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"Bei uns sind sind alle russischsprachig"

Der neue ukrainische Ministerpräsident heißt Viktor Janukowitsch. Vor allem die Menschen des russischsprachigen Ostens und des Südens der Ukraine knüpfen an ihn große Hoffnungen. So hat etwa die Krim mehrheitlich für Janukowitschs Partei gestimmt, die der russischen Sprache offiziellen Status verleihen will. Florian Kellermann berichtet.

07.08.2006
    Das Geschäft der Bootsfirmen von Sewastopol geht schlecht. Beinahe verzweifelt preisen ihre Vertreterinnen Rundfahrten durch den Hafen an. Denn in diesem Sommer sind 15 Prozent weniger Touristen auf die Krim gekommen als üblich. Schuld daran sind die hohen Preise. Immer mehr Ukrainer und Russen fliegen da lieber gleich in die Türkei oder nach Ägypten.

    Das merkt auch Tanja, die an der prachtvollen Strandpromenade von Sewastopol Kwas verkauft – ein Erfrischungsgetränk, das aus Brot hergestellt wird. Tanja füllt es aus einer Metalltonne in Plastikbecher ab. Aber auch wenn sie weniger absetzt als vergangenes Jahr, einen Grund zur Freude hat die 25-jährige. Der neue ukrainische Ministerpräsident heißt Viktor Janukowitsch, und für dessen Partei der Regionen hat sie im März gestimmt.

    "Der Mann gefällt mir einfach. Ich erwarte eigentlich, dass alles besser wird. Außerdem hoffe ich, dass Janukowitsch die russische Sprache unterstützt. Meine Freundin zum Beispiel hat ein zweites Studium aufgenommen, weil sie keine Arbeit gefunden hat. Dafür musste sie erstmal ukrainisch lernen. Das ist doch wie im Irrenhaus. Bei uns sind hier sind alle russischsprachig. Sollen doch die Ukrainer ukrainisch sprechen. Wir brauchen diese Sprache nicht."

    In Sewastopol hat die Partei der Regionen im März 64 Prozent der Stimmen bekommen – noch ein bisschen mehr als insgesamt auf der Krim. Und das nicht nur, weil sich die Menschen einen offiziellen Status für die russische Sprache wünschen, den Janukowitsch versprach. Die meisten hier hoffen auch, dass Janukowitsch die Pläne von Präsident Juschtschenko durchkreuzt, das Land in die Nato zu führen.

    Während die Touristen sich derzeit bei über 30 Grad im Schatten an den Strand legen, ziehen sich die Sewastopoler eher in die Parks zurück. So auch das Programmierer-Ehepaar Walerija und Sergej, die ihren kleinen Sohn im Kinderwagen dabei haben. Natürlich sprechen sie russisch, aber das Sprachproblem ist für sie bei weitem nicht das wichtigste, sagt die 22-jährige Walerija.

    "Ich denke an unser Kind. Es gibt ja fast keine Kindergärten mehr, weil das Geld fehlt. In den Schulen sinkt das Niveau, weil die Lehrer zu wenig Geld verdienen und die Guten unter ihnen sich lieber eine andere Arbeit suchen. Der Sport wird nicht gefördert, sodass die meisten Kinder zuhause sitzen und Computer spielen. Dann das Wohnungsproblem. Eigentumswohnungen sind so teuer, dass man das Sparen gar nicht anzufangen braucht."

    Walrijas Ehemann Sergej war vor anderthalb Jahren für die orangefarbene Revolution. Doch inzwischen ist er enttäuscht von Präsident Juschtschenko, für den die Demonstranten damals eine Wahl unter fairen Bedingungen erkämpften. Vor allem die Privatisierung von Staatsbetrieben hält Sergej für falsch.

    Am Brunnen geht eine Gruppe russischer Matrosen vorbei – in Sewastopol kein ungewöhnlicher Anblick. Hier ist bis heute die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Präsident Juschtschenko würde den Pachtvertrag am liebsten kündigen. Doch das werde Janukowitsch verhindern, sagt der 24-jährige Sergej:

    "Sewastopol ist doch gerade durch die russische Schwarzmehrflotte berühmt geworden. Ohne sie kann ich mir die Stadt gar nicht vorstellen. Wir waren und wir sind stolz darauf, dass die Flotte bei uns stationiert ist."

    Oleg Tschernous ist ehemaliger Leutnant der Schwarzmehrflotte. Heute macht er Kunst und beschäftigt sich unter anderem mit der Geschichte von Sewastopol. So hat er ehemalige U-Boot-Generäle fotografiert – die Aufnahmen werden zurzeit in einem alten Hangar bei Sewastopol gezeigt.

    Seine Haltung zur Ukraine ist wie bei vielen ehemaligen Soldaten und älteren auf der Krim generell ablehnend.

    "Für mich ist Sewastopol eine russische Stadt und wird es auch immer bleiben. Ich werde Sewastopol nie zur Ukraine zählen, egal, wer in Kiew an der Regierung ist. Mich schmerzt die heutige Situation, weil da ein wichtiger Teil der russischen Geschichte einfach übergangen wird."

    Auch wenn die Krim also mehrheitlich für Janukowitschs Partei gestimmt hat: Er wird es nicht leicht haben, die Erwartungen an ihn zu erfüllen. Wenn sich das Leben der Menschen nicht verbessert, dann könnten sie von Janukowitsch bald genauso enttäuscht sein, wie es der Westen der Ukraine von Präsident Juschtschenko ist.