müssen, dass Mitglieder in unserer Partei auch noch ein stärkeres Gewicht haben als Nichtmitglieder. Sonst stellt man sich irgendwann mal die Frage, warum bin ich überhaupt noch Mitglied? Warum zahle ich jeden Monat, wenn diejenigen, die von außen kommen, die gleichen Rechte haben. Aber wir müssen die Türen aufmachen, ganz weit. Und da sind wir uns in der Partei sehr einig. Und deshalb werden wir den Weg und wie wir öffnen wollen in den nächsten Wochen noch intensiv diskutieren. Die Entscheidung fällt ja dann erst auf dem Bundesparteitag im Dezember.

    Schmidt-Mattern: Und Peer Steinbrück, der ja so etwas wie Ihr politischer Ziehvater ist, wäre sicherlich ein sehr geeigneter Kandidat.

    Kraft: Wir haben so viele geeignete Kandidaten, die sich ja auch schon alle zu Wort melden oder die genannt werden. Wir werden diese Frage ganz in Ruhe im nächsten Jahr entscheiden. Das ist jetzt viel zu früh.

    Schmidt-Mattern: Auch Ihr Name fällt gelegentlich. Hätten Sie Interesse am Kanzleramt?

    Kraft: Wissen Sie, Nordrhein-Westfalen ist mein Ziel. Wir haben ein schwieriges Mehrheitsverhältnis bei uns im Landtag. Und egal, wann die nächste Wahl ist – ich habe im Moment den Eindruck, es dauert noch ein bisschen länger –, aber egal wann, es ist mein Ziel, diese Wahl zu gewinnen.

    Schmidt-Mattern: Sie haben es gerade schon angesprochen, schwierige Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen, eine Minderheitsregierung. Im Moment fällt auf, wenn wir noch mal auf das Land schauen, dass die grünen Minister sich vor allem profilieren. Drei sind es in Ihrem Kabinett, zuständig für die Themen Schule, Umwelt und Gesundheit. Dort gibt es Fortschritte. Die SPD-Minister fallen im Düsseldorfer Kabinett hingegen durch Affären vor allem auf. Wie verbraucht ist Ihr Kabinett nach knapp einem Jahr?

    Kraft: Es ist überhaupt nicht verbraucht und ob das Affären sind, da muss man erst mal Fragezeichen dahinter machen. Wenn Sie das so sagen, dann sage ich, da muss man erst mal die Affäre darstellen. Ich kann die zum Teil überhaupt nicht erkennen und da wird viel mit Dreck geworfen nach dem Motto, wir schmeißen viel Dreck und irgendwas wird schon hängen bleiben. Das ist gegen die SPD gerichtet, wahrscheinlich deshalb, weil die CDU ganz gerne doch mal darüber nachdenkt, wer ist den potenziell ein nächster Koalitionspartner bei zukünftigen Wahlen. Die FDP scheint ja auf Dauer auszufallen. Insofern gehen sie im Moment und attackieren sie nicht so sehr die Grünen im Kabinett. Aber wir bleiben da eng beieinander. Wir haben eine gute Zusammenarbeit in der Regierung und auch mit den beiden Fraktionen und wir werden ganz kontinuierlich weiter machen mit der Umstellung und den Prozessen, die wir in Nordrhein-Westfalen brauchen, nämlich eine Politik für Kinder, Bildung und Vorbeugung.

    Schmidt-Mattern: Das heißt, Sie wollen weiter regieren bis zum Jahr 2015, ohne Neuwahlen. Die scheinen vom Tisch zu sein. Wenn Ihnen die Grünen von der Stange gehen – schwarz-grüne Gedankenspiele hören ja nicht auf zu kursieren –, dann haben Sie ja immer noch die Linke.

    Kraft: Wissen Sie, wir arbeiten Rot-Grün so exzellent zusammen ...

    Schmidt-Mattern: Rot-Grün oder Rot-Grün-Rot?

    Kraft: Wir arbeiten Rot-Grün sehr gut zusammen und wir arbeiten mit wechselnden Mehrheiten. Das gelingt tatsächlich. Gerade im Bereich Kommunales geht es sehr häufig mit der CDU, bei Bürgerrechten mit der FDP und in sozialen Themen enthält sich sehr oft die Linke. Das hilft uns dann. Sie enthält sich deshalb, weil sie natürlich immer alle sozialen Wohltaten noch mal toppen würde, weil sie dann ja auch nicht darstellen muss, wo denn das Geld herkommen soll. Die machen es sich da manchmal ein bisschen einfach. Wir arbeiten gut in dieser Koalition und wir werden die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass wir den richtigen Weg für Nordrhein-Westfalen eingeschlagen haben, das Notwendige jetzt auch tun, an den richtigen Stellen investieren, um dieses Land in eine gute Zukunft zu führen. Und deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch rot-grün beim nächsten Mal eine deutliche Mehrheit bekommen.

    Schmidt-Mattern: Erst einmal mit Hilfe der Linkspartei. Hannelore Kraft, vielen Dank für dieses Gespräch.
    NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (rechts, SPD) und Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) sitzen bei einer Abstimmung im nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf.
    NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (rechts, SPD) und Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) sitzen bei einer Abstimmung im NRW-Landtag. (picture alliance / dpa)