Wer in der westlichen Welt von "Reinheit" spricht, denkt vermutlich an Duschgel, Waschmittel oder klares Wasser in einer sauberen Umwelt. Doch der Begriff der "Reinheit" hat seit langer Zeit nicht nur eine physische, sondern auch eine geistige Dimension.
"Man würde vielleicht denken, dass das ein vor-modernes Konzept ist, was heute gar keine Rolle mehr spielt, aber in der einen oder anderen Form kommt das immer wieder hoch. "
Das Bedürfnis nach spiritueller Reinheit ist hoch aktuell, erklärt Udo Simon, Islamforscher an der Universität Heidelberg: Man braucht nur den Vorhof einer Moschee zu betreten und erblickt Regale voller Schuhe und eine lange Reihe von Waschbecken. Es gehört zu den auffälligsten Riten des Islam, dass man an den heiligen Ort nicht in staubigen Straßenschuhen kommt und dass man sich reinigt, bevor man vor seinen Gott tritt. Auch vielen Moslems sind die aufwändigen Reinigungsriten mindestens so gegenwärtig wie die Inhalte ihrer Religion:
"Wenn man die Leute fragt, warum eigentlich, sagen sie: Wenn Sie zu Ihrem Chef gehen, dann ziehen Sie auch ein sauberes Hemd an! "
Respekt für den Höhergestellten spricht aus diesem Ritual. Egal ob man sich dabei Hände und Füße wäscht oder ein weißes Hemd anzieht, man hebt sich von denen ab, die unrein sind. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Gläubigen wird gestärkt, die Abgrenzung von anderen vertieft.
"Der Reinheitsgedanke spielt im Islam auch häufig eine Rolle bei Bewegungen, die sich gegen eine Verwestlichung der eigenen Kultur, gegen Überfremdung der eigenen Kultur wenden. Also zurück zum Ursprung, auch das gehört ja zum Reinen, der Ursprung, das Einfache, ist letztenendes auch das Reine. Das wird mit der Zeit kontaminiert, verunklart und muss dann gereinigt werden. "
Eine Reinigung der Religion selbst verlangen islamistische Gruppen wie die Salafisten in Ägypten oder die Mohammadija in Indonesien. Für sie wird "Reinheit" zum zentralen Thema, das alle anderen Glaubensinhalte verdrängt.
In den letzten Jahrzehnten, seit fundamentalistische Tendenzen in vielen Religionen zunehmen, gewinnt diese ausschließende Funktion der Reinheitsriten an Bedeutung.
"Sie finden das praktisch überall. Sie finden das in neo-traditionellen Hindu-Bewegungen etwa, Sie finden das im Judentum, sie finden das bei Evangelikalen in Amerika, auch da spielt der Reinheitsgedanke eine Rolle, ich verweise hier nur auf die sogenannten purity-balls etwa. Purity-balls sind Inszenierungen, Bälle, bei denen Töchter den Vätern vor-eheliche Keuschheit versprechen. Kriegen dann manchmal auch einen Ring, das gehört dann zum Lebensstil dieser Neo-Evangelikalen in Amerika. "
Das Extrembeispiel für Abgrenzung mithilfe von Reinheits-Vorstellungen kommmt jedoch aus der westlichen Welt: Den Begriff der "rassischen Reinheit" erfanden nationalsozialistische Ideologen und benutzten ihn als Vorwand für die Ermordung der europäischen Juden.
Doch weder im Islam noch in anderen Religionen hat "Reinheit" nur eine ausgrenzende Bedeutung. In vielen Kulturen steht ein Reinigungsritual wie etwa eine Taufe am Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Oder der Einzelne markiert einen persönlichen Neuanfang, indem er sich an traditionellen Formen der Reinigung durch Fasten oder Beichten beteiligt. Petra Rösch, Kunsthistorikerin an der Universität Stanford in den USA, hat beobachtet, dass in den Tempeln chinesischer Buddhisten seit über fünfhundert Jahren dieselben Beichtrituale praktiziert werden.
"Wo man eben verschiedene Buddhas anruft und durch die Rezitation von deren Namen so in eine Meditiationsform kommt und dadurch beichtet. Also da gibt's universelle Erleuchtung, das ist: /chin./, dann gibt es universale Klarheit: /chin./, im Endeffekt wird dann rezititert: /chin./"
Die Wissenschaftlerin untersucht Statuen und Gemälde, die in chinesischen Höhlentempeln aus früheren Jahrhunderten erhalten geblieben sind. Um den religiösen Sinn dieser Kunstwerke zu verstehen, hat sie sich auch in die Beicht-Zeremonien verschiedener Religionen eingearbeitet. Dabei wurde ihr klar, wie groß bei vielen Menschen das Bedürfnis nach einem individuellen, formalisierten Akt der Sündenvergebung ist - über die Grenzen der Kulturen hinweg. Das protestantische Christentum etwa entstand nicht zuletzt aus Protest gegen die sinnentleerte Form der Beichte im Katholizismus. Heute bietet es seinen Gläubigen eine gemeinschaftliche Sündenvergebung im Abendmahlsgottesdienst an - doch vielen reicht das offenbar nicht:
"Da haben mir die evangelischen Pfarrer gesagt, dass aber das Bedürfnis unter den evangelischen Gläubigen besteht. Und daher immer wieder auch in der evangelischen Kirche Bewegungen waren und sind, wieder so eine persönliche Beichte und so ein persönliches Sündenbekenntnis einzuführen. "
Der Wunsch nach Reinheit ist aber nicht an Religiosität gebunden. Zwei kanadische Psychologen haben eine rein weltliche Form der Beichte erforscht: den Zusammenhang zwischen einem schlechten Gewissen und dem Bedürfnis, sich zu waschen. Sie konnten statistisch belegen, berichtet Udo Simon-
" - dass man nach einem moralischen Fehlverhalten ein erhöhtes Bedürfnis nach Reinigung hat. Das ist nun keine Spekulation, sondern es hat sich tatsächlich empirisch herausgestellt, dass das so ist, man hat dann tatsächlich, wenn man sich gereinigt hat, gewissermaßen seine Sünden weggewaschen. "
Die Studie illustriert, wie stark religiöse Riten längst in den weltlichen Bereich übergegangen sind. Ob beim Hemdenwechsel oder den Duschgewohnheiten, die Reinigung hat oft auch in der westlichen Welt eine spirituelle Bedeutung. Und manchmal nehmen jahrhunderte-alte Reinigungsrituale im Zeichen der modernen Informationsgesellschaft ganz neue Formen an. Der Indologe Axel Michaels, Professor in Heidelberg und Sprecher des Sonderforschungsbereichs "Ritualdynamik", hat dafür ein schönes Beispiel:
"Man kann also in Silicon Valley sitzen als Inder und von dort aus einen Tempel besuchen und auch den Gott verehren übers Internet. Oder etwas bestellen von dem Priester und das wird einem dann geschickt und das ist dann ein richtiger ritueller Tempelbesuch mit allen Konsequenzen, die das in Bezug auf Reinheit und moralische Anständigkeit bedeutet. "
"Man würde vielleicht denken, dass das ein vor-modernes Konzept ist, was heute gar keine Rolle mehr spielt, aber in der einen oder anderen Form kommt das immer wieder hoch. "
Das Bedürfnis nach spiritueller Reinheit ist hoch aktuell, erklärt Udo Simon, Islamforscher an der Universität Heidelberg: Man braucht nur den Vorhof einer Moschee zu betreten und erblickt Regale voller Schuhe und eine lange Reihe von Waschbecken. Es gehört zu den auffälligsten Riten des Islam, dass man an den heiligen Ort nicht in staubigen Straßenschuhen kommt und dass man sich reinigt, bevor man vor seinen Gott tritt. Auch vielen Moslems sind die aufwändigen Reinigungsriten mindestens so gegenwärtig wie die Inhalte ihrer Religion:
"Wenn man die Leute fragt, warum eigentlich, sagen sie: Wenn Sie zu Ihrem Chef gehen, dann ziehen Sie auch ein sauberes Hemd an! "
Respekt für den Höhergestellten spricht aus diesem Ritual. Egal ob man sich dabei Hände und Füße wäscht oder ein weißes Hemd anzieht, man hebt sich von denen ab, die unrein sind. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Gläubigen wird gestärkt, die Abgrenzung von anderen vertieft.
"Der Reinheitsgedanke spielt im Islam auch häufig eine Rolle bei Bewegungen, die sich gegen eine Verwestlichung der eigenen Kultur, gegen Überfremdung der eigenen Kultur wenden. Also zurück zum Ursprung, auch das gehört ja zum Reinen, der Ursprung, das Einfache, ist letztenendes auch das Reine. Das wird mit der Zeit kontaminiert, verunklart und muss dann gereinigt werden. "
Eine Reinigung der Religion selbst verlangen islamistische Gruppen wie die Salafisten in Ägypten oder die Mohammadija in Indonesien. Für sie wird "Reinheit" zum zentralen Thema, das alle anderen Glaubensinhalte verdrängt.
In den letzten Jahrzehnten, seit fundamentalistische Tendenzen in vielen Religionen zunehmen, gewinnt diese ausschließende Funktion der Reinheitsriten an Bedeutung.
"Sie finden das praktisch überall. Sie finden das in neo-traditionellen Hindu-Bewegungen etwa, Sie finden das im Judentum, sie finden das bei Evangelikalen in Amerika, auch da spielt der Reinheitsgedanke eine Rolle, ich verweise hier nur auf die sogenannten purity-balls etwa. Purity-balls sind Inszenierungen, Bälle, bei denen Töchter den Vätern vor-eheliche Keuschheit versprechen. Kriegen dann manchmal auch einen Ring, das gehört dann zum Lebensstil dieser Neo-Evangelikalen in Amerika. "
Das Extrembeispiel für Abgrenzung mithilfe von Reinheits-Vorstellungen kommmt jedoch aus der westlichen Welt: Den Begriff der "rassischen Reinheit" erfanden nationalsozialistische Ideologen und benutzten ihn als Vorwand für die Ermordung der europäischen Juden.
Doch weder im Islam noch in anderen Religionen hat "Reinheit" nur eine ausgrenzende Bedeutung. In vielen Kulturen steht ein Reinigungsritual wie etwa eine Taufe am Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Oder der Einzelne markiert einen persönlichen Neuanfang, indem er sich an traditionellen Formen der Reinigung durch Fasten oder Beichten beteiligt. Petra Rösch, Kunsthistorikerin an der Universität Stanford in den USA, hat beobachtet, dass in den Tempeln chinesischer Buddhisten seit über fünfhundert Jahren dieselben Beichtrituale praktiziert werden.
"Wo man eben verschiedene Buddhas anruft und durch die Rezitation von deren Namen so in eine Meditiationsform kommt und dadurch beichtet. Also da gibt's universelle Erleuchtung, das ist: /chin./, dann gibt es universale Klarheit: /chin./, im Endeffekt wird dann rezititert: /chin./"
Die Wissenschaftlerin untersucht Statuen und Gemälde, die in chinesischen Höhlentempeln aus früheren Jahrhunderten erhalten geblieben sind. Um den religiösen Sinn dieser Kunstwerke zu verstehen, hat sie sich auch in die Beicht-Zeremonien verschiedener Religionen eingearbeitet. Dabei wurde ihr klar, wie groß bei vielen Menschen das Bedürfnis nach einem individuellen, formalisierten Akt der Sündenvergebung ist - über die Grenzen der Kulturen hinweg. Das protestantische Christentum etwa entstand nicht zuletzt aus Protest gegen die sinnentleerte Form der Beichte im Katholizismus. Heute bietet es seinen Gläubigen eine gemeinschaftliche Sündenvergebung im Abendmahlsgottesdienst an - doch vielen reicht das offenbar nicht:
"Da haben mir die evangelischen Pfarrer gesagt, dass aber das Bedürfnis unter den evangelischen Gläubigen besteht. Und daher immer wieder auch in der evangelischen Kirche Bewegungen waren und sind, wieder so eine persönliche Beichte und so ein persönliches Sündenbekenntnis einzuführen. "
Der Wunsch nach Reinheit ist aber nicht an Religiosität gebunden. Zwei kanadische Psychologen haben eine rein weltliche Form der Beichte erforscht: den Zusammenhang zwischen einem schlechten Gewissen und dem Bedürfnis, sich zu waschen. Sie konnten statistisch belegen, berichtet Udo Simon-
" - dass man nach einem moralischen Fehlverhalten ein erhöhtes Bedürfnis nach Reinigung hat. Das ist nun keine Spekulation, sondern es hat sich tatsächlich empirisch herausgestellt, dass das so ist, man hat dann tatsächlich, wenn man sich gereinigt hat, gewissermaßen seine Sünden weggewaschen. "
Die Studie illustriert, wie stark religiöse Riten längst in den weltlichen Bereich übergegangen sind. Ob beim Hemdenwechsel oder den Duschgewohnheiten, die Reinigung hat oft auch in der westlichen Welt eine spirituelle Bedeutung. Und manchmal nehmen jahrhunderte-alte Reinigungsrituale im Zeichen der modernen Informationsgesellschaft ganz neue Formen an. Der Indologe Axel Michaels, Professor in Heidelberg und Sprecher des Sonderforschungsbereichs "Ritualdynamik", hat dafür ein schönes Beispiel:
"Man kann also in Silicon Valley sitzen als Inder und von dort aus einen Tempel besuchen und auch den Gott verehren übers Internet. Oder etwas bestellen von dem Priester und das wird einem dann geschickt und das ist dann ein richtiger ritueller Tempelbesuch mit allen Konsequenzen, die das in Bezug auf Reinheit und moralische Anständigkeit bedeutet. "