Christoph Schmitz: Was war in Moskau geschehen? Vor drei Jahren hatte es im Sacharow-Zentrum eine Ausstellung unter dem Titel "Verbotene Kunst" gegeben. Durch Gucklöcher hatten die Besucher auf eine Madonnenikone aus Kaviar schauen können, auf eine muslimische Selbstmordattentäterin mit Sprengstoffgürtel und schwarzer Reizwäsche unter dem Tschador und ein Jesusbildnis mit Mickymauskopf.
Eine ultranationalistische Gruppierung erstattete Anzeige mit der Begründung, die Ausstellung beleidige Christen und schüre den Hass gegen die Religion. Angeklagt wurden die Verantwortlichen der Ausstellung Andrej Jerofejew, damals Kurator der Tretjakow-Galerie, und Juri Samodurow, damals Direktor des Sacharow-Zentrums.
Heute Mittag wurde das Urteil verkündet, Jerofejew und Samodurow müssen nicht für drei Jahre ins Lager, was die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, sondern zusammen rund 9000 Euro Strafgeld zahlen. Welche Seite hat denn nun den Sieg davongetragen, habe ich unseren Korrespondenten Robert Baag in Moskau gefragt?
Robert Baag: Beide, Herr Schmitz, haben gesiegt, beide haben verloren, so könnte man das paradox formulieren. Denn die Staatsanwaltschaft muss natürlich sich als Erfolg aufs Revers schreiben, dass der Kern dessen, was sie im Strafantrag gestellt hat, dass nämlich beide den sogenannten religiöse Zwietracht geschürt und nationale Zwietracht geschürt haben, dass das Gericht ihnen in dieser Argumentation gefolgt ist; als Niederlage muss aber, und das ist in Russland durchaus spürbar und immer ein Prestigeverlust für die Staatsanwaltschaft, ist natürlich, dass diese Haftforderung von drei Jahren, dass dieser Forderung nicht entsprochen worden ist.
Für die Angeklagten – die natürlich in die Berufung gehen wollen, das erklärten sie gleich anschließend, weil das für sie ein grundsätzliches Problem auch ist, den Staat als Kunstzensor nicht durchkommen zu lassen, sie wollen das also geklärt haben, ob der Staat das Recht hat, Kunst, und sei es Kunst, die von bestimmten Leuten als blasphemisch bezeichnet wird, zu zensieren, das wollen sie geklärt wissen –, die müssen natürlich, wenn der Spruch Rechtswirksamkeit bekommt, für russische Verhältnisse eine nicht unerhebliche Summe bezahlen, Sie hatten es ja vorhin genannt.
Schmitz: Welche Kräfte stecken denn hinter diesem in Anführungsstrichen "milden" Urteil?
Baag: Dahinter stecken in erster Linie fundamentalistisch-klerikale Kreise, die behaupten so versetzt mit Blut-und-Boden-Ideologie, dass ein wahrer Russe nur jemand sein kann, der russisch-orthodox ist, also dieser Glaubensrichtung angehört und umgekehrt, es ist eine Ideologie, die andere ausschließt und die natürlich die wahren Werte verkörpern will. Und das ist eine Richtung, die vielen in der hohen Amtskirche, aber auch im administrativen Apparat der Regierung durchaus entgegenkommt. Denn wir sollten nicht vergessen, Herr Schmitz, wir haben hier in Russland 20 Jahre nach dem Fall der Sowjetunion immer noch so etwas wie ein ideologisches Vakuum, ein Umstand, den die Führung dieses Landes erkennt und aufzufüllen beginnt, und die Kirche steht nur zu gern bereit dafür.
Schmitz: Welche weltanschaulichen, politischen und ideologischen Welten prallen denn in diesem Prozess aufeinander? Die eine Seite haben Sie beschrieben, die kirchlichen Kreise, die ultranationalistischen Kreise; und auf der anderen Seite ist das ein liberaler Kurs?
Baag: Es ist ein liberaler Kurs, aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass diesem liberalen Kurs eine extreme Minderheit hier in Russland folgt. Es ist also keineswegs der Mainstream, allerdings darf man auch nicht dem Irrtum unterliegen, dass selbst wenn sich die Mehrzahl der russischen Bürger als gläubig bezeichnet, dass es da auch praktizierende Christen sind.
Schmitz: Es gibt aber doch einen vorsichtigen Liberalisierungskurs von Präsident Dimitri Medwedew. Wurde auch hierüber jetzt im Urteil abgestimmt?
Baag: Nein, das ist natürlich, dann gibt man sich staatsfern, also hier wird die demokratische Form gewahrt. Es ist zwar so, dass Medwedew nachgesagt wird, dass er, um das Land zu modernisieren, was es auch dringend nötig hat, gute Kontakte für den Westen braucht, und wenn natürlich solche Urteile fallen, wo per Staat dekretiert werden könnte, was nun Blasphemie ist in der Kunst und was noch als kunsttolerabel ist, dann würde das natürlich im Westen keineswegs gut ankommen, sodass das Urteil auch einigermaßen zwiespältig ist.
Schmitz: Hat er sich doch möglicherweise eingemischt? Denn man hätte ja eher eine Verurteilung zu Lagerhaft erwartet ...
Baag: Ich sage es mal so, es wird Ihnen natürlich niemand bestätigen, es wird auch keiner dementieren – dementieren vielleicht eher, weil es nicht Sache des Präsidenten ist –, aber vielleicht können wir uns auf die Formulierung einigen und es spricht Einiges dafür, dass es im Präsidentenapparat eben auch Kreise gibt, die sagen, nun haltet mal den Ball flach und wir müssen hier zu einem Urteil kommen, das möglichst beide Seiten ruhigstellt und zufriedenstellt. Die Geldstrafe ist einigermaßen hoch, ins Lager muss er nicht – das ist das Formelkompromiss.
Schmitz: Robert Baag über Prozess und Urteil zur Ausstellung "Verbotene Kunst" in Moskau.
Eine ultranationalistische Gruppierung erstattete Anzeige mit der Begründung, die Ausstellung beleidige Christen und schüre den Hass gegen die Religion. Angeklagt wurden die Verantwortlichen der Ausstellung Andrej Jerofejew, damals Kurator der Tretjakow-Galerie, und Juri Samodurow, damals Direktor des Sacharow-Zentrums.
Heute Mittag wurde das Urteil verkündet, Jerofejew und Samodurow müssen nicht für drei Jahre ins Lager, was die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, sondern zusammen rund 9000 Euro Strafgeld zahlen. Welche Seite hat denn nun den Sieg davongetragen, habe ich unseren Korrespondenten Robert Baag in Moskau gefragt?
Robert Baag: Beide, Herr Schmitz, haben gesiegt, beide haben verloren, so könnte man das paradox formulieren. Denn die Staatsanwaltschaft muss natürlich sich als Erfolg aufs Revers schreiben, dass der Kern dessen, was sie im Strafantrag gestellt hat, dass nämlich beide den sogenannten religiöse Zwietracht geschürt und nationale Zwietracht geschürt haben, dass das Gericht ihnen in dieser Argumentation gefolgt ist; als Niederlage muss aber, und das ist in Russland durchaus spürbar und immer ein Prestigeverlust für die Staatsanwaltschaft, ist natürlich, dass diese Haftforderung von drei Jahren, dass dieser Forderung nicht entsprochen worden ist.
Für die Angeklagten – die natürlich in die Berufung gehen wollen, das erklärten sie gleich anschließend, weil das für sie ein grundsätzliches Problem auch ist, den Staat als Kunstzensor nicht durchkommen zu lassen, sie wollen das also geklärt haben, ob der Staat das Recht hat, Kunst, und sei es Kunst, die von bestimmten Leuten als blasphemisch bezeichnet wird, zu zensieren, das wollen sie geklärt wissen –, die müssen natürlich, wenn der Spruch Rechtswirksamkeit bekommt, für russische Verhältnisse eine nicht unerhebliche Summe bezahlen, Sie hatten es ja vorhin genannt.
Schmitz: Welche Kräfte stecken denn hinter diesem in Anführungsstrichen "milden" Urteil?
Baag: Dahinter stecken in erster Linie fundamentalistisch-klerikale Kreise, die behaupten so versetzt mit Blut-und-Boden-Ideologie, dass ein wahrer Russe nur jemand sein kann, der russisch-orthodox ist, also dieser Glaubensrichtung angehört und umgekehrt, es ist eine Ideologie, die andere ausschließt und die natürlich die wahren Werte verkörpern will. Und das ist eine Richtung, die vielen in der hohen Amtskirche, aber auch im administrativen Apparat der Regierung durchaus entgegenkommt. Denn wir sollten nicht vergessen, Herr Schmitz, wir haben hier in Russland 20 Jahre nach dem Fall der Sowjetunion immer noch so etwas wie ein ideologisches Vakuum, ein Umstand, den die Führung dieses Landes erkennt und aufzufüllen beginnt, und die Kirche steht nur zu gern bereit dafür.
Schmitz: Welche weltanschaulichen, politischen und ideologischen Welten prallen denn in diesem Prozess aufeinander? Die eine Seite haben Sie beschrieben, die kirchlichen Kreise, die ultranationalistischen Kreise; und auf der anderen Seite ist das ein liberaler Kurs?
Baag: Es ist ein liberaler Kurs, aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass diesem liberalen Kurs eine extreme Minderheit hier in Russland folgt. Es ist also keineswegs der Mainstream, allerdings darf man auch nicht dem Irrtum unterliegen, dass selbst wenn sich die Mehrzahl der russischen Bürger als gläubig bezeichnet, dass es da auch praktizierende Christen sind.
Schmitz: Es gibt aber doch einen vorsichtigen Liberalisierungskurs von Präsident Dimitri Medwedew. Wurde auch hierüber jetzt im Urteil abgestimmt?
Baag: Nein, das ist natürlich, dann gibt man sich staatsfern, also hier wird die demokratische Form gewahrt. Es ist zwar so, dass Medwedew nachgesagt wird, dass er, um das Land zu modernisieren, was es auch dringend nötig hat, gute Kontakte für den Westen braucht, und wenn natürlich solche Urteile fallen, wo per Staat dekretiert werden könnte, was nun Blasphemie ist in der Kunst und was noch als kunsttolerabel ist, dann würde das natürlich im Westen keineswegs gut ankommen, sodass das Urteil auch einigermaßen zwiespältig ist.
Schmitz: Hat er sich doch möglicherweise eingemischt? Denn man hätte ja eher eine Verurteilung zu Lagerhaft erwartet ...
Baag: Ich sage es mal so, es wird Ihnen natürlich niemand bestätigen, es wird auch keiner dementieren – dementieren vielleicht eher, weil es nicht Sache des Präsidenten ist –, aber vielleicht können wir uns auf die Formulierung einigen und es spricht Einiges dafür, dass es im Präsidentenapparat eben auch Kreise gibt, die sagen, nun haltet mal den Ball flach und wir müssen hier zu einem Urteil kommen, das möglichst beide Seiten ruhigstellt und zufriedenstellt. Die Geldstrafe ist einigermaßen hoch, ins Lager muss er nicht – das ist das Formelkompromiss.
Schmitz: Robert Baag über Prozess und Urteil zur Ausstellung "Verbotene Kunst" in Moskau.